Everdell

Wer hätte geahnt, dass tief im Wald in einem Tal mit einer saftig grünen Wiese ein solch friedvoller Platz auf uns warten würde? Dort steht majestätisch und einladend auf einer Lichtung der Immerbaum. Nun können es die Eichhörnchen und die anderen Waldbewohner einfach nicht mehr erwarten, dort im Schutz seiner Äste ihre kleine Stadt zu errichten. Ein arbeitsreiches Jahr liegt vor ihnen.

von Oliver Clemens

Seit seinem Erscheinen im Jahr 2018, hat das via Crowdfunding entstandene „Everdell“ bereits zahlreiche Preise im englischsprachigen Ausland gehamstert. Das hatte die Vorfreude der deutschen Brettspiel-Community entsprechend angeheizt, die lange auf die Handelsversion des Kennerspiels warten musste. Jetzt hat Pegasus das Grundspiel nach Deutschland gebracht. Und dort werden auch zukünftig die Erweiterungen erscheinen.

Das Ziel von „Everdell“ ist es, aus maximal 15 Karten eine Stadt aufzubauen, die zur Abschlusswertung die meisten Punkte bringt. Dazu braucht es jedoch vier Rohstoffe: Holz, Harz, Kiesel und Beeren. An diese kommt man durch das Einsetzen seiner Tier-Arbeiter auf dem Spielplan oder auf bereits errichteten Gebäuden in den Kartenauslagen. Dabei werden, beginnend mit dem Winter, vier Jahreszeiten durchgespielt – jedoch asynchron. Das bedeutet, dass zwar die Spieler*innen nacheinander im Uhrzeigersinn am Zug sind, sich aber in unterschiedlichen Jahreszeiten aufhalten können. Somit endet „Everdell“ in der Regel für alle am Tisch zu unterschiedlichen Zeitpunkten.



Zu Beginn schnappen sich die Spieler*innen die sechs niedlichen Tier-Meeple in ihrer Wunschfarbe. Zwei davon kommen in den eigenen Vorrat und können sofort genutzt werden, der Rest wird auf den Zweigen des Immerbaums platziert. Der thront auf dem Spielplan. Erst beim Wechsel der Jahreszeiten gehen diese in den eigenen Vorrat über. In der Baumkrone und am entlang des Flusslaufs werden auch Ereigniskarten platziert. Ein dicker Nachziehstapel aus Gebäude- und Wesenkarten lagert an den Wurzeln des Baumes, der optisch ganz schön was her macht. Vom Nachziehstapel werden acht Karten offen auf die Wiese gelegt und je nach Spieler*innenanzahl und Startposition erhalten alle am Tisch eine unterschiedliche Anzahl an Karten für die Hand. Die bleiben verdeckt. Ebenfalls an der Spieler*innenzahl orientiert sich, wie viele der Waldkarten links und rechts der Wiese noch zufällig ausgelegt werden. Sie zeigen attraktive Aktionsfelder zum Einsetzen der Tier-Meeple. Die Rohstoffe kommen zu den entsprechenden Rohstofffeldern, Punkte- und sogenannte Besetztmarker warten abseits des Spielplans. Jetzt kann es losgehen. Insgesamt dauert der Aufbau nicht länger als entspannte zehn Minuten.



Wer am Zug ist, hat immer drei Möglichkeiten: Setze einen deiner Arbeiter ein, spiele eine Karte in die eigene Stadt oder wechsele die Jahreszeit. Wie bei jedem anderen klassischen Worker-Placement-Spiel, geht in der ersten Aktion ein Arbeiter aus dem eigenen Vorrat auf ein Einsetzfeld. Im Gegenzug erhält man die darauf abgebildeten Ressourcen oder Karten oder die Kombination aus beidem. Hat man so genügend Rohstoffe gesammelt, darf man diese abgeben und ein Gebäude aus der Hand oder der offenen Wiesenablage vor sich ausspielen.

Diese Karten unterscheiden sich in Gebäude und Tierwesen in fünf unterschiedlichen Farben. Je nach Farbe haben sie unterschiedliche Effekte, die sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktivieren. Einige bringen davon unmittelbar ein Einkommen in Form von Rohstoffen, andere vergünstigen das Bauen von Karten oder bieten zusätzliche Einsetzfelder. Besonders attraktiv sind aber auch die, welche zum Schluss zusätzliche Siegpunkte generieren. Beim Ausbau der Stadt bietet „Everdell“ aber einen besonderen Clou. Jede Gebäudekarte zeigt das Porträt eines Bewohners. Der kann kostenlos dort einziehen, wenn das Gebäude in der eigenen Stadtauslage errichtet wurde. So passen der Lehrer hervorragend in die Schule und der Ladeninhaber perfekt in den Gemischtwarenladen. Aus diesen Kombinationen entstehen starke Synergien für den nächsten Bau oder lukrative Siegpunkte für die Endwertung.



Wer keine Aussicht mehr auf einen sinnvollen Zug hat, wechselt in die nächste Jahreszeit. Alle eingesetzten Arbeiter kommen zurück in den Vorrat. Außerdem löst der Immerbaum noch einen Effekt aus. Je nach Jahreszeit setzt er zusätzliche Arbeiter frei oder interagiert mit den Karten der eigenen Stadt. Da jede Spieler*in für sich entscheidet, wann die nächste Jahreszeit aktiviert wird, kommt so der asynchrone Moment in das Spiel. Beispielsweise können sich die Igel schon im Herbst darauf fokussieren, maximale Punkte zu ergattern, während die Eichhörnchen im Sommer noch an den optimalen Kartenkombis in der eigenen Stadtauslage planen und Rohstoffe einsammeln. Haben alle Spieler*innen im Herbst ihre letzte Aktion gemacht, wird abgerechnet und Punkte gezählt. Die Person mit den meisten Punkten gewinnt.

Zu zweit dauert eine Partie „Everdell“ etwa eine Dreiviertelstunde, verlängert sich aber bei mehreren Mitspieler*innen spürbar. Wie immer steckt ein Grund dafür in den Personen selbst. Je mehr über den optimalen Zug gegrübelt wird, desto mehr Zeit vergeht. Auch wenn die Schachtel 40 bis 80 Minuten angibt, kann eine 4-Personen-Runde die 2-Stunden-Zeitmarke sprengen. Das fühlt sich dann definitiv zu lang an.



Wer darauf keine Lust hat, sollte einfach den Solomodus gegen den fiktiven Gegner Füsselwurz spielen. Dieser blockiert Einsetzfelder und stibitzt Karten nach dem Zufallsprinzip. Füsselwurz bietet Herausforderung auf drei verschiedenen Schwierigkeitsgraden für Solo-Spieler*innen.

Neben seinem soliden Spielprinzip, punktet „Everdell“ vor allem durch sein unglaublich liebevolles und wertiges Material. Die Karten und Kartonmarker sind stabil, die Meeple sind aus Holz gefertigt und die Rohstoffressourcen aus bunten Kunststoffen. Das sieht nicht nur klasse aus, sondern fühlt sich auch alles zudem gut an. All das passt hervorragend in ein Kunststoffinlay in der Schachtel. Das Prunkstück ist, wie bereits erwähnt, der Immerbaum aus dicker Pappe. Bei aller Qualität: Da der Baum beim Aufbau aber immer erneut von oben zusammengeschoben werden muss, leidet da die Pappe an diesen Stellen. Deswegen: Zusammengebaut lassen und ins Regal stellen.



Die Anleitung umfasst zwar 22 Seiten, muss aber niemanden abschrecken. Erstens ist sie wirklich verständlich und einfach geschrieben, zudem ist sie groß gedruckt und reichlich bebildert – das braucht natürlich Platz! Außerdem nimmt sich das Regelheft sogar Raum für ein ausführliches Glossar, das nur bei Bedarf gelesen werden muss, eine kleine Erzählung und ein Gedicht. So reduzieren sich die Regeln auf lediglich neun überaus hilfreich bebilderte Seiten in Großdruck. Das passt!



Fazit: „Everdell“ ist ein einsteigerfreundliches Kennerspiel mit überschaubaren Regeln, aber doch vielen Entscheidungen auf dem Weg zu den meisten Punkten. Die Vielzahl an unterschiedlichen Karten und der variable Aufbau sorgen für jede Menge strategische Flexibilität. Und vor allem: Der sich gut ergänzende mechanische Mix aus Engine Builder und Worker Placement ist einfach optisch hinreißend schön umgesetzt.

Everdell
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler
James A. Wilson
Pegasus Spiele 2021
EAN: 4250231727238
Sprache: deutsch
Preis: ca. EUR 60,00

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