Kyoto

Wer kennt das nicht? Man erfährt die neuesten Entscheidungen aus der Politik und denkt sich: „Das hätte ich besser gekonnt“. Ganz bestimmt hättest du das. Was, wenn du selbst die Rolle eines Landes in Verhandlungen zu internationalen Interessenskonflikten übernimmst? Wer sich selbst an Politik und dem eigenen Verhandlungsgeschick versuchen möchte, kann dies mit dem Spiel „Kyoto“ von Deep Print Games wagen!

von Daniel Pabst

„Kyoto“ ist ein Brettspiel von Sabine Harrer und Johannes Krenner. Es ist im Jahre 2020 als zweites Spiel des neugegründeten Verlags „Deep Print Games“ auf dem Markt erschienen. Das Spiel ist geeignet für drei bis sechs Spieler und dauert in etwa 30 bis 45 Minuten. Es beinhaltet einen Spielplan, 100 Karten, 63 Geldscheine, sechs Flaggenmarker, sechs Flaggenhalter, sechs Thermometerstufen, sechs Wolkenplättchen, fünf Tierplättchen, ein Pult und eine Spielanleitung.

Jede und jeder von euch vertritt eines der einflussreichsten Länder der Erde. Ihr seid zusammengekommen, um über nichts Geringeres als das Überleben unseres Planeten zu debattieren! Wie bei der Kyoto-Konferenz von 1997 in Japan gilt es, sich gemeinsam auf Richtlinien für die Regulation umweltgefährdenden Verhaltens verbindlich zu einigen. Doch ähnlich der realen Konferenz fällt es schwer, einen Grundkonsens zu finden, der das Klima schützt und gleichzeitig alle Interessen berücksichtigt. Es ist in „Kyoto“ daher insbesondere eure Aufgabe, die Mitspielerinnen und Mitspieler für euch zu gewinnen, notfalls auch durch sofortigen Cash-Flow – und nebenbei wird eben darauf geachtet, dass das Klima nicht kollabiert.

What a wonderful world?

Zu Beginn des Spiels sucht sich jede und jeder von euch eine Nation aus, welche er vertreten möchte. Genauer gesagt gibt es sechs Nationen: Kanada, Australien, China, Russland, USA und die Europäische Union. Anschließend werden die Geldscheine und Wohlstandskarten gleichmäßig unter allen Beteiligten verteilt. Für die ungenutzten Karten liegt eine weiße Papierbox dem Spiel bei, die selbst zusammenzufalten ist. Diese ist nett und schlicht, doch ein passender Aufdruck hätte stimmungsvoller gewirkt.



Besonders zu loben an „Kyoto“ sind die Illustrationen der Wohlstandskarten. Auf diesen ist immer Geld – in der einen oder anderen Form – „versteckt“. So sind es Geldmünzen oder Scheine, Währungssymbole oder Goldklumpen, die kreativ die Begriffe umsetzen. Hier hat Christian Opperer für „Kyoto“ ideenreiche, sehr schön anzusehende Grafiken geschaffen! Daneben gibt es für alle jeweils drei Agendakarten, von denen zwei behalten und die letzte verdeckt aus dem Spiel gelegt werden. Auf diesen Agendakarten steht, welche Ziele man verfolgt, und dementsprechend sind sie mitentscheidend dafür, wie viele Siegpunkte man am Ende des Spiels erhält.

Ein Startspieler wird zu Beginn kollektiv bestimmt und erhält das „Pult“, ein kleines 3D-Modell von einem Rednerpult, inklusive eines angesteckten Mikrofons aus Pappe. Der Startspieler zieht zwei Studienkarten vom Studienstapel aus der Tischmitte und entscheidet sich dazu, die gewünschte Karte von den beiden in das Pult zu stecken. Eine Studienkarte zeigt oben an, welche Anforderungen an Geld und Symbolen erzielt werden müssen, damit diese Studie durchgeführt wird. Auf der unteren Hälfte der Karte befinden sich zwei Zeilen, welche die sichtbaren Schäden und verborgenen Schäden darstellen. Die sichtbaren Schäden sind für alle Spielerinnen und Spieler sichtbar, während die verborgenen Schäden, wie der Name sagt, nur vom Startspieler gesehen und anschließend vom Pult verdeckt werden.

Die Zeit läuft!

Nun haben alle Repräsentantinnen und Repräsentanten insgesamt 90 Sekunden lang Zeit, eigene Ressourcen, also Geldscheine oder Wohlstandskarten, zur Erfüllung dieser gemeinsamen Aufgabe beizutragen. Ist der „Timer“ (ein solcher liegt dem Spiel leider nicht bei, sodass auf eine eigene Stoppuhr zurückgegriffen werden muss) abgelaufen, wird geprüft, ob alle Anforderungen der Studienkarte erfüllt sind. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens kann die Verhandlungsrunde erfolgreich gewesen sein. Die ausgespielten Ressourcen, welche für die Mission benötigt wurden, werden nun von den jeweiligen Besitzerinnen und Besitzern bezahlt und die Studienkarte kommt verdeckt aus dem Spiel. Alternativ kann die Verhandlungsrunde gescheitert sein, falls nicht alle Anforderungen geschafft wurden.



Wird das geforderte Ziel auf der Studienkarte nicht absolviert, so muss unser blauer Planet leiden. Es werden sowohl die sichtbaren, als auch die verborgenen Schäden an der Umwelt ausgeführt. Hierzu gibt es drei Arten an Umweltschäden: Tiersterben (dargestellt durch Tiere), Erderwärmung (dargestellt durch Thermometerstufen) und Luftverschmutzung (dargestellt durch Wolken). Wenn die Umweltschäden auf der Studienkarte eines der jeweiligen Symbole darstellen, so muss eines der entsprechenden Plättchen auf dem Spielplan umgedreht werden.

Geld regiert die Welt?

Es wäre zu einfach, anzunehmen, dass man in „Kyoto“ stets nur so spielen sollte, wie es die eigene Agenda diktiert. Es ist bei „Kyoto“ nämlich so, dass beim Erreichen des kritischen Wertes (eine der drei Umweltschäden erreicht ihren Höhepunkt) die gesamte Konferenz gescheitert ist. Das Spiel ist zeitgleich beendet und es kommt zur Wertung. Die Nation, welche nach dieser Wertung die meisten Siegpunkte ihr Eigen nennt, verliert. Richtig gelesen: Wer am meisten Siegpunkte hat, wird als Hauptverantwortliche oder Hauptverantwortlicher für die Zerstörung der Umwelt bestimmt und wird daher von dem exkludiert, was von der Erde jedenfalls noch übrig ist. Bei den restlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Konferenz kommt es ganz normal zu einer Wertung. Siegpunkte gibt es für das Erfüllen der eigenen Agendakarten, den eigenen Geldvorrat (aufgedruckt je Schein sind 1.000.000 „World Dollars“) und für ungenutzte Wohlstandskarten. Es gewinnt – beim Scheitern des Gipfels – also die Nation, welche am zweitmeisten Siegpunkte erzielen konnte.



Wurde es geschafft, den gesamten Studienkartenstapel durchzuspielen, ohne dass einer der Umweltschäden seinen kritischen Wert erreicht hat, kommt es zur „normalen” Wertung. Diese funktioniert, genauso wie wenn ein kritischer Wert erreicht wurde, nur der Spielsieger ist ein anderer. In diesem Fall wird die Vertreterin oder der Vertreter mit den meisten Siegpunkten belohnt, statt ausgeschlossen. Wieso sollte man auch jemanden ausschließen, wenn die Umwelt gerettet wurde – jedenfalls vorerst …

Politik als Brettspiel – funktioniert das?


Die Politik und die Beziehungen zwischen den Staaten werden in „Kyoto“ leider stark vereinfacht dargestellt. Dadurch distanziert sich das Spiel von der Realität und bleibt (gewollt) oberflächlich. Bereits in diesem Spiel auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, entpuppt sich oft als recht schwierig. Die meisten Nationen versuchen erst dann mitzumachen, wenn es fast schon „brennt“. Es wäre wünschenswert, dass sich dieses „Kennerspiel“ im Gegenzug durch höhere strategische oder taktische Möglichkeiten auszeichnen würde. Auch werden nur knapp ein Drittel aller Weltbürgerinnen und Weltbürger in „Kyoto“ vertreten, da leider nur begrenzte Auswahlmöglichkeiten bei der Wahl der eigenen Nation bestehen. Bei diesem historischen Gipfel hätte ein brandaktuelles Spiel weitere Länder durch eine breite Auswahl an Flaggenkarten sehr leicht mitliefern und den Spielerinnen und Spielern dadurch eine Bereicherung in Form von Spielspaß und Diskussionsstoff bieten können. Auch der Preis des Spiels könnte vom Kauf eher abschrecken.



Fazit: Kyoto zeichnet sich durch das innovative Spielthema aus, welches möglicherweise insbesondere neue Zielgruppen anspricht. Wenn gewünscht, könnte dieses Spiel als „Lernspiel“ sicher in kleinen Gruppen eingesetzt werden. Klimaprobleme, Umweltschutz, die verschiedenen Interessen und der Lobbyismus, sowie das historische Ereignis von 1997 bleiben nach dem Spielen von „Kyoto“ auf jeden Fall hängen. Was bleibt sonst? Wenn man sich das nächste Mal denkt: „Das hätte ich besser gekonnt“, kann man sich mittels „Kyoto“ selbst beantworten, ob diese Aussage so stimmt oder eher die von Max Weber: „Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“

Kyoto
Brettspiel für 3 bis 6 Spieler ab 10 Jahren
Sabine Harrer, Johannes Krenner
Deep Print Games 2020
EAN: 4250231728150
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 24,95

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