Die Streitenden Königreiche – Nostria & Andergast

Die Königreiche Andergast und Nostria – inzwischen auch unter der Bezeichnung „die Streitenden Königreiche“ bekannt – sind eine der ältesten und wohl auch beliebtesten Kreationen im Universum von „Das Schwarze Auge“. Es verwundert daher nicht, dass die erste Regionalspielhilfe unter „DSA5“ ihnen gewidmet war.

von Morgath

Bevor wir uns der Spielhilfe widmen, wollen wir einen kurzen historischen Rückblick vornehmen:  

Historischer Rückblick

Die Geburtsstunde von Nostria und Andergast war bereits 1984 in dem Abenteuer „Der Wald ohne Wiederkehr“, einem der ersten Abenteuer zu „DSA“ überhaupt. Damals fielen nur die Namen. Mit den heutigen Königreichen hatten sie noch wenig gemein. Andergast war beispielsweise nur eine heruntergekommene Burg, während es heute bekanntlich ein heruntergekommenes Königreich ist! Doch diese Unstimmigkeiten verwundern nicht, denn damals war Aventurien gerade erst am Entstehen.

Unter „DSA2“ wuchsen Nostria und Andergast zu den Königreichen heran, wie wir sie heute noch kennen. In einigen Abenteuern wurden sie weiter ausgearbeitet. Als Beispiel sei nur  „Das große Donnersturmrennen“ (1989) genannt, eines der beliebtesten „DSA“-Abenteuer überhaupt! Darin erfuhr der geneigte Leser mehr über die besondere Beziehung, die diese beiden Königreiche miteinander teilen.  

Seit Jahrhunderten liegen beide miteinander im Streit und haben über Generationen hinweg erbitterte Kriege gegeneinander geführt. Wobei eine zünftige Prügelei unter benachbarten Bauern auch schon mal als Krieg eingestuft wurde. Der ursprüngliche Grund für die andauernden Streitigkeiten wurde inzwischen vergessen. Doch einen vernünftigen Grund brauchten beide eigentlich nie…

Schon früh fiel den Autoren auf, dass sie den besten Nährboden für humorvolles Rollenspiel boten. Unvergessen hat sich eine Szene aus dem Donnersturmrennen in mein Gedächtnis eingebrannt, wie mit Mistgabeln bewaffnete Soldaten sich den gestandenen Helden in den Weg stellten und deren Streitwagen für die Streitmacht des Königreichs beschlagnahmen wollten.

Dann kam „DSA3“ und mit ihm Borbarad. Sein Erscheinen veränderte ganz Aventurien. Ganz Aventurien? Nein – zwei unbeugsame Königreiche leisteten zwar keinen Widerstand, wurde aber von Borbarad schlicht ignoriert oder übersehen. Generell lag in dieser Zeit der Fokus der Macher auf anderen Ereignisse in Aventurien, sodass Nostria und Andergast ein eher stiefmütterliches Dasein führten. Oder anders ausgedrückt: Ihnen kam irdisch gesehen die Rolle zu, die sie auch in Aventurien einnahmen.

Das sollte sich dann mit „DSA4“ ändern. In der Regionalspielhilfe „Unter dem Westwind“ (2004) wurden Nostria und Andergaster als eine der ersten Regionen ausführlich beschrieben. Auch wenn sie diese Ehre mit den Thorwaler und Gjalskern teilen mussten, erhielt der Leser erstmals ca. 30 geballte Seiten Informationen über die beiden. Und die Informationen hatten es in sich, brachten sie doch gewaltige Umwälzungen mit sich. Eine Seuche fiel über Nostria ein und vernichtete fast alle liebgewonnenen NSC. Andergast ging es nur unwesentlich besser. Intrigen führten aber zum selben Ergebnis. Der wahre Grund der Katastrophen dürfte ein redaktioneller gewesen sein. Der Umbruch von „DSA3“ zu „DSA4“ brachte zahlreiche Veränderungen in der Redaktion mit sich. Einige Autoren, die sich um die Entwicklung von Nostria und Andergast verdient gemacht hatten, verließen damals die Redaktion. Um rechtliche Probleme an deren Kreationen zu vermeiden und den neuen Autoren unbegrenzte Freiheit zugeben, musste daher das Alte Neuem weichen. Doch auch das Neue wusste zu gefallen.
 
Der Charakter von Nostria und Andergast änderte sich. Sie wurden erwachsener und ernster. Man entdeckte auch, dass sie sich hervorragend als Einsteigerregion eigneten. Einem Leser, der im Geschichtsunterricht etwas über das finstere Mittelalter aufschnappen konnte, fiel es leicht, sich in diese Welt hineinzuversetzen. Zudem sind beide Königreiche groß, aber nur wenig bevölkert. Dies bringt es mit sich, dass eine Heldengruppe ein mächtiger Faktor ist, selbst wenn sie keine weltliche Macht besitzen. Hier sei als Beispiel die zweibändige Kampagne „Der weiße Berg“ (2007 und 2008) genannt, welch in meinen Augen eines der besten Einsteigerabenteuer überhaupt ist.

Und da wären wir schon bei der aktuellen Spielhilfe.

Die Streitenden Königreiche

Das Buch erschien zunächst als vollfarbiges Hardcover für 39,95 €, ist inzwischen aber auch als griffiges Taschenbuch für 19,95 € zu erwerben. Das Titelbild zeigt zwei Kämpfer im Wald vor einem Wasserfall. Es ist künstlerisch schön gezeichnet, passt inhaltlich aber überhaupt nicht zu meiner bisherigen Vorstellung. Die Rüstungen wirken alles andere als mittelalterlich und der Drache als Helmzier erinnert mehr an die Darstellung der Targaryans in den „Games of Thrones“-Comics als an Aventurien. Hinzu kommt, dass weder Nostria noch Andergast einen Drachen als Wappentier haben.

Die Illustrationen im Inneren des Buches weichen davon aber erfreulich ab. Sie sind durchgängig hochwertig, haben einen einheitlichen Stil und fangen das Flair gut ein. Man kann der künstlerischen Leitung von Nadine Schäkel nur ein Kompliment aussprechen. Ihre Arbeit ist das neue Gesicht von „DSA“. Und das weiß zu gefallen! Man kann über „DSA5“ sagen, was man will, aber optisch ist es auf jeden Fall das schönste „DSA“. Das gilt auch für das Layout. Es ist schön gestaltet und übersichtlich. Die Farbkarten von der Region und einigen Städten sind wie immer erstklassig, allerdings sind sie diesmal (bis auf eine) im Buch abgedruckt; liegen also nicht lose bei. Wer die Karten als Handouts haben will, muss sie entweder kopieren oder das gesondert erschienene Landkartenset für 14,95 € kaufen.

Doch kommen wir zum Inhalt: Wie bei einer Regionalspielhilfe nicht anders zu erwarten, werden hier die beiden Königreiche Nostria und Andergast ausführlich beschrieben. Der Leser erfährt allerhand über Land und Leute, Kultur und Wissenschaft, den Handel und Wandel, Flora und Fauna, die Geschichte, die Religion und die Zauberei, etc. Zudem gibt es ein mit 35 Seiten verhältnismäßig langes Kapitel mit dem Namen „Die Helden der Streitenden Königreiche“; in welchem etwa verschiedene Professionen aus der Region dargestellt und mit den notwendigen Regeln erläutert werden. Am Ende gibt es noch ein Kapitel mit Informationen, die nur für den Spielleiter gedacht sind, in dem auch einige der Geheimnisse gelüftet werden.

Kurz: Man erfährt (fast) alles, was man braucht, um in der Region spannenden Abenteuer zu gestalten. Ich will mich hier nicht im Detail verlieren, sondern nur auf einige Punkte eingehen:

    • Der Umbruch, der mit „Unter dem Westwind“ begonnen hat, wird fortgesetzt. Der Humor ist dem Erwachsensein gewichen. Nostria und Andergast präsentieren sich als stark mittelalterlich angehauchte Königreiche mit einem guten Schuss Phantastik. Manch einem mag dies zu wenig sein, ich persönliche finde die Mischung ausgezeichnet. Das Phantastische wird stärker wahrgenommen, wenn es in kleinen Dosen präsentiert wird. Neulingen sollte es keine Schwierigkeiten bereiten, sich schnell in dem Setting zurecht zu finden.

    • Die Konflikte nehmen zu. Der letzte Krieg zwischen den beiden war im Jahr 1010 BF (er wurde 1989 im großen Donnersturmrennen kurz thematisiert). Seitdem ist nichts Gravierendes passiert. Nun wurden die Weichen wieder erkennbar auf Krieg gestellt. Mit König Wendelmir VI. ist ein launischer Hardliner in Andergast an die Macht gekommen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis eine Streitigkeit den Funken des Krieges entfacht. Man darf auf die aktuellen Entwicklungen im Aventurischen Boten gespannt sein.

    • Erstmals wurde der tief verwurzelte Hass zwischen den beiden Königreichen rational erklärt. Mag die Erklärung auch stimmig sein, mich stört schon, dass es überhaupt eine Erklärung gibt. Mystisches zu begründen, zerstört häufig den Mythos. Ähnlich geschah bei „Star Wars“, als in „Episode 1“ erklärt wurde, dass man die Macht anhand der Midi-Chlorianern messen könnte. In meinem „DSA“-Universum wird die Erklärung jedenfalls keinen Einzug erhalten.

    • Missfallen hat mir auch, dass die Regionalspielhilfe wieder Regeln beinhaltet hat. Der Regelanteil bei den „DSA4“-Regionalspielhilfe ging gegen Null und das war auch gut so. Ich weiß, es gab gute Gründe dafür, neue Charakterklassen in das Buch aufzunehmen, aber die Aufsplittung von Regeln in zahlreiche Bücher ist und bleibt ein Graus.

    • Ob der Besitzer von „Unter dem Westwind“ das neue Werk benötigt, würde ich davon abhängig machen, in welchem Jahr er spielen möchte. „Unter dem Westwind“ hatte den Stand von 1027 BF, „Die Streitenden Königreiche“ beschreibt die Situation im Jahr 1040 BF. Vieles hat sich geändert. Andergast hat einen neuen König. Yolande, die Königin von Nostria, ist kein Grünschnabel mehr, sondern eine gestandene Frau, um nur einige Beispiele zu nennen.

Abschließend sei erwähnt, dass es noch zahlreiche andere Erscheinungen zu Nostria und Andergast gibt: Es gibt – was am wichtigsten ist – Abenteuer. Neben zahlreichen alten auch einige aktuelle wie „Ewiger Hass“ oder „Neue Bande und uralter Twist“. Es gibt Romane. Genannt sei hier vor allem „Mehrer der Macht“, in welchem erzählt wird, wie Wendelmir König von Andergast wurde. Es gibt auch einen Comic „Der Andergaster“ mit dazugehörigem Fan-Abenteuer im Scriptorium. Wer also in der Region heimisch werden möchte, der kann auf zahlreiche weitere Werke zurückgreifen.

Fazit: Der Leser erhält eine interessante Region als Ausgangspunkt für spannende Abenteuer. Man hätte ein paar Dinge besser machen können, doch auch so vermag das Werk zu gefallen. Wer seine Helden nach Nostria oder Andergast führen möchte, dem sei es uneingeschränkt empfohlen.

Die Streitenden Königreiche – Nostria & Andergast
Quellenbuch
Florian Don-Schauen, u. a.
Ulisses 2016
ISBN: 978-3957521217
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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