Gaia Project – Die verlorene Flotte

Die Brettspielwelt beschwört und feiert das Zeitalter der Neuerung (engl. „Age of Innovation“). „Terra Mystica“ sei damit abgelöst. Aber was ist eigentlich mit dem artverwandten „Gaia Project“? Und die Frage stellt sich erst recht mit dem Eintreffen der verlorenen Flotte, der ersten Erweiterung zu „Gaia Project“. Sieben Jahre haben sich Autoren und Verlag Zeit genommen. Was taugen nun die „Eclipse“, die „Twilight“, die „T.F. Mars“ und die „Rebellion“?

von LarsB

„Gaia Project“ hat sich nicht nur thematisch von „Terra Mystica“ unterschieden. Durch den modularen Aufbau stellt es das mit der Spielerzahl besser skalierte Spiel dar. Und es fühlt sich weniger „cutthroat“ an, wie man im angelsächsischen Sprachraum sagen würde. Man kann seinen Mitspielern nicht so hart in die Parade fahren, indem man sie von anderen Landstrichen abschneidet. Da bietet der Weltraum einfach genug Platz. Und mit dem Forschungsspielbrett hatte sich „Gaia Project“ gegenüber „Terra Mystica“ einen neuen und interessanten Spielaspekt einverleibt. Kurzum, „Gaia Project“ hat seine Fans. Aber es ist gefühlt zumindest in Deutschland nie richtig aus dem Schatten von „Terra Mystica“ herausgekommen – geschweige denn dem vom immer noch strahlenden „Age of Innovation“. Schafft es die verlorene Flotte, „Gaia Project“ ins Rampenlicht zu manövrieren?

Das Spielmaterial

Das Cover der Spieleschachtel von „Die verlorene Flotte“ sieht deutlich moderner aus als das 2017er Cover von „Gaia Project“. Beide nebeneinander sehen im Schrank folglich nicht sonderlich zugehörig aus. Passt dann alles in eine Schachtel? Nein. Da ist mein inneres Brettspielregal-Harmonie-Ich gestört. Auf der Habenseite der Spielebox steht dafür, dass sie mit der Erweiterung von Feuerland großzügig gefüllt wurde. Der Käufer darf also einiges für die knapp 40 Euro UVP erwarten. Nur entspricht hier Masse auch Klasse?

Was finden wir in der Box vor? Zwei neue Zivilisationsspielbretter mit jeweils zwei Völkern sind in bewährter Qualität beigelegt, genauso die bekannten Spielkomponenten wie die Minen, Forschungsgebäude und Regierungssitze in zwei neuen Farben. Der Augenschmeichel-Faktor der Farben unterliegt natürlich dem persönlichen Geschmack. Mir gefallen sie auf den zweiten Blick gut: rosa und türkis-petrol sieht man einfach selten in Brettspielen. Vier Schiffs-Taubleaus und „easter egg“-ige Schiffsnamen (Eclipse, Twilight, Rebellion und T.F. Mars) fallen auf. Die Schiffe zeigen neue Sonderaktionsfelder und haben Platz für die neuen Allianzmarker sowie neue Basistechnologien oder Artefaktmarker. Die Außensektoren und die spieleranzahlabhängigen Zwischenraumplättchen füllen Leerstellen beim neuartigen Aufbau und etwas großzügigeren Aufbau des Spielplans.

Sonst findet man einen Haufen neuer Stanzteile alter Art: Rundenbooster, Schlusswertungsplättchen, Rundenwertungsplättchen und Ausbautechnologien. Heißt: mehr Auswahl. Außerdem dabei: ein paar zusätzliche Marker und Anzeiger hier, ein paar Gaia-Planeten und Plättchen dort. Neu sind auch die drei Erkundungsshuttles je Spielerfarbe sowie die zugehörigen Erkundungstableaus. Die Völker der Tinkeroids und der Moweyd sind mit fraktionsabhängigen Plättchen ausgestattet. Auch Austauschkomponenten sind dabei. Alles prima und zeitgemäß. Alles fügt sich gestalterisch sehr gut ins Grundspiel ein.

Schade ist nur, dass man dem ganzen Spiel nur zwei neue Aktionsübersichten beigelegt hat. Schön wäre gewesen, wenn jeder Spieler eine eigene Übersicht erhalten hätte können. Fairerweise ist festzuhalten, dass „nur“ zwei neue Aktionen dazu kommen. Hier hat man sich wahrscheinlich einen Stanzbogen sparen wollen.

Der Vollständigkeit halber: Auch Automa-Komponenten für ein Solospiel sind ein paar dabei. Diese sowie den Automa-Spielmodus betrachte ich in diesem Artikel aber nicht näher.

Der neue Spielplan

Der Spielplan hat Zuwachs bekommen. Durch die großzügigere Anordnung der Raumsektoren hat man Platz geschaffen für Zwischenräume und Außensektoren. Hier findet man viel Neues: Protoplaneten, Asteroiden oder auch die Schiffsdarstellungen der verlorenen Flotte. Die Besiedlungsregeln für Protoplaneten und Asteroiden stellen sich etwas anders dar als bei ihren Brüdern aus dem Grundspiel: Protoplaneten kosten völkerunabhängig gleich drei Terraformschritte, bringen dann aber auch sechs Siegpunkte. Asteroiden brauchen einen Gaiaformer, den man beim Zusammenfügen der Asteroiden danach aber auf den (Weltraum-)Schrott werfen kann und muss. Beide Planetentypen sind Heimat der neuen Völker.

Die neuen Völker

In rosa kommen die Tinkeroids und die Darkanians daher. Beide haben die Asteroiden als Startplanet. Die petrolfarbenen Space Giants und Moweyd sind zum Spielstart auf einem Protoplaneten zuhause.

Die Tinkeroids starten mit einem Regierungssitz anstelle von zwei Minen. Sie brauchen wie die Moweyd für einige Planeten drei Terraformschritte, für andere nur einen. Welche Planeten das sind, wird in jedem Spiel neu bestimmt. Die große Besonderheit der Tinkeroids sind ihre Tüftel-Plättchen. Zu Beginn jeder Runde darf und muss der Spieler einen neuen Bonus für die Regierungssitz-Sonderaktion bestimmen.

Die Moweyd starten nur mit einer Mine, haben dafür aber schon Zugriff auf die T.F. Mars. Der Special-Move ihres Regierungssitzes ist die Aufwertung eines Gebäudes mit einem Machtring, der dem Gebäude zwei zusätzliche Machtpunkte verleiht. Die Allianz-Schmiedemaschine kann so auf Hochtouren laufen.

Die Darkanians sind ebenso mit einer Mine zum Start ausgestattet. Sie können Basis-Planeten besonders leicht besiedeln, weil sie dafür nur einen einzigen Terraformingschritt benötigen. Der Regierungssitz belohnt das Besiedeln neuer Sektoren mit 2 Credits und 1 Wissen.

Schließlich starten auch die Space Giants (schöne Grüße von den „Terra Mystica“-Giganten!) mit nur einer Mine. Für sie sind alle Basisplaneten gleich. Alle kosten zwei Terraformingschritte. Wie praktisch, dass auf dem Erkundungstableau eine Aktion „Mine errichten mit zwei kostenlosen Terraformingschritten“ vorgesehen ist. Der Regierungssitz erlaubt einmalig das Nehmen und Nutzen eines Technologieplättchens.

In der „Feuer und Eis“-Erweiterung zu „Terra Mystica“ hatten sich die neuen Völker teilweise aufgesetzt angefühlt. Alle „Die verlorene Flotte“-Völker spielen sich frisch und fügen sich gleichzeitig sehr gut in das Spiel ein. Die unterschiedlichen Terraforming-Kosten der Tinkeroids und der Moweyd zahlen auf das Wiederspielbarkeitskonto ein. Wenn man einmal verstanden hat, wie die Zuordnung der Kosten zu Planetenarten funktioniert, ist das auch nicht kompliziert. Die Auswahl der Tüftelplättchen macht Spaß und erfordert einen Plan für die Runde. Das Arbeiten mit den Machtringen der Moweyd ermöglicht ein viel schnelleres Formen von Allianzen. Auch der direkte Zugriff der Moweyd auf die T.F. Mars eröffnet dem Spieler taktische Möglichkeiten. Generell kann man den Eindruck haben, dass die Fähigkeiten der neuen Völker etwas stärker sind als die klassischen Völker aus der Grundbox. Dafür haben sie einen Platzierungsnachteil (nur ein Gebäude, welches auch noch nach allen anderen Faktionen eingesetzt wird) am Start des Spiels, es fehlt ihnen ein „Umsonst“-Heimatplanet und in der Regel will es mit der Besiedelung der Gaia-Planeten auch nicht so leicht klappen. Die neuen Völker spielen sich also mit einer neuen Dynamik.

Die Raumschiffe

Die je nach Spieleranzahl drei bis vier Raumschiffe der neuen Flotte bieten uns neue Möglichkeiten. Um ein Raumschiff allerdings nutzen zu können, muss der Spieler erst einmal ein Erkundungs-Shuttle dorthin senden. Dazu muss das Schiff in Reichweite seiner Siedlungen sein. Hat das eigene Erkundungs-Shuttle angedockt, stehen dem Spieler neue Aktionen zur Verfügung. Die Q.I.C.-Aktionen aus dem Grundspiel wurden in der Erweiterung auf die Raumschiffe verteilt. Dazu kommen noch weitere Einmalaktionen, die mit dem Einsatz von Macht und/oder anderen Ressourcen hilfreiche Dinge ermöglichen: für drei Credits eine Terraforming-Aktion, für drei Macht und zwei Forschungsressourcen geht’s auf einer Forschungsleiste hoch, für drei Macht und zwei Erz kann ich ein Handelszentrum in ein Forschungslabor aufwerten, usw.

Hat man allein Zugriff auf eines der Raumschiffe, kann man die Runde ganz entspannt planen. Mit jedem angedockten Erkundungs-Shuttle erhöht sich allerdings der Stresslevel und der Druck der frühzeitigen und damit rechtzeitigen Nutzung der Aktion. Sonst ist sie für diese Runde futsch – analog zu den Aktionen aus dem Grundspiel. Früh ein Raumschiff zu erschließen, hat also etwas für sich.

Der Laderaum der Raumschiffe hat jeweils noch Platz für einen exquisiten Allianzmarker. Diese Marker sind mächtiger als ihre Pendants aus dem Grundspiel. Dafür gibt es auch nur einen jeder Sorte. Und Voraussetzung für den Zugriff ist auch hier das Erkundungs-Shuttle an Bord des Raumschiffes. Wer möchte nicht eine Mine errichten können IRGENDWO auf dem Spielbrett? Oder einfach mal drei Terraformingschritte mit einer Gratis-Mine garniert?

Und dann haben drei der Schiffe noch Platz für die neuen Basistechnologien, die bei Zugriff auf das entsprechende Schiff normal erforscht werden können: eine Reichweite-Erweiterung, ein Erz- und Forschungsschub oder eine doppelte Terraformingaktion stellen zu den klassischen Basistechnologien ein Update dar. Die Twilight hat allerdings etwas Besonderes an Bord: Artefakte. Diese geben einen richtigen Boost. Dafür kosten sie aber sechs (!) Machtsteine. Hier sollte man also nicht blind zugreifen, sondern zunächst die Voraussetzungen schaffen. Das Rennen um die Artefakte ist mit Runde 1 eröffnet. Zu den Leckereien gehören „zwei Machtsteine in Schale III – als Rundeneinkommen“, „drei Siegpunkte pro Forschungsschritt auf einer bestimmten Forschungsleiste“, „drei Credits und drei Erz – sofort und steuerfrei“.

Als Spieler ignoriert man die verlorene Flotte besser nicht. Nicht nur, dass interessante und effektive Aktionen verloren gehen würden, man würde auch den Mitspielern zu viel Ruhe und Freiheit bei der Auswahl und dem Timing der Aktionen geben.

Bei zwei Spielern kommen nur drei Schiffe ins Spiel und jedem Spieler stehen nur zwei Erkundungs-Shuttle zur Verfügung. Es fehlt an dieser Stelle etwas von dem Wettrenn-Feeling, von dem „In die Quere kommen“-Gewusel. „Die verlorene Flotte“ spielt sich aber auch mit zwei Spielern interessant, vielleicht etwas taktischer, und würde bei Fehlen in den nächsten „Gaia Project“-Partien von mir definitiv vermisst werden. Mit drei und noch besser vier Spielern ist im Vergleich zum Grundspiel das Rennen um die wenigen Machtpunkte-Aktionen auf dem Hauptspielbrett entzerrt. Es fühlte sich mit vier Spielern im Grundspiel schon knapp an, überhaupt Zugriff auf passende Machtpunkte-Aktionen zu bekommen. „Die verlorene Flotte“ bietet hier zumindest mehr Auswahl und entzerrt damit.

Das Ergreifen eines Artefakts kann sich schon sehr episch anfühlen. Bleibt mit Blick auf die leeren Machtschalen nur manchmal die kleine Frage im Raum stehen: „Habe ich das Artefakt etwas zu früh gekauft?“ Eine schöne Zwickmühle.

Die weiteren Gedanken

„Gaia Project“ dauert seine Zeit. Das gilt auch für den Aufbau. Das Hinzunehmen der Erweiterung verlängert den Aufbau weiter (Plättchen dazu mischen, platzieren, ersetzen, zusätzliche Boards, etc.). Das ist für ein Expertenspiel nicht außergewöhnlich. Aber das Abbauen mit der „Verlorenen Flotte“ dauert mir dann doch zu lang – besonders an einem Spieleabend unter der Woche, wenn es schon spät ist. Der Hauptzeitfaktor ist das Auseinandersortieren der Komponenten. Die Komponenten der Erweiterung sind zwar mit einem kleinen Symbol versehen, aber es sind eben eine Menge unterschiedliche Komponenten. Und es passt eben nicht alles in EINE Schachtel. Vielleicht wird es nochmal eine Bigbox geben – so richtig mit Inlay. Aber dafür braucht es wahrscheinlich noch eine weitere Erweiterung. Wenn sie die Qualität von „Die verlorene Flotte“ hätte, wäre ich gewiss nicht abgeneigt.

„Gaia Project“ spielt sich mit Erweiterung frisch und absolut zeitgemäß. Nicht nur den Weltraum-Enthusiasten sei die Erweiterung nah gelegt. Wen an „Age of Innovation“ der Area-Control-Aspekt nervt, die wird mit der „Verlorenen Flotte“ ein mindestens genauso vielschichtiges und interessantes Spiel vorfinden wie „Age of Innovation“ in einer räumlich entzerrten Variante, das durch die unterschiedliche Dynamik seiner Völker sehr abwechslungsreich ist. Abgesehen davon schmücken „Age of Innovation“ und „Gaia Project“ mit „Verlorener Flotte“ jede Spielesammlung.

Das Fazit: „Gaia Project – Die verlorene Flotte“ ist eine sehr organische Erweiterung. Nichts fühlt sich angeschraubt an. Die neuen Spielkonzepte fügen sich sehr harmonisch ein. Der Handlungsspielraum wird erweitert, ohne zu lähmen. „Gaia Project“ war bereits vorher ein komplexes Spiel und es wird noch einen Hauch komplexer, ohne komplizierter zu werden. Die neuen Völker halte ich für besonders gelungen. Sie bringen wohldosiert eine neue Dynamik in das Spiel. Auch die gute Portion „more of the same“ schadet einem hervorragenden Spiel wie „Gaia Project“ nicht. In der Spieleschachtel kommt „Die verlorene Flotte“ mit und auf dem Spielplan ohne räumliche Enge. Und welche Erweiterung sonst umfasst denn bitte zugleich T.F. Mars, Twilight, Eclipse und Rebellion? Eine schöne Hommage.

Gaia Project – Die verlorene Flotte
Brettspiel-Erweiterung für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren
Helge Ostertage, Jens Drögemüller
Feuerland Spiele 2024
EAN: 4260705310330
Sprache: Deutsch
Preis 39,90 EUR

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