Abenteuer aus der Gruft I (II)

Als Freund von Brett- und Rollenspielen schaut man ja in erster Linie auf die leuchtenden und glänzenden Neuerscheinungen. Daneben gibt es aber auch Publikationen, die oftmals schon etwas älter sind und deren Glanz durch eine dicke Staubschicht noch immer schimmert. Mit der Sammlung „Abenteuer aus der Gruft“ widmet sich Pegasus diesen älteren „Cthulhu“-Abenteuern, entstaubt sie und poliert sie für die neue Edition auf. Wie haben die Abenteuer dieses Bandes die Jahre seit ihrer Veröffentlichung überdauert, und wie viel Leben steckt noch in diesen Abenteuern aus der Gruft?

von Oliver Adam

Wie aus der Reihe der Softcover-Publikationen gewohnt, ist die Aufmachung und Gestaltung des Bandes sehr ansprechend und reiht sich nahtlos in das hohe Niveau der „Cthulhu“-Publikationen ein. Das schaurige Cover ist sehr stimmig und greift die Thematik Gruft gekonnt auf. Die Ausstattung ist also schon einmal überzeugend. Getreu des Mottos „Das ist nicht tot, was ewig liegt“ werden in dieser Sammlung drei Abenteuer wiederveröffentlicht, deren Erstveröffentlichung bereits einige Zeit zurück liegt und die hier wiederum das Licht der Welt erblicken.

Das erste Abenteuer „Die schreckliche Welt des Paul Wegner" von 2006 spielt vor dem „Cthulhu Now“-Hintergrund – also in der Jetztzeit – und richtet sich aufgrund seines bizarren Schauplatzes, der doppelsinnigen Andeutungen und des außergewöhnlichen Verlaufes vor allem an erfahrene und erwachsene Gruppen. Die Investigatoren befinden sich auf dem Weg in die Vorortbereiche einer Großstadt, als die Welt vor ihren Augen verschwimmt. Im nächsten Augenblick finden sie sich in einer verdrehten Umgebung wieder. Die Investigatoren sind in der Egosphäre eines abscheulichen Psychopathen eingetaucht und die Wirklichkeit darin ist völlig anders, als man das von einem „normalen“ Menschen erwarten würde. Dieser Umstand kann ihnen natürlich nicht bewusst sein und so werden sie in der albtraumhaften Welt abscheuliche Andeutungen erleben und immer mehr von der schrecklichen Geisteswelt des Paul Wegner erfahren. Schließlich finden sie heraus, dass er ein kleines Mädchen im Keller seines Hauses als Geisel gefangen hält und müssen einen Weg aus der Egosphäre finden, um das Kind befreien zu können. Das ist alles wirklich starker Tobak und mag einige Spielergruppen abschrecken, weshalb der Spielleiter gut überlegen sollte, ob diese Inhalte zu seiner Gruppe passen. Mit der richtigen Spielrunde ist „Die schreckliche Welt des Paul Wegner" auch heute noch ein hervorragendes Abenteuer.

Deutlich realer und haptischer sind die Schrecken im zweiten „Cthulhu Now“-Abenteuer „Eiskalte Tiefen“, das ebenfalls 2006 zuerst publiziert wurde. Hier verschlägt es die Charaktere auf eine kleine Insel nahe der Antarktis, in deren umliegenden Gewässern ein gnadenloser Feind wartet. Bei der Erforschung treffen die Investigatoren auf eine merkwürdige Katzenpopulation, Tiefe Wesen und untote Angestellte einer Forschungsstation. Schließlich finden sie heraus, dass sie von der dem Untergang geweihten Insel schnell flüchten müssen, bevor die durch Atomtests ausgelösten Kräfte der Natur über sie hereinbrechen. Das Abenteuer eignet sich durch das abgeschottete Setting (einsame Insel im Meer), überschaubare Handlungslokalitäten und wenige Nichtspielercharaktere besonders für Einsteiger. Aber auch erfahrene Spielleiter können die dargestellte Grundgeschichte weiter ausspinnen und ein gelungenes Survival-Horror-Abenteuer erleben.

„Blues für Marnie“ bildet den Abschluss des Bandes und spielt in der für „Cthulhu“ typischen Ära der „Roaring Twenties“. Während die beiden vorgenannten Abenteuer deutsche Eigenproduktionen sind, handelt es sich hier um eine Übersetzung, welche zuletzt in der ersten Edition des „Spielleiterhandbuchs“ (2003) erschienen ist. Das Thema ist Jazz und die „Tonspur“ des Abenteuers wird von dieser Musik dominiert. Darüber hinaus spielen Rassismus und unsterbliche Liebe eine bedeutende Rolle. Der Jazztrompeter Leroy Turner gelangt in den Besitz einer magischen Trompete, die Tote erwecken kann. Zu Beginn ahnt dieser noch nichts von den Fähigkeiten, wodurch sich mehrere schreckliche Zwischenfälle mit willkürlich Wiedererweckten ergeben, wie beispielsweise in einem Tanzklub oder auf einer Beerdigung. Schließlich verfällt Leroy Turner dem Wahnsinn und möchte durch die Fähigkeiten der Trompete seine verstorbene Liebe erwecken – allerdings auf dem großen Stadtfriedhof. Als die Toten erwachen und aus allen Richtungen ein Knirschen und Zucken zu vernehmen ist, müssen die Investigatoren versuchen, das Schlimmste zu verhindern. Auch wenn „Blues für Marnie“ an einigen Stellen die Handlungsfreiheit der Investigatoren zugunsten eines gescripteten Plots schon sehr einschränkt, überzeugt es mit einem ganz besonderen zeitgenössischem Flair der Zwanziger Jahre in den USA. Mit seiner eher überschaubaren Komplexität und kurzen Spieldauer eignet es sich sehr für Einsteigerrunden oder als Schnupperrunde auf Cons.

Fazit: Da steckt noch sehr viel Leben in „Abenteuer aus der Gruft“. Der Abenteuerband glänzt mit sehr guten Abenteuern aus älteren „Cthulhu“-Zeiten, die auch heute noch ein hervorragendes Bild abgeben. Dabei schlagen die drei Abenteuer ganz unterschiedliche Töne an: Während „Die schreckliche Welt des Paul Wegener“ mit einem abgefahrenen und teilweise surrealen Now-Setting überzeugt, das sich vor allem mit der richtigen Gruppe entfaltet, bietet „Eiskalte Tiefen“ ein abgeschottetes Survival-Abenteuer. „Blues für Marnie“ punktet mit der stimmungsvollen Einbettung in den Flair der US-amerikanischen Roaring Twenties.

Abenteuer aus der Gruft I
Abenteuerband
Ole Johan Christiansen, Mark Morrison u. a.
Pegasus 2019
ISBN: 978-3957892171
68 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

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