The Many Deaths of Laila Starr

„Who Wants to Live Forever?“ heißt ein Queen-Hit aus dem Jahre 1986. Die darin besungene Frage nach dem ewigen Leben, ist einfach nicht totzukriegen. Immer wieder beschäftigen wir Menschen uns mit dem „Ende“. Warum ist das so? Der Comic „The Many Deaths of Laila Starr“ von Ram V und Filipe Andrade fügt sich in die schier endlos lange Reihe an Werken über die menschliche Sterblichkeit. Und dennoch: Dieser Comic verblüfft und versprüht eine Lebendigkeit, die so nicht zu erwarten war. Wer hat Lust auf Gedankenspiele?

von Daniel Pabst

Der Comic beginnt mit einem Paukenschlag. In Mumbai geht die Sonne unter, während weit über den Wolken eine Frauengestalt zu ihrem „Chef“ gerufen wird. Er verkündet: „Tod. Ich fürchte, wir müssen dich entlassen“. Hier wird der Tod aus heiterem Himmel abgeschafft. Die Tragweite dieser Entscheidung ist nicht wirklich absehbar. Parallel zu diesem furiosen Start des Comics, lesen wir einerseits, wie sich eine schwangere Frau den Weg ins Krankenhaus bahnt, um ein neues Leben auf die Welt zu bringen, und andererseits sehen wir, wie eine junge Frau bei einer Abschlussparty aus dem Fenster stürzt. Der Tod scheint sein letztes Opfer zu fordern …

Grund für die Entlassung ist eine Umstrukturierung im Himmel, welche den Akten zufolge nötig geworden sei. Denn da steht: „Am zwölften Tage des zwölften Monats wird es der Menschheit geboren, das Kind, welches ewiges Leben bringt“. Das kann der Tod nicht auf sich beruhen lassen. Daher plant er, das Neugeborene zu töten und das „gottgegebene“ Schicksal schleunigst umzukehren. Um diese mörderische Mission zu erfüllen, muss der Tod jedoch eine menschliche Form annehmen. Hierfür übernimmt er den Körper der jungen Frau, die nach dem Sturz ihren Verletzungen erlegen war und noch im selben Krankenhaus wie das Kind liegt.

Zur Ironie der Geschichte gehört also, dass der Tod die Form einer Sterblichen annimmt, wodurch er das erste Mal einer Verstorbenen „Leben schenkt“. In der Haut eines Menschen überkommt ihn sodann die Vernunft und er zögert mit der Ausführung seines Planes. Noch ehe er dazu kommt, sich zu einer Handlung durchzuringen, wird er vom Krankenhauspersonal aus der Station der Neugeborenen vertrieben. Bei der Flucht passiert dann das Unvorstellbare: Der Tod wird von einem herannahenden Truck überfahren und stirbt. Ende?  

An dieser Stelle beginnt der Comic so richtig Fahrt aufzunehmen. In Gestalt der toten jungen Frau namens Laila Starr erlebt der Tod, welche Wunder das Leben bereithält. Und dennoch ist Laila Starr weiter auf der Suche nach dem „Wunderkind“ namens Darius, welches in der Zukunft das ewige Leben bringen soll. Je länger sie sich im Menschenkörper befindet, desto mehr begreift sie, was Gefühle sind, und wie die Menschen mit dem Tod umgehen. Gelegenheit zum „Leben“ erhält sie – auch nach dem Zusammenstoß mit dem Truck – immer wieder durch Pranah, der sie „zurückholt“ (daher der widersprüchliche Titel: „Many Deaths“).

Laila Starr altert dank der Lebensenergie nicht; Darius dagegen schon. Von daher steigen wir in den einzelnen Kapiteln in unterschiedliche Lebensphasen des „Wunderkinds“ ein. Wird ihm die Erfindung der Unsterblichkeit gelingen? Da dieser Comic in Indien spielt, fiele es leicht, anhand den Charakteren und Motiven allein einen direkten Bezug zum Hinduismus zu sehen. Es lässt sich aber mehr entdecken. Trotz – oder wegen (?) – des Themas entwickelt sich ein Leseflow, der Laune macht, sich mit dem Tod auf die Reise zu begeben. Zum einen liegt das an der Komposition des Autors Ram V (selbst aufgewachsen in Mumbai). Zum anderen sind die Zeichnungen und Farben von Filipe Andrade (Farbassistenz von Inês Amaro) unheimlich gut gelungen.

Durch die Zeichnungen wird dieser Comic beinahe zu einem Film, der einen an die Hand zu nehmen weiß. Denn an den entscheidenden Stellen variieren die Panels in der Größe und Farbintensität. Hier wurde sehr sorgfältig am Tempo und der Stimmung justiert. Dies kommt nicht von ungefähr. Wie man im Nachgang des Comics im abgedruckten 8-seitigen Text „Spielen nach Gehör“ (Übersetzung aus PanelxPanel #47, Juni 2021: https://panelxpanel.gumroad.com) liest, hat Filipe Andrade beim Zeichnen eine „Kamera“ im Kopf, „die sich darauf konzentriert, die Geschichte und ihre Charaktere strahlen zu lassen“. Der Autor Ram V denkt beim Schreiben passend dazu „visuell“ und sieht sich mit Filipe Andrade als Teil einer Band, in der er seinem Kollegen nicht vorschreiben möchte, „welche Noten er wann spielen soll“.

Rundum glücklich ist das abgedruckte Bonus-Material dieser Ausgabe (erschienen bei Cross Cult) zu bezeichnen. Angefangen mit einem Vorwort von Fábio Moon, über Nachworte von Ram V und Filipe Andrade sowie dem obig genannten 8-seitigen Text, der nicht nur die Gedanken von Ram V, Filipe Andrade und Deron Bennett (AndWorld Design Lettering Studio) beinhaltet, sondern auch eine Seite mit den Lieblingssequenzen der Beteiligten. Hinzu treten zwei Seiten mit Artwork von Filipe Andrade. Abgerundet wird alles durch die fünf Serien-Cover. Das Ganze abgedruckt in der Maße eines Hardcoverbandes von 16 x 24 cm.

Fazit: Diesen Comic zu lesen, bereitet viel Freude. Einer Meditationsübung ähnelnd, gleiten die Lesenden mit ihren Augen über die lebendigen Bilder. Angesichts des gewählten Themas war eine Geschichte zu befürchten, die man so schon x-mal gelesen hat. Dass das nicht eingetreten ist, liegt an den vielen emotionalen und berührenden Momenten der Geschichte, sowie den wunderschön anzusehenden Zeichnungen und Farben. Trotz seiner indischen Prägung ist „The Many Deaths of Laila Starr“ als universeller Comic zu lesen und erzählt von der Schönheit unseres menschlichen Lebens.

The Many Deaths of Laila Starr
Comic
Ram V, Filipe Andrade
Cross Cult 2023
ISBN: 978-3-98666-138-0
128 S., Hardcover, Deutsch
Preis: 25,00 EUR

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