von Michael Wilhelm

Der 1862 geborene Montague Rhodes James galt als geselliger Bücherwurm. Zahlreiche in Anthologien ab 1904 veröffentliche Spuk- und Gruselgeschichten stammen aus seiner Feder. Diese trug er im Kreise von Freunden und Familie besonders in der Weihnachtszeit vor. Das Außergewöhnliche an seinen Geschichten ist, dass er aufgrund seiner Kenntnisse als Historiker über einen reichen Schatz an Hintergrundwissen verfügte und dies zur Schaffung plausibler Charaktere und Settings nutzte. Viele seiner Protagonisten sind selbst historische Wissenschaftler oder Altertumsforscher. Das verlieh seinen Geschichten und den Charakteren eine Glaubwürdigkeit, die zu dieser Zeit noch ungewöhnlich war. Er vermochte es geschickt, Fiktion und historische Fakten zu verbinden, um realistische Gruselgeschichten zu verfassen.

Damit war M. R. James ein Vorbild und eine Inspiration für die nächste Generation von Genre-Autoren, insbesondere H. P. Lovecraft und Clark Ashton Smith, die seinen authentischen Stil nachahmten, ohne wirklich über seine historischen Kenntnisse zu verfügen. Das Ergebnis mag gerade bei Lovecraft zwar weniger subtil sein, dafür aber umso langlebiger und genießt bis heute anhaltende Popularität.

Auch die nun bei Titania Medien als Hörspiel erschienene Geschichte nutzt ein plausibles Setting und der Umgebung des Autors nahestehende Charaktere als Protagonisten. Dabei ist „Runenzauber“ keine willkürliche Wahl, sondern nicht zuletzt dank einer britischen Verfilmung aus dem Jahr 1957 die wahrscheinlich bekannteste Geschichte aus M. R. James’ Feder. Der Film war zwar erst in den späten 1970ern in einer gekürzten Fassung im deutschen Fernsehen zu sehen, aber auch heute finden sich unter dem Titel „Fluch des Dämonen“ beziehungsweise „Night of the Demon“ bei Youtube noch Ausschnitte daraus, und zumindest die englischsprachige Version ist als DVD erhältlich. Wirklich gruselig ist das nach heutigen Maßstäben nicht, aber irgendwie ganz witzig anzusehen.

Die Geschichte spielt im Jahre 1899 in London. Der geheimnisvolle Okkultist Mr. Karswell hat eine Abhandlung über Runenmagie geschrieben, die von dem Kritiker Edward Dunning geradezu verrissen wurde. Der der Lächerlichkeit preisgegebene Autor sinnt dafür auf Rache. Dabei scheint hinter dem von den gelehrten Helden zunächst verachteten und nicht ernst genommenen Sonderling mehr zu stecken, als zunächst gedacht. Auch ein schon länger zurückliegender Todesfall geht wohl auf sein Konto. In dem Zusammenhang spielen die in der umstrittenen Abhandlung beschriebenen Runen und die Beschwörung von Dämonen eine wesentliche Rolle.

Das Katz- und Maus-Spiel, das sich nun entspinnt, mag zwar durchaus stimmungsvoll sein, wirkliche Spannung oder echter Grusel kommt beim Hörer aber eher weniger auf. Die Sprecher, insbesondere Horst Naumann als Mr. Karswell, legen sich zwar echt ins Zeug. Dafür sind aber die Dialoge teils ziemlich langatmig. Über die solide Produktionsqualität der Reihe „Gruselkabinett“ braucht man keine Worte verlieren. Da steht das hier vorliegende Hörspiel den anderen in keinster Weise nach.

Fazit: Der 140. Ableger der Reihe „Gruselkabinett“ erzählt eine stimmungsvolle, wenn auch nur bedingt gruselige Geschichte. Die Reihe ist immer wieder eine gute Gelegenheit, auch weniger bekannte Autoren und ihre Erzählungen kennenzulernen. Dank der bewährten Sprecher und der guten akustischen Umsetzung erfüllt „Runenzauber“ produktionstechnisch in vollem Umfang die Erwartungen ans „Gruselkabinett“, im Storybereich könnte aber noch ein wenig an der Spannungsschraube nachgestellt werden.

Gruselkabinett 140: Runenzauber
Hörspiel nach einer Erzählung von M. R. James
Marc Gruppe
Titania Medien 2018
ISBN: 978-3-7857-5720-8
1 CD, ca. 59 min., deutsch
Preis: EUR 6,99

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