Das Schwarze Auge 1: Kaiser Retro (Let’s Play-Edition)

Es war das Jahr 1984, als Ulrich Kiesows Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ das Licht der Welt erblickte. Seither hat Deutschlands bekanntestes Rollenspiel zahllose Rollenspieler akquiriert und in seinen Bann gezogen. 2018 lädt der aktuelle Verlag, Ulisses Spiele, uns nun ein, die Anfänge erneut zu genießen.

von André Frenzer

Alles begann mit einem Scherz. Als Markus Plötz, seines Zeichens Geschäftsführer von Ulisses, Mháire von „Orkenspalter TV“, seinen Redakteur und „Mädchen für alles, was NICHT „Das Schwarze Auge“ ist“ Michael sowie Olaf, den Zwergenkrieger Bokklawash einlud, um „Das Schwarze Auge“ durchzuspielen, ahnte wohl noch niemand, was die vier lostreten würden. Markus Plötz brachte seine erste Edition aus dem Jahre 1984 mit, und man begann ganz von Beginn an mit dem Abenteuer „Silvanas Befreiung“ aus der Grundbox. Es entstanden einige sehr unterhaltsame „Let’s Play“-Videos, in denen Markus‘ humoristische Ader, Michaels Nonkonformität mit Deutschlands ältestem Rollenspiel und die Kommentare von Mháire und Olaf für einige Lacher sorgen konnten. Schnell fand sich eine Fangemeinschaft zusammen.

Ein traumhaftes Crowdfunding

Angespornt durch diese Erfolge wagte Ulisses Spiele schließlich den nächsten Schritt. Wie groß war das Interesse an der ersten Edition des „Schwarzen Auges“ tatsächlich? Gab es einen Kundenstamm für Abenteuer aus dem Jahre 1984? Man entschied sich, den Weg des Crowdfunding zu beschreiten, um das herauszufinden. Doch statt eine einfache Neuauflage anzubieten, wurde noch eine Schippe draufgelegt. Der geneigte Rollenspieler konnte die liebevoll „Kaiser Retro“ getaufte Neuauflage in zwei Varianten finanzieren:

Zunächst wurde eine „Let’s Play“-Variante vorgestellt. Hier sollten die originalen Texte und Bilder aus dem Jahr 1984 versammelt werden, allerdings versehen mit ironisch-bissigen Kommentaren der Let’s Play-Gruppe. Einige Bilder wurden außerdem durch moderne „Chibi“-Varianten ergänzt und auch die Covers wurden komplett neu im Chibi-Stil gestaltet. Parallel konnten sich die Backer auch mit einer „Retro“-Edition eindecken, die optisch den alten Auflagen entsprach, dafür allerdings Kommentare von Werner Fuchs, seines Zeichens Mitentwickler der ersten Stunde, enthielt.

Das Crowdfunding wurde ein voller Erfolg. Zahlreiches Zusatzmaterial, wie insgesamt sechs Abenteuer, die ersten zehn Ausgaben des „Aventurischen Boten“, das Promo-Abenteuer „Die Burg der Abenteuer“, aber auch neues Material wie Chibi-Aufsteller oder neue Let’s Plays wurden von den eifrigen Kunden freigeschaltet. Schließlich war das Interesse so groß, dass ein großzügiger, sechsstelliger Betrag zusammenkam. Und im April dieses Jahres wurde nun das gesamte Material an die Backer verschickt – und steht damit natürlich auch späteren Käufern in den verschiedenen Online-Shops zur Verfügung.

Das Material – eine Inhaltsübersicht

Höchste Zeit also für den Ringboten, einen kritischen Blick auf das neue alte Material zu werfen. Grundlage dieser Rezension ist die „Let’s Play“-Variante der Grundregeln, die aus drei Büchern besteht: dem „Buch der Abenteuer“, dem „Buch der Regeln“ und dem „Buch der Spielleiterwillkür“. Die beiden erstgenannten Bücher erschienen auch in dieser Form in der Grundbox von 1984 und enthalten – keine Überraschung – Abenteuer sowie die absoluten Grundregeln des Spiels. Hier erfahren wir alles über die – zugegeben recht simple – Charaktererschaffung, den Probenmechanismus und die Kampfregeln. Außerdem sind bereits einige Zauber enthalten. Mit einem Solo- sowie einem Gruppenabenteuer – dem bereits angesprochenen „Silvanas Befreiung“ – können neue Spieler und „Meister“ denn dann auch erste Schritte in Aventurien unternehmen.

Das „Buch der Spielleiterwillkür“ – im Original „Buch der Macht“ geheißen – enthält dann zahlreiche Tipps und Tricks für den Meister von damals, um seine Heldengruppen vor immer neue Herausforderungen zu stellen. Enthalten sind Rätsel und Fallen, die jedem klassischen 80er-Jahre-Dungeon hervorragend zu Gesicht stehen sowie einige neue Monster aus der Welt Aventurien. Im Rahmen des Crowdfundings wurden hier auch Materialien aus dem Heft „Helden, Monster, dunkle Mächte“ mit aufgenommen. Hier finden sich weitere Kreaturen, Fallen und Rätsel, sodass das insgesamt über 60 Seiten starke Heft eine runde Sache ist.

Dem Crowdfunding-Finanzierer liegen darüber hinaus noch einige weitere Materialien bei, die jedoch später separat erworben werden müssen. Ein ganzes Heft ist den liebenswürdigen Hintergründen aus den Let’s Plays gewidmet und enthält ein wirklich sehenswertes Malbuch im Chibi-Stil, ein Tagebuch der Abenteurerin Leetha sowie die Charakterbögen der drei Let’s Play-Charaktere, damit jeder Spieler Spaß mit ihnen haben kann. Außerdem wurden weitere Retro-Materialien – wie z. B. das allererste Promoabenteuer „Die Burg der Ungeheuer“ – dem Paket beigelegt.

Die Regeln

Nachdem wir also feststellen durften, dass das Crowdfunding ein voller Erfolg war und sich wirklich viel charmantes Material angesammelt hat, darf nun die Frage erlaubt sein: Will man „Das Schwarze Auge“ in seiner ersten Edition von 1984 heute überhaupt noch spielen?

Die Regeln der ersten Edition sind simpel und doch wird sie jeder „DSA“-Spieler sofort wiedererkennen. Jeder Held – so werden die Charaktere bei „Das Schwarze Auge“ konsequent betitelt – besteht aus den fünf Eigenschaften Mut, Klugheit, Charisma, Geschicklichkeit und Körperkraft. Im Falle einer Probe gilt es den jeweiligen Wert mit einem W20 zu unterwürfeln. Jeder Held verfügt darüber hinaus über einen Attacke- und einen Paradewert, für die im Falle eines Kampfes die selbe Regel gilt. Waffen verursachen individuellen Schaden (meist zwischen 1W6 und 1W6+4), eventuelle Rüstungswerte werden vom verursachten Schaden abgezogen. Sofern Schaden verursacht wird, wird dieser von der Lebensenergie des Helden abgezogen, die je nach Heldentyp variieren kann.

So weit, so simpel. Zugegeben: Sonderlich individuelle Charaktere lassen sich über die wenigen Attribute kaum bauen und insbesondere das komplette Fehlen von Fertigkeiten oder Sonderfähigkeiten jeder Art macht eine weitere Individualisierung der Charakter schwierig. Auch führt „Das Schwarze Auge“ bereits in seiner ersten Edition die oft diskutierte „aktive Parade“ ein, die – entsprechendes Würfelglück vorausgesetzt – die Kämpfe enorm in die Länge zieht. Ein wahrhaft gelungenes Regelwerk ist „Das Schwarze Auge“ in seiner ersten Edition vielleicht nicht. Aber es macht Spaß! Es lädt dazu ein, spontan zu sein. Jedem Anfänger oder Neuling ist das Regelsystem in fünf Minuten zu erklären und wer sich darauf einlassen mag, erhält wunderbar nostalgische Momente abseits aller Regelgerüste, die in den folgenden Jahrzehnten aufgebaut werden sollten.

Die Aufmachung

Layout und Bebilderung der neuen Auflage orientieren sich an der originalen Auflage von 1984. Das bedeutet in erster Linie ein sauberes und aufgeräumtes Layout mit klaren Kapitelüberschriften und wenig Spielereien. Es bedeutet aber auch, dass die hervorragenden Illustrationen von Bryan Talbot, die damals die ersten Auflagen des „Schwarzen Auges“ bedeutend prägten, wieder mit von der Partie sind und so die verträumte Nostalgie in weitere Höhen treiben.

Der „Let’s Play“-Variante wurden darüber hinaus zahlreiche neue Bilder im Chibi-Stil spendiert – allen voran die hervorragend gelungenen neuen Coverbilder. Für die Illustrationen zeichnen Rabea Wienecke und Nadine Schäkel verantwortlich, und ihre Arbeit ist wirklich gut gelungen – vorausgesetzt natürlich, man kann etwas mit dem Chibi-Stil anfangen. Die versprochenen Kommentare der Spielgruppe sind farblich abgesetzt rund um die Originaltexte verteilt. Was auf den ersten Blick das Bild etwas unruhig macht, entpuppt sich beim Lesen als keine Schwierigkeit. Die durchaus humorvoll gelungenen Kommentare sind problemlos überspringbar, wenn man den Originaltext studieren möchte.

Fazit:
Ich bin begeistert. „Das Schwarze Auge“ bietet in seiner ersten Auflage von 1984 ein charmantes, schnell zu lernendes Rollenspiel ohne viel Tiefgang und in seiner „Let’s Play“-Variante von 2018 viel zusätzliches Material, dem man das absolute Herzblut aller Beteiligten anmerkt. Das macht die Retro-Edition für mich absolut empfehlenswert.

Das Schwarze Auge 1: Kaiser Retro (Let’s Play Variante)
Grundregelwerk
Ulrich Kiesow, Markus Plötz u. a.
Ulisses Spiele 2018
ISBN: n.a.
192 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

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