Ecogon

Also schön, das Kaninchen hat seine Quecke und seine wilde Möhre und ist damit zufrieden, und der Fuchs freut sich schon auf das Kaninchen, braucht aber noch ein kleines Tier, um sich zu etablieren. Das könnte natürlich der Weißling sein, den man auch an die Wilde Möhre anlegen kann, damit er nur noch eine Blütenpflanze oder ein Kraut braucht, was beides der Giersch liefern könnte, und dann … puh, ganz schön kompliziert so ein Ökosystem.

von Bastian Ludwig

„Ecogon“ ist ein Plättchenlegespiel, bei dem es um nicht weniger geht als darum, ein stabiles Ökosystem aufzubauen. Es gibt zwei Arten von sechseckigen Plättchen: zum einen Lebensräume wie etwa Wiesen oder Wälder, zum anderen Lebewesen, also Tiere oder Pflanzen. Jedes Lebewesen hat Bedürfnisse, die es zu erfüllen gilt, und Gaben, die es zum Ökosystem beitragen kann. Die Spieler ziehen nun verdeckt Plättchen und legen sie an, um so neue Arten in das Ökosystem einzubringen. Dabei gibt es einige wenige Anlegeregeln zu beachten, die je nachdem, ob man sich nach den Einsteiger- oder den Fortgeschrittenenregeln richtet, unterschiedlich streng ausfallen. Ein Beispiel: Jedes Lebewesen muss an einen Lebensraum angrenzen.

Ein Lebewesen in das Ökosystem zu bringen, ist nicht schwierig, doch ab dann wird es knifflig, denn erst, wenn alle Bedürfnisse des Lebewesens befriedigt sind, ist es etabliert und nur dann bringt es am Spielende Punkte. Befriedigt sind die Bedürfnisse, wenn das Lebewesen an andere Lebewesen angrenzt, die die passenden Gaben anbieten. Diese Lebewesen haben aber natürlich wiederum selbst Bedürfnisse, die von anderen Lebewesen bedient werden müssen und so weiter. Auf diese Weise entsteht allmählich eine Kette, idealerweise aber ein Netz von Abhängigkeiten unter den Lebewesen, und je besser Bedürfnisse und Gaben aufeinander abgestimmt sind, desto mehr Punkte gibt es.


 Das Kaninchen ist dank Fingerhut und Knaulgras etabliert, dem Fuchs fehlen noch viele Arten.

Wäre das nicht schon schwierig genug, kommen nun noch Ereigniskarten ins Spiel, die Vorteile bringen können, meist aber das Ökosystem auf eine Belastungsprobe stellen, weil sie zum Beispiel anweisen, ein Lebewesen daraus zu entfernen. Hat man nun sein Ökosystem nicht umsichtig aufgebaut, kann eine Kettenreaktion die Folge sein, die eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Etablierte Lebewesen sind plötzlich nicht mehr etabliert, verschwinden vielleicht auch ganz von der Bildfläche und jede Menge Punkte sind futsch.

Das Spiel endet, wenn alle Ereigniskarten – die Anzahl kann man vor Spielbeginn selbst festlegen – durchgespielt wurden. Ein stabiles Ökosystem hat man erschaffen, wenn bei Spielende mindestens doppelt so viele Punkte auf dem Spielplan liegen, wie Ereigniskarten im Nachziehstapel waren.


 Ereigniskarten können Vorteile bieten, meist stören sie aber das Ökosystem erheblich.

Der Verlag von „Ecogon“ heißt „Gaiagames“, „Klimaneutral gedruckt“ ist da auf der Seite der Spielschachtel zu lesen und die Spielbeschreibung verspricht, dass man eine Menge über die Natur lernen wird. Schaut man sich „Ecogon“ an, merkt man schnell: Hier hat man es mit einem Spiel mit Botschaft und Haltung zu tun. Die Macher selbst sprechen von einem Bildungsspiel.

Das klingt alles erst mal staubtrocken, nach einer Degradierung von Mechanik und Spielspaß zu einem Vehikel für eine Mission. Aber weit gefehlt: „Ecogon“ ist in erster Linie und abseits aller pädagogischer Ambitionen ein hervorragendes Spiel, das aus einem überschaubaren Regelgerüst eine beachtliche Komplexität ableitet.

Die entsteht in erster Linie durch die engen Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen. In den meisten Fällen wird es nicht gelingen, Lebewesen sofort zu etablieren. Man muss also klug einige Züge im Voraus planen und sollte sich mehrere Wege offenhalten. Anders als bei vielen Legespielen geht es nicht in erster Linie darum, zwischen schnellen und sicheren, dafür aber mit weniger Punkten belohnten Zügen und einer potenziell höheren, aber auch unsicheren Punkteausbeute abzuwägen, denn schnelle Punkte sind bei „Ecogon“ eher die Seltenheit.


 In „Ecogon“ geht's um Wald und Wiese (oben), in „Ecogon – Stille Wasser“ um Feuchtgebiete.

Einige Mechaniken sorgen für zusätzliche Tiefe. Ökosysteme sind sensible Konstrukte, die der Mensch zwar beeinflussen, die er aber nie voll kontrollieren kann. Diese Unsicherheit wird auch in „Ecogon“ abgebildet. Zum einen durch den nicht unerheblichen Glücksfaktor, vor allem erzeugt durch Ereigniskarten und das Nachziehen der Plättchen. Besonders clever ist hier aber die Mechanik, dass erlangte Punkte nicht bis zum Spielende sicher sind. Ein etabliertes Lebewesen kann auch wieder aus dem Ökosystem verschwinden, wenn seine Bedürfnisse nicht mehr erfüllt sind. Dann sind auch seine Punkte verloren. Es kann also immer mal wieder passieren, dass man im Verlauf des Spiels mehr Punkte als Ereigniskarten besitzt, also theoretisch gewonnen hätte, dass man aber weiterspielen muss. Das sorgt für eine ganz eigene Art der Spannung und unterstützt das Gefühl, nicht komplett Herr über die Situation zu sein, ein Urteil, dass man vielen anderen Spielen als Nachteil auslegen könnte, das hier aber perfekt passt. „Ecogon“ ist damit eines jener Spiele, denen es hervorragend gelingt, sein Thema in der Mechanik zu verarbeiten.

Aktuell gibt es „Ecogon“ in zwei Editionen: einmal die Standardedition und einmal „Ecogon – Stille Wasser“. Beide Editionen sind eigenständig spielbar, lassen sich aber auch miteinander kombinieren. Ende 2014 veröffentlicht, hat „Ecogon“ schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber die Macher basteln noch fleißig weiter an ihrem kleinen Franchise. Laut Webseite ist eine App geplant und auch eine Erweiterung um aggressive Invasoren soll kommen.


 Ökologisch bis zum Letzten: Als Punktemarker dienen getrocknete Bohnen.

Optisch ist „Ecogon“ für ein Independentspiel ordentlich gelungen. Da sitzt im Regelheft vielleicht nicht jedes Layout perfekt, aber gerade die Illustrationen auf den Karten sind schön gestaltet und erinnern an alte Naturlexika. Nettes Detail: Die Punktemarker sind nicht aus Plastik, nicht mal aus Holz – es sind getrocknete Bohnen.

Fazit: „Ecogon“ ist ein kniffliges Plättchenlegespiel mit pädagogischer Intention, die aber nicht auf Kosten der Mechanik in das Spiel gebracht wird. Stattdessen bilden Mechanik und Inhalt eine selten gesehene Einheit, was „Ecogon“ zu einem wirklich gelungenen Spiel macht.

Ecogon
Brettspiel für 1 bis 6+ Spieler ab 8 Jahren
Micha Reimer
Gaiagames 2014
EAN: n.a.
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 30,00

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