von André Frenzer
Nun erfährt also auch „Die sieben magischen Kelche“ im Rahmen des sehr erfolgreichen „Kaiser Retro“- Crowdfundings eine aktuelle Neuauflage. Kenner der übrigen Bände erwarten hier in der Machart keine großen Überraschungen. Die originalen Texte und Bilder aus dem Jahr 1984 wurden versammelt, wiederum wurde das Ganze anschließend mit ironisch-bissigen Kommentaren der Let’s-Play-Gruppe versehen und mit modernen Chibi-Bildern von Nadine Schäkel illustriert. Wie auch schon beim Vorgängerband „Das Schiff der verlorenen Seelen“ zeichnet Hans Joachim Alpers, Autor der ersten Stunde, hier allerdings unter dem Pseudonym Claus Lenthe, für den Text verantwortlich.
Bereits im Vorwort zu „Das Schiff der verlorenen Seelen“ erfuhren wir von den „Sieben magischen Kelchen“, die der finstere Zauberkönig Mordor sammelt, um sich mithilfe einer Dämonenarmee Aventurien untertan zu machen. Konnten wir im ersten Band dieser Kurzkampagne die finsteren Pläne des Zauberkönigs an Bord einer seiner Dämonenarchen durchkreuzen, so ist die Mission der Helden nun kurz vor ihrem Abschluss. Wir erinnern uns: Alle Charakter befinden sich an Bord eines vom reichen Händler Stoerrebrandt gen Süden geschicktem Schiff, um den Kampf mit dem finsteren Schwarzmagier aufzunehmen. Nun haben die Helden eine geheimnisvolle Tempelpyramide tief in den Echsensümpfen des Südens erreicht. Wieder findet sich ein für die frühen Abenteuer typisch eng geführter Einstieg; die Reise zur Tempelpyramide wird in einem einleitenden Vorlesetext abgehandelt. Das eigentliche Abenteuer beginnt, nachdem die Helden den Tempel betreten haben und entpuppt sich – wie könnte es anders sein – als waschechter Dungeoncrawl.
Die Qualität des eigentlichen Gewölbes ist – wie in vielen der Retro-Abenteuer – eigentlich gar nicht schlecht. Die Dungeon-Ökonomie ist nach wie vor ein bisschen wirr und die Gegnervielfalt lässt darauf rückschließen, dass möglichst viele unterschiedliche Kampfbegegnungen untergebracht werden sollten. Darüber kann man als eingefleischter Retro-Fan jedoch wahrscheinlich hinwegsehen. Vor allem, da sich einige wirklich nette Fallen und Rätsel in der Pyramide wiederfinden und auch an die eine oder andere soziale Interaktion gedacht wurde; ja selbst Monster lassen sich teilweise dazu überreden, gemeinsame Sache mit den Helden zu machen.
Umso schwerer wiegen in meine Augen die verpassten Chancen. So müssen die Helden auf der Suche nach den magischen Kelchen auch gegen einige Hohepriester eines Kultes antreten – gegen wen sie hier eigentlich kämpfen und welche Motivation diese Charaktere haben, erfährt man aber leider nicht. So werden die potenziell interessanten Gegenspieler zu weiteren Werte-Blöcken, deren Lebenspunkte es herunterzuklopfen gilt. Auch wird mit einem gewissen Magier Basilius eine Figur eingeführt, die mit einer guten Grundidee ausgestattet ist, aber letzten Endes nur zum Lieferanten magischer Gegenstände verkommt. Besonders ins Auge gefallen aber sind mir die realweltlichen Anspielungen, die im Rahmen eines aventurischen Abenteuers – auch nicht während den ersten Veröffentlichungen – nichts, aber auch gar nichts zu suchen haben. So können die Helden die Unterstützung eines Riesenaffen erlangen, wenn sie ihm zusichern, dass er eine Rolle im kommenden Hollywood-Blockbuster „King Kong“ des Regisseurs Dino De Laurentiis erhalten wird. Und auch gleich eines der ersten Rätsel, dass es zu lösen gilt, erwartet als Antwort „Die Rolling Stones“. Sorry für die Spoiler.
Das Design orientiert sich – wie die gesamte Reihe der Neuauflagen – an der originalen Ausgabe von 1984 und ist damit übersichtlich und schnörkellos. Auch die Illustrationen von Bryan Talbot haben die Zeit überdauert und sind hervorragend gealtert, wie ich zugeben muss. Wie schon in den Vorgängerbänden sind die der mir vorliegenden „Let’s Play“-Variante enthaltenen Kommentare der Let’s-Play-Gruppe humorvoll bis bissig, zeugen aber auch von einer gewissen Liebe zur Nostalgie. Und die neu angefertigten Chibi-Charaktere sind wirklich knuffig anzuschauen. Technisch habe ich damit nichts zu meckern.
Fazit: Das war nichts. Konnte schon „Das Schiff der verlorenen Seelen“ qualitativ nicht mit den ersten beiden Bänden mithalten, so werden hier – nicht zuletzt dank allzu plumper, realweltlicher Anspielungen – zu viele Chancen ausgelassen, eine interessante Geschichte zu präsentieren. Unter Retro-Gesichtspunkten eine interessante Anekdote, wer allerdings Spielmaterial sucht, wird mit anderen Bänden aus dem Retro-Crowdfunding glücklicher.
Die sieben magischen Kelche
Abenteuerband
Claus Lenthe
Ulisses Spiele 2018
ISBN: 978-3957528964
64 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 12,95
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