von Frank Stein
Anfang des 19. Jahrhunderts kommt der elfjährige Waisenjunge Stephen Elliot nach Aswarby Hall, wo er unter der Fittiche von Mr. Abney, eines weit älteren, entfernten Verwandten, aufwachsen soll. Im Butler Mr. Parkes und der Haushälterin Mrs. Bunch findet er zwei angenehme, wenn auch ebenfalls deutlich ältere Mitbewohner. Der Hausherr selbst wirkt dagegen etwas eigenartig. Nicht zuletzt fällt sein eigenartiges Interesse an Stephens genauem Alter auf.
Eine Weile führt Stephen ein unbeschwertes Leben auf dem einsamen, großen Landgut mit seinen umgebenden Parkanlagen. Doch dann mehren sich unheimliche Ereignisse. Der Junge glaubt Stimmen zu hören und sieht Erscheinungen eines Mädchens und eines italienisch wirkenden Jungen. Was hat es mit diesen Kindern auf sich? Spukt es etwa in Aswarby Hall? Und wenn ja, warum finden diese unglücklichen Seelen keine Ruhe?
Es ist während des Hörens nicht schwer zu erahnen, worum es letztlich in dem Hörspiel geht – trotzdem möchte ich es hier nicht verraten, denn es müssen ja nicht mehr Spoiler sein als nötig. Sicher ist jedenfalls schon bald, dass sich der junge Stephen in höchster Gefahr befindet und das Landhaus ein sehr dunkles Geheimnis hat. Das alles ist spannend und unheilverheißend inszeniert. Man hat die vielen anderen einsamen, bösen Landhäuser im Sinn – fast schon so etwas wie ein klassisches Gruselmotiv –, wenn man der Geschichte lauscht.
Einen kapitalen Fehler hat Autor Marc Gruppe allerdings bei der Adaption begangen: Er lässt einen deutlich älteren Stephen Elliot die Geschehnisse von damals Revue passieren. Das verrät leider schon in Minute eins des Hörspiels, dass Stephen der Gefahr, die in Aswarby Hall auf ihn wartet, entgehen wird. In der Vorlage bleibt der Ich-Erzähler ein Außenstehender, was deutlich besser gewesen wäre, um die Spannung aufrechtzuerhalten. (Was nicht heißen soll, dass die Vorlage spannender zu lesen wäre, tatsächlich hat das Hörspiel hier die Nase vorn. Es verschenkt allerdings einen starken Unsicherheitsfaktor unnötig.)
Die Sprecher machen ihre Sache allesamt gut. Der junge Alexander Mager mag als Stephen Elliot ein wenig künstlich klingen, nicht ganz so natürlich, wie man es sich wünschen würde. Aber das fällt nur Momente lang auf, dann nimmt man es als Wesen des Jungen hin. Uli Krohm gibt den Mr. Abney gelungen unheimlich – nett, aber auch irgendwie „creepy“. Und Kaspar Eichel wie auch Dorothea Walda sind ein routinierter Support Cast. Auch Musik und Geräusche sind diesmal ausgesprochen gelungen, sodass die mal heimelige, mal schauerliche Atmosphäre des Orts mit seinen knarrenden Türen und dem um die Ecken pfeifenden Wind gut vermittelt wird.
Das stimmungsvolle Cover von Ertugrul Edine zeigt einen der besonders gruseligen Momente des Hörspiels. Der Filmkenner fragt sich hier natürlich sofort, ob Stanley Kubrik (bzw. Stephen King) sich für die Badewannenszene in seinem Werk „Shining“ seinerzeit von M. R. James hat inspirieren lassen oder Edine von den Bildern im Film „Shining“. Auch in der Geschichte selbst herrschen hier Parallelen mit jeweils einem „verbotenen Zimmer“. Man weiß es nicht.
Fazit: Mit „Verlorene Herzen“ hat Titania Medien eine erfreulich schaurige Vorlage gekonnt als Hörspiel inszeniert. Sprecher, Geräusche und Musik beschwören erfolgreich die unheilvolle Atmosphäre des einsamen Landhauses Aswarby Hall herauf. Einzig den jungen Protagonisten auch als erwachsenen Erzähler einzusetzen, war meines Erachtens ein dramaturgischer Fehler, der einem als Hörer die Ungewissheit raubt, ob Stephen Elliot die Geschichte überleben wird. Dennoch: Diese Episode passt perfekt ins „Gruselkabinett“ und kann als gutes Beispiel herhalten, wofür diese Reihe steht (und stehen sollte).
Gruselkabinett 101: Verlorene Herzen
Hörspiel nach einer Erzählung von M. R. James
Marc Gruppe
Titania Medien 2015
ISBN: 978-3-7857-5118-3
1 CD, ca. 48 min., deutsch
Preis: EUR 6,99
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