Abenteuer aus der Gruft I

Das Rollenspiel zu H. P. Lovecrafts erdachten Horror-Welten „Cthulhu“ hat bereits einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Kein Wunder, dass bereits etliche Abenteuer für das System publiziert wurden. Die neue Reihe „Abenteuer aus der Gruft“ will nun altes, längst vergriffenes Material wieder verfügbar machen. Schauen wir mal, ob sich der Aufwand auch gelohnt hat …

von Jens Krohnen

„Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass die Zeit den Tod besiegt!“ Dieses bekannte Zitat Lovecrafts aus seiner Geschichte „Cthulhus Ruf“ hat sich Chefredakteur Heiko Gill zu Herzen genommen und macht nun nach und nach – so der Plan – Abenteuer aus der langjährigen Geschichte „Cthulhus“ wieder verfügbar. Den Anfang machen zwei Abenteuer für „Cthulhu NOW“, die in der ersten Auflage des gleichnamigen Grundregelwerks zu finden waren, sowie das 1920er-Abenteuer „Blues für Marnie“, das früher im „Spielleiterhandbuch“ abgedruckt wurde. Alle drei Abenteuer wurden selbstverständlich auf die Regeln der 7. Edition angepasst. Und nun Vorsicht, liebe Spieler: Die nachfolgenden Beschreibungen der Szenarien mögen den einen oder anderen Spoiler enthalten und sind nur für die Augen der Spielleitung bestimmt!

Das erste Abenteuer, „Die schreckliche Welt des Paul Wegner“, schleudert die Investigatoren in eine grausige Zwischendimension, die durch die angegriffene Psyche des titelgebenden Paul Wegner erschaffen wurde. Hier stoßen sie nicht nur auf verschiedene Avatare des psychisch Gestörten, die es auf die eine oder andere Art und Weise zu überleben gilt, nein, sie können auch einem grausigen Verbrechen auf die Spur kommen und das Leben eines entführten Kindes retten. Das zweite Szenario, „Eisige Tiefen“, führt die Investigatoren an einen anderen exotischen Schauplatz, die Marion-Insel auf halber Strecke zwischen Südafrika und der Antarktis. Hier sollen sie auf ein Forscherteam treffen, dass geologische Anomalien am Meeresgrund der Insel untersucht, stoßen jedoch auf cthuloides Grauen: Denn eine Kolonie der Tiefen Wesen ist zum Angriff übergegangen und haben Tod und Verderben über die Forscher gebracht. Doch die Tiefen Wesen sind nicht die einzige Gefahr, die auf die Investigatoren wartet – können sie rechtzeitig von der Insel entkommen?

Beide „Now“-Abenteuer leben von starken, horrorlastigen Szenen und gleichen eher einer cthuloiden Achterbahnfahrt denn einem „typischen“ „Cthulhu“-Szenario. Das ist prinzipiell nichts Schlechtes, in diesem Fall jedoch können mich beide Abenteuer nicht wirklich überzeugen. „Die schreckliche Welt des Paul Wegner“ ist grausig und erschreckend, aber eben kaum cthuloid angehaucht. Es hätte gut zu „Kult“ oder „Unknown Armies“ gepasst, verschenkt aber im Rahmen von „Cthulhu“ die Möglichkeit, Lovecrafts Grauen in unsere Zeit zu transportieren. Und „Eisige Tiefen“ ist schlicht zu kurz geraten und bietet für die Spieler zu wenig Interaktionsmöglichkeiten; so bleibt ihnen nichts anderes zu tun als von einer „Attraktion“ der Geisterbahn zur nächsten zu hetzen, bevor sie hoffentlich gerettet werden.

„Blues für Marnie“ spielt in den guten, alten „Roaring Twenties“. Das Thema des Abenteuers ist eine Melange aus Rassismus, Jazz, einer Gangsterbande und unsterblicher Liebe. Diese Mischung ist tatsächlich hoch explosiv: Als der Jazztrompeter Leroy Anderson von Louis Armstrong höchstpersönlich eine Trompete geschenkt bekommt, ahnt er nicht, dass dieses Instrument Tote zum Leben erwecken kann. In der Folge wird eine Gangsterbande auf das Instrument aufmerksam, es kommt zu mehreren, unschönen Zwischenfällen mit plötzlich Wiederauferstandenen – und mittendrin sind die Investigatoren, die versuchen müssen, das Schlimmste zu verhindern. Auch „Blues für Marnie“ weist stark gescriptete Szenen auf, die den Investigatoren Handlungsfreiheit eher vorgaukeln denn wirklich gewähren. Wer sich auf den Plot dennoch einlassen mag, erhält eine ungewöhnliche Gangsterposse mit Stil, die ein ganz besonderes Flair transportiert. Von den Abenteuern im vorliegenden Band ist es definitiv das stärkste.

Die Bebilderung des Bandes entspricht der der Originalausgaben. Das heißt, es gibt ein Wiedersehen mit den hervorragenden Illustrationen, die einst für „Cthulhu NOW“ angefertigt wurden. Die wenigen Handouts sind – wie man es von „Cthulhu“ gewohnt ist – optisch sehr gut gelungen. Lektorat und Korrektorat sind ebenfalls auf einem guten Niveau. Technisch gibt es damit nichts zu meckern.

Fazit: Ich mag den Gedanken, ältere Abenteuer für die neueste Edition auch als Printprodukt verfügbar zu machen. Der erste Band der „Abenteuer aus der Gruft“ enthält allerdings eher schwächere Vertreter. Für Nostalgiker und Sammler ist der Band natürlich dennoch eine Empfehlung; Spielern auf der Suche nach neuen Abenteuern würde ich zuerst andere Bände empfehlen.

Abenteuer aus der Gruft I
Abenteuerband
Ole Johan Christiansen, Mark Morrison u. a.
Pegasus 2019
ISBN: 978-3957892171
68 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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