Nautischer Nachtmahr

„Cthulhu“ und One-Shots – das hat Tradition, das verspricht ganz besondere Ausflüge in den Wahnsinn. Gleich drei Abenteuer dieser Art, vereint durch ein maritimes Thema, bietet „Nautischer Nachtmahr“. Ich bin interessiert.

von Jens Krohnen

Wie in der Einleitung bereits angedeutet, gibt es cthuloide One-Shots mit legendärem Charakter. Dabei haben sowohl Abenteuer aus Übersee – wie „Gatsby und das Große Rennen“ oder „Cold War – Kalter Krieg“ – ebenso einen guten Leumund wie deutschsprachige Perlen wie „Last Men Standing“. Die Möglichkeit, ohne Rücksicht auf Verluste cthuloiden Wahnsinn in einem zeitlich überschaubaren Rahmen über die Spieler zu bringen, ist in Abenteuern, die nun einmal kampagnentauglich sein sollen, nur schwer umzusetzen. Kein Wunder also, dass One-Shots – gerade bei „Cthulhu“ – schon immer ihren Reiz hatten.

„Nautischer Nachtmahr“ nun bringt drei dieser Abenteuer mit vorgefertigten Charakteren, die allesamt das maritime Thema vereint. Los geht es mit „Menschenfracht“ aus der Feder von Dominic Hladek. Hladek, sonst eher aus dem Bereich „Space 1889“ oder „Das Schwarze Auge“ bekannt, begibt sich hier erst zum zweiten Mal in cthuloide Gewässer. Entgegen dem Titel wird es bei diesem Abenteuer eher wenig politisch: Zwar handelt es sich bei den Charakteren ausschließlich um per Seecontainer geschmuggelte Flüchtlinge, doch ist dies nur die Ausgangslage, um einen bizarren, cthuloiden Schrecken zu zeichnen. Denn natürlich verläuft die Reise der Geschmuggelten nicht wie geplant und schon bald finden sie sich in einem Albtraum cthuloider Schrecken wieder.

Ähnlich ergeht es der Besatzung eines russischen U-Bootes in „Eisgefängnis“. Jos Kayser lässt eben diese nämlich an einem äußerst unwirtlichen Ort irgendwo in der Nähe des Nordpols stranden. Nicht nur die widrige Witterung, ein amerikanisches Jagd-U-Boot und aggressive Eskimos machen den hier Eingeschlossenen das Leben schwer, nein, auch cthuloide Schrecknisse verbergen sich hier unter dem ewigen Eis. Den Abschluss bildet dann „Tangaroa“ von Michael L. Jaegers, das die Investigatoren in die Tiefe der Meere führt. Hier, in einer Forschungsstation rund eine Stunde unter dem Meeresspiegel, müssen sie herausfinden, was mit der Besatzung geschehen ist. Enthüllungen in den Unterlagen fördern aber nicht nur die Geschehnisse der letzten Stunden zutage, sondern auch die unlauteren Verstrickungen einzelner Investigatoren mit der Besatzung der Forschungsstation. Reichlich Zündstoff, der hier ausgelegt wurde.

Nach der reinen Inhaltsangabe sei mir eine tiefergehende Kritik erlaubt. Denn leider konnten mich die Abenteuer als Ganzes nicht überzeugen. „Menschenfracht“ hat durchaus seine starken Seiten: Der Beginn im verschlossenen Container ist mehr als stimmungsvoll und tatsächlich auch nicht so verbraucht, wie man meinen könnte. Auch das gewählte Setting ist ohne Zweifel cthuloid und in seiner brutalen Anlage und dem derbem Body-Horror über jeden Geschmacksstreit erhaben – hier muss man schon Genrefreund sein. Doch leider ist mir der Handlungsablauf schlicht zu dünn, denn trotz der interessanten Charakteranlage und dem gelungen Start bleibt den Investigatoren schlussendlich kaum mehr zu tun, als in die cthuloide Geisterbahn zu steigen und schlussendlich auf die eine oder andere Art das Zeitlich zu segnen. Ein anderer Ausgang des Ganzen wird maximal angedeutet und scheint bei der Vielzahl brutaler Möglichkeiten, sein Leben zu verlieren, auch eher unwahrscheinlich.

Ebenfalls traf „Tangaroa“ leider nicht völlig meinen Geschmack, und dass trotz toller Ansätze. Die Verflechtung der Investigatoren in die Handlung auf der Forschungsstation ist gut gelungen. Die Forschungsstation am Meeresgrund ist ein frischer, unverbrauchter Schauplatz. Darüber hinaus merkt man dem Autor die Freude am Recherchieren an – die Hintergrundinformationen wirken sehr fundiert. Einzig: Das Abenteuer ist mir nicht cthuloid genug. So hätte es einem System wie „Unknown Armies“ gut zu Gesicht gestanden – „Cthulhu“-Liebhaber bleiben hier ein wenig auf der Strecke. Auf der anderen Seite bedeutet dies natürlich auch Abwechslung zu den üblichen Hintergründen – und wer das sucht, wird hier fündig.

Bleibt mit „Eisgefängnis“ noch das Abenteuer, welches mir am Besten gefallen hat. Hier sind viele wirklich interessante Optionen geboten, der Autor reiht starke Szenen aneinander und es gibt viel zu entdecken – und für die Investigatoren viel zu entscheiden. Mit dem verdorbenen Eskimo-Kult erhält jeder Kenner von Lovecrafts „Cthulhus Ruf“ auch gleich genügend cthuloide Assoziationen. So ist „Eisgefängnis“ ein rundum gelungenes Abenteuerpaket.

Bebildert wurde „Nautischer Nachtmahr“ leider nicht mit passenden Fotografien, sondern mit Zeichnungen, deren Qualität in meinem persönlichen Empfinden zwischen „gekonnt“, „interessant“ und „stümperhaft“ pendelt. Dazu wirken sie uneinheitlich und manchmal auch schlicht zu explizit. Lobend erwähnen muss ich allerdings die Handouts und Karten, die professionell und hübsch anzusehen aufbereitet worden. Und – ich muss es gestehen – das Cover ist eines der beeindruckendsten, die mir bislang auf den cthuloiden Softcoverbänden begegnet sind. In diesem Band sind mir darüber hinaus weder grobe Schnitzer im Layout noch im Lektorat aufgefallen.

Fazit: „Nautischer Nachtmahr“ vereint ein grandioses Cover, einen bizarren Titel und drei Abenteuer, die mich nicht vollends überzeugen konnten. Natürlich ist das Preis-Leistungsverhältnis weiterhin völlig in Ordnung. Doch die Reihe der cthuloiden Softcoverbände hat schon stärkere Bände hervorgebracht.

Nautischer Nachtmahr
Abenteuerband
Dominik Hladek, Jos Kayser, Michael L. Jaegers
Pegasus 2019
ISBN: 978-3957893031
96 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 9,95

bei pegasus.de bestellen
bei amazon.de bestellen