Das letzte Einhorn

Es gibt ein paar Werke, die innerhalb der Fantasy als Klassiker gelten, die irgendwie jeder, der daran Interesse hat, kennt oder kennen sollte. „Der Herr der Ringe“ gehört zweifellos dazu, Tolkiens Epos, das unser Bild von Orks, Elben, Zwergen, geheimnisvollen Waldläufern und weisen Magiern maßgeblich geprägt hat. Ebenso würde ich Peter S. Beagles „Das letzte Einhorn“ dazu zählen, eine im Grunde kleine, märchenhafte Geschichte, die wenig konkrete Spuren im Genre hinterlassen hat, aber Dank der allweihnachtlich wiederholten Zeichentrickverfilmung jedem ein Begriff ist. 2010 wurde der Stoff auch als Comic adaptiert. Jetzt hat Panini ihn als schicken Hardcoverband erneut herausgebracht.

von Bernd Perplies

Die Geschichte vom letzten Einhorn, das sich auf die Suche nach seinen verschwundenen Artgenossen macht und dabei nicht nur treue Freunde – wie den schusseligen Zauberer Schmendrick und die herzensgute Räuberbraut Molly Grue – trifft, sondern auch dem finsteren König Haggard und seinem dämonischen Roten Stier die Stirn bieten muss, ist ein Phänomen. Peter S. Beagle verfasste sie Ende der 1960er mit nicht einmal dreißig Jahren, dennoch wirkt das Märchen – denn als nichts anderes kann man „Das letzte Einhorn“ bezeichnen – so poetisch und lebensklug in seiner Sprache und seinen Bildern, dass man einen wesentlich älteren Urheber dahinter erwartet hätte. Die Zeichentrickadaption Anfang der 1980er dürfte die Geschichte endgültig bekannt gemacht haben. Zwar waren die Kritiker keineswegs hingerissen von dem Produkt, aber zumindest bei uns kann man sich Weihnachten ohne das kitschige, liebenswerte, verträumte Filmevent kaum vorstellen.

Viele weitere Ausgabearten hat die Geschichte mittlerweile erlebt: als Theaterstück, Hörbuch und in unterschiedlichen Romanausgaben. 2010 wurde dann die Brücke zwischen Text und Bild geschlossen, in einer Comic-Ausgabe, die in den USA in sechs Einzelheften erschien, bei uns von Panini Comics als Sammelband herausgegeben wurde. Eben dieser Band wurde nun, im schicken Hardcover und mit neuem Bonusmaterial, neu aufgelegt.

Die Handlung folgt natürlich der bekannten und oben bereits knapp umrissenen Geschichte. Sie ist dabei etwas umfangreicher als der Zeichentrickfilm und bleibt näher an der Romanvorlage. Der Text stammt im Wesentlichen von Beagle selbst, sodass die poetischen Formulierungen erhalten bleiben, wurde allerdings von Peter B. Gillis behutsam gestrafft und angepasst, um in Form einer Bildergeschichte zu funktionieren. Für die Illustrationen sind Renae de Liz und Ray Dillon verantwortlich.

Zu Sprache und Inhalt muss man nicht viel sagen. Die Worte, die Beagle findet, sind von einer Eleganz, die wahrhaft zeitlos ist und heute noch genauso gut lesbar sind wie vor fünfzig Jahren. Dabei wirkt die Handlung – im Gegensatz zum Film, in dem die Liebe zwischen dem zum Mensch gewordenen Einhorn und Haggards Sohn Prinz Lir durch mehrere Lieder im Vordergrund steht – niemals kitschig. Vielmehr finden sich verträumte Sehnsucht, tiefer Ernst, dräuendes Schicksal und unerwartete Ironie zu einem Ganzen zusammen, das seine ganz eigene Atmosphäre erzeugt, die einem in dieser Art in der Phantastik wirklich selten über den Weg läuft. Diese Atmosphäre bleibt auch im Comic erhalten.

Bestärkt wird sie noch durch die Bilder, die der Geschichte ihr neues Gewand verleihen. Wobei es übertrieben wäre, von einem völlig neuen Gewand zu sprechen. Die Optik des alten Zeichentrickfilms ist im Laufe der Jahre regelrecht übermächtig geworden, und so fühlt man sich hier und da auch im unbewegten Bild durchaus an die Rankin/Bass-Produktion erinnert. Doch natürlich wurden die Figuren und die Landschaften im Unterschied zum Film um ein Vielfaches detailreicher und auch um einiges zauberischer umgesetzt. Manche Bilder mögen zwar über das Niveau, das man von vielen Comics kennt, nicht hinaus gehen, andere dagegen möchte man sich wirklich gerahmt an die Wand hängen. Vor allem die Farbstimmungen, die Ray Dillon erzeugt sind, verleihen den Illustrationen von Renae de Liz eine besondere Pracht.

Die aktuelle Hardcoverausgabe hat gegenüber der Softcoveredition noch eine Schippe draufgelegt. Zum einen ist das Cover nicht nur ein Blickfang, es wirkt mit seinem Spotlack auch sehr edel. Außerdem wurde der Band um ca. 1x2 cm vergrößert – das macht jetzt keinen nennenswerten Unterschied, aber bei Comics gilt ja grundsätzlich: größer ist besser. Die Einführung von Christian Endres fällt umfangreicher und informativer aus. Die Covergalerie ist diesmal komplett vollseitig ausgeführt (in der Softcoverausgabe wurden diverse Cover nur klein auf einer Sammelseite abgedruckt), und es wurden zwei umfangreiche Gespräche mit Peter S. Beagle und Peter Gillis angehängt. Den Abschluss bilden drei kurze Personenporträts. Ein würdiger Rahmen für einen ganz ausgezeichneten Comic, der seine 8 Euro Aufpreis (nach 10 Jahren) absolut wert ist.

Fazit: Die Comic-Adaption von „Das letzte Einhorn“ schlägt nicht nur die Brücke zwischen Erzähltext und Zeichentrickfilmbildern, sie nimmt sich das Beste aus beiden Medien und verschmilzt es zu einem gelungenen Ganzen. Beagles Text verliert auch in der notwendigen Verkürzung nicht an Wirkung, und die Illustrationen, die das Auge des Betrachters durch zauberische Motive, fantasievolle Panel-Gestaltung und tolle Licht-Farben-Spiele erfreuen, bilden einen würdigen Gegenpart. Wer Buch und Film schon kennt, wird aus dem Comic natürlich nicht viel Neues ziehen können. Aber wer nach einer wunderschönen Ausgabe der „Einhorn“-Geschichte sucht, wird hier fündig werden.

Das letzte Einhorn
Comic
Peter S. Beagle, Peter B. Gillis, Renae de Liz, Ray Dillon
Panini Comics 2019
ISBN: 978-3-7416-1447-7
180 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

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