von Daniel Pabst
Der Autor James Tynion IV ist kein Unbekannter in der Comic-Welt. Er durfte bei zahlreichen Superhelden-Comics („Batman“ und „Der Joker“) und Horror-Comic („Something is Killing the Children“, „The House of Slaughter“ und „Das Haus am See“) sein Talent unter Beweis stellen. Nun widmet er sich dem „Herren der Träume“ – Neil Gaiman‘s „Sandman“. Erschienen ist die deutsche Version von „Sandman – Albtraumland“ bei Panini Comics. Der Originaltitel von DC Comics lautet: „The Sandman Universe: Nightmare Country“.
Zum „Sandman“ hat Tynion IV eine besondere Beziehung: Der Comic „Sandman“ sei sein absoluter Lieblingscomic. Dieser sei es sogar gewesen, der ihn dazu brachte, eigene Comics zu schreiben (https://www.youtube.com/watch?v=duGF5nldoxQ&ab_channel=IGN). Jetzt also ist es an der Zeit, dass er mit dieser Figur selbst „spielen“ darf! Was hat er mit „Sandman – Albtraumland 1 – Der Lächelnde Mann“ geschaffen? Wie vermengt er das Genre der Fantasy mit dem des Horrors? Sind wir dafür bereit?
Vorab eine kurze Einordnung dieses neuen Comics: „Sandman – Albtraumland 1 – Der Lächelnde Mann“ spielt weiterhin im Universum des von Neil Gaiman geschaffenen „Sandman“ (unter anderem ebenso bekannt für: „Coraline“, „American Gods“, „Good Omens“). Gaiman’s Comic (Originaltitel „The Sandman“) erschien ursprünglich von Januar 1989 bis März 1996 und handelt von „Dream“, einem der Ewigen. Es treten neben ihm weitere mächtige Wesen auf, die über verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens befehlen, wobei alle mit dem Buchstaben „D“ anfangen („Death“, „Desire“, „Delirium“, „Destiny“, „Despair“, „Destruction“).
Nach der Hörspiel-Adaption von Audible („The Sandman“ von Audible Originals) veröffentlichte der Streaming-Riese „Netflix“ im letzten Jahr die erste Staffel von „Sandman“. Diese Staffel ist dabei nur der Beginn einer größeren Erzählung, die in den folgenden Netflix-Staffeln ihr volles Ausmaß annehmen wird. Auch darf man gespannt sein, welche weiteren Kurzgeschichten – wie in der aktuellen Staffel: „Der Traum der tausend Katzen“ und „Kalliope“ (Staffel 1, Folge 11) – wir zu sehen bekommen dürfen.
Auf dem Cover des Comics nun sehen wir den Albtraum und Serienmörder namens „Der Korinther“. Dieser intrigiert gegen seinen Meister „Dream“ und verursacht dabei allerlei Chaos. Sein spezielles Charaktermerkmal ist es, dass er Münder statt Augen hat, welche er meist hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Ähnlich wie in E.T.A. Hoffmanns Werk „Der Sandmann“ (1816) giert es den Korinther nach den Augen seiner Opfer.
Im Comic von James Tynion IV spielt der Korinther im Albtraumland ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel mit anderen übernatürlichen, grausamen und gefühllosen Wesen. In so einem Schauer-Ensemble an Phantasie-Figuren haben es die Menschen nicht leicht. Dies bekommt am Stärksten die junge Künstlerin Madison Flynn zu spüren. Nicht dass man als Künstlerin (beziehungsweise Künstler) undankbar wäre über jede Menge Inspiration für das eigene neue Werk – aber das, was Madison Flynn erlebt, treibt sie an die Grenze des Wahnsinns ...
„Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“, heißt das grafische Werk von Francisco Goya (spanischer Künstler, 1746-1828). Wie auch immer Goyas Werk zu deuten ist, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wenn man „Sandman – Albtraumland 1 – Der Lächelnde Mann“ gelesen hat. Wie schon in „Das Haus am See“ von James Tynion IV spielt der Autor nämlich mit seinen eigenen Ängsten und Albträumen. Nicht ohne Grund hat er in einem Interview aus dem August letzten Jahres angegeben, dass dasjenige, vor dem wir uns am Meisten fürchten, das Meiste über uns aussagt („What we are all most afraid of says the most about us“, screenrant.com/sandman-nightmare-country-james-tynion-iv-interview-sdcc/) .
Für James Tynion IV war es bei der Entwicklung der Geschichte weiter wichtig, dass dieser Comic auch Einsteigern und Einsteigerinnen den Weg in die (alb)traumhafte Welt des Sandmanns ermöglicht. Ob man daher die erste Staffel auf Netflix gesehen hat oder nicht, ist nicht besonders entscheidend für dieses Leseerlebnis. Wer jedoch die Staffel gesehen hat, dem werden einige Figuren bekannt vorkommen (zum Beispiel „Matthew“ der Rabe, „Lucien“ der Bibliothekar oder eben „Dream“ und „Der Korinther“).
Neben den phantastischen Traumsequenzen ist der Horror omnipräsent. Dies drückt sich in Form des sogenannten Bodyhorrors aus, da manche Charaktere ihre Körperteile an den falschen Stellen haben und Körperteile abgetrennt werden. Allein der Korinther mit seinen zahngefüllten Augen und Zungen ist etwas, das sich nicht einfach mal so nebenbei ansehen lässt – und daher abschrecken könnte, diesen Comic zu lesen.
Ein weiteres Merkmal von James Tynion IV ist der Bezug zur aktuellen (amerikanischen) Geschichte. Bereits auf dem Cover (Reiko Murakami) trägt der Korinther einen medizinischen Mundschutz mit der aufgedruckten Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika. Nicht ganz zufällig, heißt das Credo der Vereinigen Staaten von Amerika: „American Dream“. Ist es vielleicht in Wirklichkeit ein: „Nightmare“? Weiterhin behandelt James Tynion IV die Kultur- und Kunstszene, indem er in diesem Comic den Einfluss mächtiger weißer Männer hinterfragt, die sich mit Politik und Sex die Zeit vergnügen – und sich als irdische Götter berufen fühlen.
Am Ende dieses Comics wurde auch eine Kurzgeschichte abgedruckt, die sich der Schriftstellerei widmet. Darin soll ein Autor für eine TV-Serie ein Skript schreiben. Darin könnte man – angesichts des Aussehens des Autors – eine persönliche Geschichte von James Tynion IV sehen. Dann jedoch driftet die Geschichte in die Phantasie ab und die Figur des Autors sitzt plötzlich einer nackten Frau gegenüber, die ein sonderbares Ritual initiiert …
Wie die Erzählung der Kurzgeschichte sowie die Haupthandlung weitergehen, und ob dem „Lächelnden Mann“ das Lachen vergehen wird, bleibt in diesem Band noch nebelhaft. Ist der Korinther der lebende Albtraum? Wo liegt das „Albtraumland“? Dass neben James Tynion IV ein so breites Spektrum an Zeichnerinnen und Zeichnern (Lisandro Estherren, Yanick Paquette, Andrea Sorrentino, Francesco Francavilla, DaNi und Aaron Campbell) an diesem Comic arbeiten, gibt Grund zur Vorfreude. Der Wechsel des Zeichenstils, passt sich gut an den Verlauf der Haupthandlung an (die Kurzgeschichte ist von Maria Llovet gezeichnet und koloriert worden).
Die Zeichnungen sind insgesamt düster und rau. Auch die Farben (Patricio Delpeche, Nathan Fairbairn, Jordie Bellaire und Tamra Bonvillain) entsprechen einer (alb-)traumhaften Szenerie. Hin und wieder blicken wir auf den Seiten auf nackte Haut und lesen dazu Gedanken, Wünsche und Träume rund um das Thema „Sex“ – wobei sich auch hier die (Alb-)Traumwelt und die Wachwelt abwechseln. Da lässt „Der Nachtmahr“ (1781) von Johann Heinrich Füssli grüßen – und zeigt einmal mehr, dass die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit die Kunst über Jahrhunderte hinweg begleitet hat und weiter begleiten wird …
Leseprobe
Fazit: Dieser Comic ist stark und lesenswert! Als Leser oder Leserin wird man Teil des fiesen Spiels, welches der Albtraum mit den Träumenden spielt. James Tynion IV konfrontiert uns mit Ängsten. Hat nicht jede und jeder bereits etwas Furchtbares geträumt? Man könnte resümieren, dass es letztlich darauf ankommt, wie man mit dem „Erlebten“ umgeht, wenn einen die Wirklichkeit wiederhat. Bis wir erfahren werden, wie es für Madison Flynn und die anderen weitergehen wird, bleibt zu hoffen, dass einen die Bilder aus „Sandman – Albtraumland 1 – Der Lächelnde Mann“ nicht des Nachts begegnen werden. Vorbei sind die Zeiten, in denen es hieß: „Sandmann, lieber Sandmann …“. Gute Nacht!
Sandman – Albtraumland 1 – Der Lächelnde Mann
Comic
James Tynion IV, Lisandro Estherren
Panini Comics 2023
ISBN: 978-3-7416-2977-8
164 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 19,00
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