Undiscovered Country 1 – Schicksal

20. Juli 2029. Die USA haben gigantische Mauern errichtet, um die Außenwelt vor einem Eindringen in ihr Territorium abzuhalten. Es ist Amerikas „Tag Null“, der Beginn der „Abschottung“. Im restlichen Teil der Welt wütet ein tödlicher Virus, gegen den es in naher Zukunft kein Heilmittel zu geben scheint. Was hält das Schicksal für eine zusammengewürfelte Crew, die das „Undiscovered Country“ USA als Fremde betritt, bereit?

von Daniel Pabst

Charles Soule und Scott Snyder, die Autoren von „Undiscovered Country“ erzählen in dem Anhang des Comics den Leserinnen und Lesern, dass sie sich zufällig bei einer Messe trafen und spontan begannen, gemeinsam joggen zu gehen. Hieraus folgte eine Freundschaft, die darin gipfelte, ein Comic-Epos zu schaffen. In „Undiscovered Country“ verwirklichen die beiden ihre Gedanken um den Konflikt zwischen Kollektivismus und Solipsismus beziehungsweise darüber, wie zahlreiche Länder dieser Erde zwischen Rückzug von der Weltbühne und Aufrufen nach multilateralem Handeln wandern. Soule und Snyder fragen in ihrem Anhang: „Stellen wir uns den Gefahren gemeinsam oder beschließen wir, dass wir uns um uns und nur uns kümmern?“

Snyder und Soule nehmen uns auf insgesamt 176 Seiten mit auf einen „crazy trip“, zusammengemischt aus Wüstensettings und Monstertrucks à la „Mad Max Fury Road“, Endzeitstimmung und merkwürdigen Meeresbewohnern. Die Absurdität der Ereignisse wird durch die Zeichnungen (Giuseppe Camuncoli) und die Farben (Daniele Orlandini und Leonardo Grassi) eindrucksvoll hervorgehoben. Sehr schön anzusehen sind die Kolorierungen in den Rot-, Rosa- und Violett-Tönen, die sich durch das gesamte Werk ziehen. Wären da keine Katastrophen und Überlebenskämpfe, zeigten diese Bilder in „Undiscovered Country“ einen perfekten Sonnenuntergang in einem der zahlreichen Nationalparks der USA. Soule genießt es förmlich, dass er nicht in das Korsett von Universen wie „Star Wars“ und dessen Figuren gezwungen ist. Die Gefahren für die Protagonisten sind zudem noch größer, da keine „Plot Armor“ die tödlichen Kugeln abfangen kann. Die literarische Freiheit macht sich jedoch durch sehr viel Text bemerkbar.

Ungeachtet des Lobes über die Zeichnungen, ist die Geschichte, wie oben angedeutet, anstrengend zu lesen. Besonders schwer fällt es, den Einstieg in diesen Comic zu finden. So kann es passieren, dass man den Comic nach den ersten Seiten weglegt und es zu späterer Zeit wieder versucht. Hat man diesen Punkt aber überwunden, so hält man eines der wirrsten Comic-Werke von 2021 in den eigenen Händen, mit dem man sich ausgiebig beschäftigen kann.



Da ist als vorderstes Thema der Bezug zu den USA. Uncle Sam tritt auf, Zitate wie „Dies ist Amerika“ oder „Vereint stehen wir, getrennt fallen wir“ und „Lebe frei oder stirb“ (offizielles Motto des US-Bundesstaats New Hampshire) sind zu lesen, es treten Figuren auf, die an reale amerikanische Personen erinnern, es gibt Drohnen, und der ominöse „Destiny Man“ (auf Deutsch: Schicksalsmann) hat sich eine Bastion auf einem ehemaligen Walmart Store geschaffen. Natürlich darf auch der „Amerikanische Traum“ nicht fehlen!

Als roter Faden wählten Snyder und Soule ein Team aus bunt zusammengewürfelten Fremden, die nach Amerika einreisen und dort nach einem Schlüssel suchen müssen, der sie weiter ins Innere des „Undiscovered Country“ bringen soll. Zudem gilt die Hoffnung, ein Gegenmittel zu finden, mit dem die wütende Pandemie beendet werden kann. Als Hyperbel der Generation „post Trump“ spielt darüber hinaus die „Mauer“ eine entscheidende Rolle. Die USA bauten sie, um sich damit von der Außenwelt abzuschotten und ihre eigene Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Mauer kann man natürlich auch als Anlehnung an die Mauer von „Game of Thrones“ sehen, und auch an dieser hangeln sich Menschen hoch.


 
Wem das als Mixtur nicht genug ist, für den haben Snyder und Soule ein Geschwisterduell eingebaut. Dr. Charlotte Graves ist als Medizinerin auf der Suche nach einem Impfstopf und selbst mit dem Virus infiziert, jedoch im Rahmen der Inkubationszeit selbst nicht ansteckend. Ihr Bruder, Major Daniel Graves, ist ein Ausgestoßener, der in der Vergangenheit versuchte, in die USA einzubrechen und dabei beinahe einen dritten Weltkrieg auslöste. Leben deren Eltern noch? Warum vertrauen sich die beiden Geschwister nicht? Wieso wurden sie beide für diese Mission ausgewählt? Ach, und wer steckt hinter dem „Destiny Man“?

Man merkt, „Undiscovered Country“ ist ein erster Band von vielen weiteren. Es wird ganz klar eine große Serie aufgebaut, bei denen jeder Charakter seine Panels erhält. Um diese kennenzulernen, bedarf es vieler Texte, Zeitsprünge und offener Fragen. Dieser Comic ist so voller Inhalt, dass er sich gut als Serie oder Film eignet, in dem sich chaotische, unvorhersehbare Action-Cliffhanger abwechseln.

Kritisch ist neben dem umfassenden, teilweise anstrengenden Leseumfang anzumerken, dass trotz der Länge der Handlung keine emotionale Bindung zu den Agierenden aufkommen mag. Vielleicht liegt dies aber auch an der Distanz, die man als deutscher Leser oder deutsche Leserin zu den patriotischen und einheimischen Themen der USA hat. Die rollentypischen amerikanischen (Film-)Ideale, wie Soldat, Ärztin, Geheimagent oder unerschrockene Journalistin machen die Identifikation nicht leichter.

Leseprobe

Fazit: „A roadtrip gone wrong!“ Als Starter für ein langjähriges Epos legen Soule und Snyder einen Comic vor, der sehr detailliert zeigt, wie eine Utopie zur Dystopie werden kann. Allerdings sollte man sich, um die Mission von „Undiscovered Country“ zu bestehen, für die USA begeistern können und einen langen Atem haben.

Undiscovered Country 1 – Schicksal
Comic
Charles Soule, Scott Snyder
Cross-Cult Comics 2021
ISBN: 978-3-966584-33-3
176 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 22,00

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