Der Andergaster (Das Schwarze Auge)

Auch für „Das Schwarze Auge“, das bekannteste und älteste deutsche Rollenspiel, gibt es noch Neuland zu entdecken. So erscheint mit „Der Andergaster“ erstmals ein Comic, sodass Interessierte nun die Möglichkeit haben, Aventurien in Wort und Bild neu zu erleben. Wie gelungen ist der Ausflug in die ungewohnten Gefilde?

von André Frenzer

Kreativität kann man Ulisses Spiele bei der Vermarktung des „Schwarzen Auges“ sicherlich nicht absprechen. Nachdem in den letzten Jahren nicht nur eine neue Regeledition ihren Weg in die Regale der Rollenspieler gefunden hat, wurden Table-Top- und Brettspiele aufgelegt und die erfolgreiche Romanreihe fortgeführt. „Das Schwarze Auge“ gibt es als Soundtrack, als Kurzabenteuer – wie die „Heldenwerk“-Reihe –, ja, in Form des Kaiser-Raul-Konvents sogar als exklusive Hochpreis-Konvention. Und nun liegt eben „Der Andergaster“ vor, der erste Comic, der Aventurien in Wort und Bild darstellt.

Inhalt

In „Der Andergaster“ begleitet der Leser den jungen albernischen Ritter Leandro von Arvun auf einer besonderen Queste. Im Auftrag der Königin Albernias, Invher ni Bennain, soll er ein persönliches Geschenk an den nostrischen Hof bringen. Die Königin erhofft sich davon, dass ihre Amtskollegin, die junge Königin Yolande, die Souveränität des Königreichs Albernia anerkennt und fortan als Verbündete gegen die Übergriffe des Mittelreiches an der Seite Albernias steht. Begleitet von zwei Waffenknechten – Yann und Yorris – macht sich Leandro auf den Weg.

An der nostrischen Grenze trifft er nicht nur auf den wortgewaltigen – und von sich selbst mächtig überzeugten – Ritter Answin von Orkenwall („DER Answin von Orkenwall“, wie er sich selbst vorzustellen pflegt), sondern auch auf die Spur einer grausigen Legende, die scheinbar Wirklichkeit geworden ist: Der Andergaster reitet durch die nostrischen Lande und mordet scheinbar wahllos. Dieser schwarz gepanzerte Hüne hinterlässt eine Spur der Furcht und des Schreckens und es verwundert nicht, dass sich die beiden ungleichen Ritter bald zusammentun, um gegen den vermeintlichen Geist anzutreten ...

Abgerundet wird der 64-seitige Band von einer nett zu lesenden Einführung in Aventurien und das Spiel „Das Schwarze Auge“, die sich wohl insbesondere an Quereinsteiger, die durch den Comic erstmals in Berührung mit dem Rollenspiel kommen, richtet. Außerdem wurde dem Band ein umfangreiches Making-Of spendiert, bei dem man den beiden Künstlern – Autor Reinhard Kotz und Illustrator Carsten Dörr – bei der Entstehung des Comics über die Schulter blicken darf.

Handwerkliches

Bei einem Comic lohnt sich natürlich ein Blick auf die Ausführung. Wie man dem Making-Of entnehmen kann, ist der Band für den Autor eine echte Herzensangelegenheit. Wäre an dieser Stelle nicht verraten worden, dass er keinerlei Vorerfahrung besitzt – ich hätte einen professionellen Comicschreiber hinter der Geschichte vermutet. Die Geschichte wird gekonnt erzählt, die Textfülle passt perfekt zu den Illustrationen. Einzig der Schluss wirkt etwas rasant, werden die Nachwehen der finalen Begegnung mit dem Andergaster doch sehr rasch zusammengefasst.

Fast noch gespannter war ich allerdings auf die Illustrationen, ist die Welt des „Schwarzen Auges“ doch bereits durch die Rollenspielpublikationen von vielen Zeichnern visuell zum Leben erweckt worden. Carsten Dörrs oft kantiger Stil, der sich selten mit überbordenden Details aufhält, zeigt tatsächlich ein anderes Aventurien, als ich es über den Rollenspielweg kennengelernt habe. Doch es wirkt realistisch, weniger ausufernd und fantasievoll, dafür bodenständig und irgendwie vertraut. Die Qualität der Zeichnungen bewegt sich durchgehend auf dem gleichen, hohen Niveau und gerade einige Nebencharaktere sind hervorragend getroffen. Handwerklich gibt es damit eine gute Note.

Kritik

Wie hat mir nun aber das Experiment „Das-Schwarze-Auge“-Comic gefallen? Ich muss gestehen, dass mich die Geschichte wirklich zu fesseln wusste. Auch wenn mir beim Durchlesen das eine oder andere Detail negativ ins Auge fiel – dazu gleich mehr – konnte ich doch den Comic nicht weglegen, bevor ich hinter die geheimnisvollen Hintergründe des Andergasters geblickt hatte. Die Geschichte wird in einem guten Tempo und mit einem hervorragenden Spannungsbogen präsentiert, und auch wenn der geneigte Leser ein ums andere Mal an die Geschichte des kopflosen Reiters aus „Sleepy Hollow“ erinnert wird, so sind es doch die vielen inneraventurischen Details, welche die Handlung gekonnt von der Vorlage abheben.

Gestört habe ich mich ein wenig an humoristischen Anekdoten, die mich an ein Aventurien aus Karl-Heinz Witzkos Zeiten erinnerten. Seien es die Comic-Reliefs Yann und Yorris, der maßlos überzeichnete Ritter Answin von Orkenwall oder auch der Auftritt der nostrischen Marschallin Rondriane von Sappenstil, die am ehesten als Stichwortgeberin für den selbstbewussten Answin agiert – hier wurde manches Mal über die humoristischen Stränge geschlagen, was die eigentlich sehr ernste Handlung nicht wirklich vorwärts bringt. Letzten Endes überwiegt für mich aber der positive Gesamteindruck, einen spannenden und abwechslungsreichen Einblick in die Welt des „Schwarzen Auges“ erhalten zu haben.

Fazit: „Der Andergaster“ ist ein guter Comic. Eine spannungsgeladene, temporeich erzählte Geschichte, versehen mit hochwertigen Illustrationen. Das zusätzliche Quellen- und Hintergrundmaterial ist vorbildlich. Eine klare Kaufempfehlung für Aventurien- und Comic-Liebhaber.

Der Andergaster (Das Schwarze Auge)
Comic
Reinhard Kotz, Carsten Dörr
Ulisses Spiele 2017
ISBN: 978-3957526342
64 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,95

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