Abenteuer aus der Gruft II

Mit der Softcover-Reihe „Abenteuer aus der Gruft“ widmet sich Pegasus älteren „Cthulhu“-Abenteuern, die zu Unrecht in der Versenkung verschwunden sind und gebraucht teilweise für viel Geld gehandelt werden. Diese verschütteten Schätze werden entstaubt, für die neue Edition aufpoliert und in neuem Glanz ins Rampenlicht geführt. Nachdem der erste Band der Reihe bereits mit sehr guten Abenteuern von der Vitalität der alten Schätze zeugen konnte, schiebt Pegasus nun die zweite Publikation nach. Kann diese das hohe Niveau des Vorgängers halten, oder zeigen sich bereits die ersten Verwesungserscheinungen?

von Oliver Adam

Im Mittelpunkt von „Abenteuer aus der Gruft II“ stehen zwei Abenteuer und mehrere Kurzabenteuer, die bereits 2003 in der legendären „Deutschland-Box“ erschienen sind. Zum Zeitpunkt ihrer Publikation setzte die „Deutschland-Box“ neue Maßstäbe für gewissenhaft recherchierten historischen Detailreichtum und dessen spielbare Umsetzung. In diesem Zusammenhang bekam das Projekt den Jurypreis als „Bestes Rollenspielprodukt 2003“ des renommierten „Deutschen Rollenspiel Preis“. Das Quellenmaterial dieser Box wurde bereits in Buchform beziehungsweise digital erhältlich gemacht, bei den meisten der enthaltenen Abenteuer warteten die Fans bisher vergeblich auf eine Neuauflage. Mit „Abenteuer aus der Gruft II“ treten diese nun wieder ins Rampenlicht.

Das erste Abenteuer „Finstere Wut" von Ralf Sandfuchs verschlägt die Investigatoren in das Ruhrgebiet des Jahres 1924, das von den emotionalen und finanziellen Folgen des Weltkriegs wie kaum eine andere Region zerrüttet war. Der gescheiterte Kapp-Putsch und die Einigung der eben noch aufständischen Reichswehr mit der Regierung führte zu einer Konzentration der politischen Aktivitäten auf die Situation im Ruhrgebiet, die den Arbeiteraufstand katastrophal enden lies. Wegen ausbleibender Reparationszahlungen besetzten Franzosen und Belgier verschiedene Städte des Ruhrgebiets. Zudem erreicht die Inflation einen traurigen Höhepunkt. Inmitten dieser politischen Gemengelage untersuchen die Investigatoren in einer Bergarbeitersiedlung mehrfache Morde und einen Selbstmord und tauchen dabei tief in das Milieu der Bergarbeiter ein. Die Befragung von Zeugen, die Untersuchung der Leichen sowie eine Expedition unter Tage führen sie auf die Spur einer unheilvollen Verschwörung, in die auch hochrangige politische Aktivisten verwickelt sind. Ein über Millionen Jahre in den Minen gefangener Sternenvampir wurde befreit, der nun das Ruhrgebiet tyrannisiert. Es liegt an den Investigatoren, die Kreatur zu finden und unschädlich zu machen. Das Abenteuer überzeugt mit unverbrauchten Handlungsorten und der gekonnten Einbettung eines investigativen cthuloiden Plots in einen spannenden geschichtlichen Hintergrund.

Weniger um historische Gegebenheiten, sondern um die „Sucht nach Leben“ geht es im zweiten Abenteuer von Stefan Franck. Die neue Sekretärin bezaubert einen in die Jahre gekommenen Industriellen, und dieser setzt alles daran, seine Jugend wiederzuerlangen. Da ihm dabei alle Mittel recht sind, gerät er an einen zwielichtigen Zauberkundigen, dessen Ritual der Ewigen Jugend schließlich misslingt, woraufhin der Antagonist ein mordlüsternes Alter Ego entwickelt. Ganz im Stil des Jekyll-und-Hyde-Motivs zieht dieser nun mordend seine Kreise und entführt seine Angebetete, die gleichzeitig die Schwester eines Investigators ist und daher einen kraftvollen Aufhänger zur Einführung der Investigatoren bietet. Ermittlungen auf einer Hochzeitsfeier, in staubigen Zeitungsarchiven und verdächtigen Wohnungen sowie bei Augenzeugen führen schließlich zum Finale, in dem die Investigatoren gegen den Antagonisten sowie ein verzaubertes Artefakt um das Leben der entführten Schwester kämpfen. „Sucht nach Leben“ verbindet gekonnt eine starke und nachvollziehbare Motivation des Gegenspielers mit einem cthuloid angereicherten Jekyll-und-Hyde-Motiv. Im Rahmen der ausgezeichneten Dramaturgie des Abenteuers wirkt allenfalls der mythoskundige Stadtstreicher, der die Investigatoren recht beliebig mit dem entscheidenden Gegenstand ausstattet, etwas deplatziert. Hier kann der Spielleiter entsprechend eingreifen und diesen Aspekt subtiler oder bereits in Vorabenteuern einbauen.

„Abenteuer aus der Gruft II“ wird von zehn Kurzabenteuern abgerundet, die sich über 20 Seiten erstrecken. Entsprechend des Mottos „eigene Kreativität mit einer Spur Stützradmentalität“ haben diese zum Ziel, die Fantasie des Spielleiters anzuregen. Die Plots decken dabei ein weites Spektrum ab. „Der weinende Brunnen“ richtet sich an Einsteiger und befasst sich mit einem verzauberten Brunnen, während „Die Farbe Rot“ die aktive Künstlerszene des frühen 20. Jahrhunderts aufgreift. „Fastnacht in Itzach“ beschäftigt sich mit merkwürdigen Vorkommnissen zur Fastnacht im Schwarzwald, wenn sich die Traumlande und die Wache Welt gefährlich überlagern. In „Der Knappe“ erwacht ein 600 Jahre alter Geist und nimmt Besitz von einem Bekannten eines Investigators. Eine besondere Behandlung der „Kriegszitterer“ führt in dem gleichnamigen Abenteuer zu ungewollten Nebenwirkungen, und in „Das Rennen“ nehmen die Investigatoren an einem Autorennen durch Deutschland teil, bei dem es zu rätselhaften Unfällen kommt. „Rübezahl“ greift die gleichnamige Sage auf und verknüpft sie mit den Mythoswesen der Mi-Go. „Zelluloid“ zeigt den Einfluss des Königs in Gelb auf die Filmindustrie der Zwanziger Jahre. „Schattenspiel“ beleuchtet grauenhafte Morde in einer Großstadt, bei dem den Opfern die inneren Organe entnommen wurden, und zeigt, dass hinter bestialischen Morden manchmal auch menschliche Motive verborgen sind. „Die Trophäe“ umreißt schließlich einen Kult rund um Shub-Nigurrath in einem kleinen Dorf. Die Abenteuer decken eine große Bandbreite an Möglichkeiten und Themen ab, sodass für jeden etwas zur Anreicherung eigener Abenteuer und Kampagnen dabei sein sollte. Für mich stechen aus dieser Sammlung insbesondere „Fastnacht in Itzach“ und „Rübezahl“ aufgrund ihrer neuartigen Grundideen hervor.

Fazit: Mit „Finstere Glut“ und „Sucht nach Leben“ bringt der Band „Abenteuer aus der Gruft II“ zwei sehr gute ältere Abenteuer zurück ins Rampenlicht, die bereits 2003 im Rahmen der „Deutschland-Box“ ihre Erstauflage hatten. Dabei sind die beiden Abenteuer inhaltlich sehr unterschiedlich. Während „Finstere Glut“ einen investigativen cthuloiden Plot mit dem spannenden geschichtlichen Hintergrund der Zwanziger Jahre verknüpft, punktet „Sucht nach Leben“ mit einem klassischen und cthuloid angereicherten Jekyll-und-Hyde-Motiv. Abgerundet wird die Publikation von zehn Kurzabenteuern mit großer thematischer Bandbreite. Alle Materialien wurden gegenüber dem Urtext lediglich an die Regeln der Edition 7 angepasst sowie die beiden Abenteuer mit einem Übersichtskasten versehen. Wer sich glücklich schätzen kann, die „Deutschland-Box“ bereits zu besitzen, hat keinen Grund, hier nochmal zuzuschlagen. Für allen anderen „Cthulhu“-Spielleiter lohnt der Kauf der sehr lebendigen „Abenteuer aus der Gruft II“ auf alle Fälle.

Abenteuer aus der Gruft II
Abenteuerband
Ralf Sandfuchs, Stefan Franck u.a.
Pegasus Press 2019
ISBN: 9783957893024
68 S., Softcover, deutsch
Preis: 9,95 Euro

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