von Daniel Pabst
In „Renature“ versuchen alle Spielerinnen und Spieler sich gemeinsam an der Renaturierung einer verödeten Flusslandschaft. Hierfür werden neue Waldtiere, welche die beigefügten Holz-Dominosteine verkörpern, zurück in das Waldgebiet gesetzt, und es werden Gräser, Büsche, Kiefern und Eichen gepflanzt. Also los! Gehen wir raus in die Natur und bleiben dabei am heimischen Spieltisch!
„Renature“ umfasst 1 Spielplan, 4 Pflanzenablagen, 74 Pflanzen aus Holz, 55 Dominosteine aus Holz, 4 Punktemarker aus Holz, 1 Jokermarker aus Holz, 30 Wolkenplättchen, 21 Gebietsplättchen, 3 schwarze Stoffbeutel und 1 Spielanleitung.
Zunächst noch einige Worte zu dem Autorenduo: Wolfgang Kramer ist nicht nur Erfinder der „Kramer-Leiste“, welche in seinem Spiel „Heimlich & Co.“ (1984) zuerst aufgetreten ist, sondern seine Spiele wurden fünffach mit dem „Spiel des Jahres“-Preis ausgezeichnet. Mittlerweile tragen mehr als 100 Spiele seinen Namen als Spielerfinder (www.kramer-spiele.de). Auch sein Kollege Michael Kiesling ist in der Spielwelt eine bekannte Persönlichkeit. Er hat seit 1995 mit Wolfgang Kramer gemeinsam Spiele entwickelt, wie beispielsweise den „Spiel des Jahres“-Gewinner von 1999 „Tikal“. Zuletzt wurde er 2017 für sein Spiel „Azul“ erneut mit diesem Preis ausgezeichnet.
Ist „Renature“ ein aussichtsvoller Kandidat für das „Spiel des Jahres 2021“? „Renature“ glänzt zunächst mit seiner schönen Thematik, die durch die Holz-Dominosteine, Holz-Pflanzensteine und das Spielbrett (mit Poster-Rückseite) gelungen umgesetzt wurde. Gemeinsam die Ödnis wieder bewalden und eine neue Fauna zu erschaffen, macht nicht nur Kindern Spaß, sodass dieses Familienspiel durchaus ein größeres Publikum anspricht. Dennoch sollte man nicht naiv sein. Das Spiel ist darauf ausgelegt, dass es am Ende nur einen Champion geben kann, der am effizientesten der Natur wieder neues Leben eingehaucht hat. Nur eine oder einer von euch darf den Titel einer erfolgreichen Natur-Wiederherstellerin oder eines erfolgreichen Natur-Wiederherstellers tragen. So existiert ein gemeinsames Ziel – aber kein kooperatives Spiel. Denn in „Renature“ werden insgesamt simple Domino- und Area-Control-Mechaniken mit einigen Regeln aufgepeppt.
Wie sind die Spielregeln also im Konkreten? Jede Natur-Freundin oder jeder Natur-Freund startet bei „Renature“ mit einer Mischung aus Spielsteinen der eigenen Spielerfarbe und neutralen Spielsteinen. Diese sind aus Holz und werden als Pflanzen bezeichnet. Die neutralen Pflanzen sind in einem Beigeton gehalten und müssen auch platziert werden, zählen aber nicht für die eigene Kontrolle eines Gebietes. Zu Beginn des Spiels erhält man verdeckt einen Stapel an Dominosteinen, auf denen jeweils zwei Waldtiere bedruckt sind. Dann zieht man drei aus seinem Vorrat, von denen man pro Spielzug einen auf dem Spielbrett platziert und nach dem Ausspielen eines Steines stetig neu nachzieht. Nach der Platzierung eines Dominosteins und einer Pflanzen werden direkt Siegpunkte, repräsentiert durch Sonnenblumen, verteilt. Immer wenn eine Pflanzen platziert wird, erhält man entsprechend der Anzahl an Pflanzen mit gleichem oder niedrigerem Wert Siegpunkte. Hat man es geschafft, mit seinem Dominostein ein Gebiet abzuschließen, so bekommt man das dort liegende Siegpunktplättchen. Hat man zudem die Mehrheit auf einem abgeschlossenen Gebiet, oder belegt wenigstens den punktemäßig zweiten Platz dort, so werden auch Siegpunkte verteilt. Am Ende des Spiels werden zusätzlich die ungenutzten Wolkenplättchen und Pflanzen gezählt und weitere Siegpunkte mit den bereits während des Spiel gesammelten Siegpunkten verrechnet. Dies alles geschieht auf der bekannten „Kramer-Leiste“, die das Spielbrett umrandet.
Bei „Renature“ ist es die Aufgabe aller Mitspielerinnen und Mitspieler aus den verschiedenen Optionen, wo man seinen Spielstein platzieren kann, diejenige Option zu wählen, die am lukrativsten ist. Möchte man ein Gebiet abschließen und die Abschlussbelohnung kassieren, unabhängig davon, wem das Feld gehört? Oder will man ein Gebiet mit temporärer, eigener Kontrolle vor „feindlichen Attacken“ sichern? Oder strebt man an, möglichst rapide sich nach unten auf dem Spielplan fortzubewegen, wo Siegpunkte im zweistelligen Bereich warten?
Mit den zusätzlich enthaltenen Wolkenplättchen werden weitere Optionen geboten. Indem man eine bestimmte Anzahl an Wolken bezahlt, kann man die Joker-Tierart ändern, einen zusätzlichen Spielzug durchführen oder Pflanzen der eigenen Farbe oder der neutralen Farbe vom Spielfeld wieder auf die eigene Auslage legen. Damit kann man mächtige Pflanzen erneut nutzten, aber auch den Mitspielerinnen und Mitspielern einen Strich durch die Rechnung machen, indem man strategisch platzierte neutrale Pflanzen entfernt.
Besonders den eigene Vorrat an neutralen Spielsteinen gilt es sinnvoll zu platzieren. Eine Anwendung wäre zum Beispiel, seinen neutralen Stein mit gleichem Wert, wie bereits der von einer Mitspielerin oder einem Mitspieler platzierte Stein, auf das gemeinsame Gebiet zu stellen. In „Renature“ gilt nämlich: Ist die Summe der Wertigkeit der Pflanzen von unterschiedlichen Spielerinnen und Spielern gleich, so negieren diese sich. Hierdurch kann es dazu kommen, dass man mit einer niedrigwertigen Pflanze (zum Beispiel: ein Busch) ein gesamtes Gebiet für sich beanspruchen kann, da sich die höherwertigen Pflanzen gegenseitig entwertet haben. Weiterhin kann man mit diesen neutralen Pflanzen ein Gebiet füllen, das man bereits selbst kontrolliert. So nimmt man den Mitspielerinnen und Mitspielern wertvolle Anbaufelder und somit die Motivation in einen Wettstreit um das jeweilige Gebiet zu treten. Nur wer die Aktionen der Konkurrentinnen und Konkurrenten antizipieren kann, sich geschickt aus deren Fadenkreuz entfernt hält und den Überblick über die noch vorhandenen Tierkombinationen behält, kann die meisten Siegpunkte einfahren. Und nebenbei wird natürlich noch der Wald wieder renaturiert, oder so ähnlich.
„Renature“ liefert ein solides Spielerlebnis, welches man von den beiden „Star“-Autoren gewohnt ist und daher geradezu erwartet hat. Die Illustrationen haben eine beruhigende Wirkung, wenn auch der Stil an ältere Spiele angelehnt scheint. Als Vergleich könnte das „Bärenspiel“ (https://www.amigo-spiele.de/spiel/oop-baerenspiel) genannt werden. Und so fühlt man sich beim Spielen zum einen in der Zeit zurückversetzt, zum anderen lenken die Illustrationen nicht vom Thema „Natur“ ab und können insbesondere Kindern helfen, Tiere wiederzuerkennen. Dennoch ist das Spielthema während der Partie nicht durchgehend zu spüren. Bei einem Wettstreit um Territorien mit rivalisierenden Parteien, ist das intelligente Legen von Schnecken, Schmetterlingen und Co. nicht die erste Assoziation. Hier würde einem ein „Bauthema“ deutlich mehr in den Sinn kommen, was der Verbindung aus „Natur“ und „Brettspiel“ jedoch gegenläufig wäre und zudem bereits oft umgesetzt wurde.
Fazit: Wer noch nach einem guten, anspruchsvollen Familienspiel mit Naturthematik sucht oder bei dem nasskalten Wetter und anderen bestehenden Widrigkeiten nicht selbst die Natur besuchen kann, wird bei „Renature“ fündig. Besonders die Spielmaterialgestaltung mit den großen, hölzernen Dominosteinen sticht heraus und ist zu loben. Obwohl auf der Spielverpackung „ab 8 Jahren“ steht, stellt sich abschließend nur noch die Frage, ob das Natur-Thema bei der jungen Generation wirklich als Brettspiel ankommen wird. Denn spielerisch lässt sich „Renature“ durchaus mit jüngeren Brettspielerinnen und Brettspielern spielen, da die Regeln simpel zu verstehen sind. Ob diese jedoch auch die komplexeren Strategien dieses Spiels verstehen und Siegpunkte optimieren werden, bleibt abschließend fragwürdig.
Renature
Brettspiel für 2 bis 4 Personen ab 8 Jahren
Michael Kiesling, Wolfgang Kramer
Deep Print Games Spiele 2020
EAN: 4250231727702
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 39,95
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