Post Americana

„Die Welt ist ein dunkler und brutaler Ort. Aber es gibt immer einen Silberstreif am Horizont, wenn wir mutig genug sind, danach zu suchen“, erinnert sich Carolyn – die Protagonistin von „Post Americana“. Mut hat sie, doch wo soll sie suchen, wenn aus Amerika ein „Ödland“ geworden ist, die Menschen ums Überleben kämpfen, und ein wahnsinniger Präsident meint, über das Leben anderer zu entscheiden? Da trifft sie auf Mike, einen Widerstandskämpfer, der sich wünscht, dass die Menschheit ohne Unterdrückung und Klassendenken lebt. Ist das nur ein utopischer Wunschtraum, oder gelingt dem Duo die Rettung Amerikas?

von Daniel Pabst

Steve Skroce liefert mit „Post Americana“ eine in sieben Teilen abgeschlossene Geschichte, die ursprünglich bei Image Comics erschienen ist. Die deutsche Gesamtausgabe stammt von Cross Cult. Skroce erdachte die gesamte Story und zeichnete sämtliche Bilder selbst. Die Farben sind von Dave Stewart; das Design von Fonografiks. Übersetzt ins Deutsche hat diesen Comic Silvano Loureiro Pinto. Die Redaktion und das Lektorat sind von Jenny Franz. Das Werk umfasst 168 Seiten und zeigt am Ende auf zwei Seiten die Cover-Entstehung sowie zwei Variant-Cover. Das Cover mit seinem pyramidenförmigen Aufbau und der Schwertkämpferin erinnert für einen Moment an „die Braut“ aus Quentin Tarantinos Filmklassiker „Kill Bill“, nur dass die Frau schwarze statt blonde Haare hat. Was beide verbindet ist die Gier nach Rache. Wie schlägt sich dieser apokalyptische Comic?  

Den Beginn macht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sehen ihn ganzseitig am Rednerpult stehen, wie er vor der amerikanischen Flagge das „nächste Kapitel“ der Geschichte ankündigt. Es folgt ein Panel über zwei Seiten, welches die Möglichkeiten seiner Ansprache verdeutlicht. Er steht alleine auf der weißen Bühne, die bis auf das Rednerpult klinisch leergefegt ist. Im Saal sitzen die Offiziere und seine Mutter in vorderster Reihe; die Bürgerinnen und Bürger sind dahinter aufgereiht. Daneben stehen schussbereite Panzer, die Kampfjets sind flugbereit und die Soldaten und Kriegsroboter sind aufmarschiert. Ganz zuletzt stehen Menschen in orangenen Anzügen, die Nummern tragen und die – wie wir später erfahren – Sklaven sind, deren  Emotionen mit einem Halsband kontrolliert werden. Doch bevor der „Boden gepflügt“ werden kann, explodieren Bomben im Hangar. Eine Sabotage, die die männliche Titelfigur namens Mike mitverursacht hat.

Mike ist nicht nur Widerstandskämpfer, sondern auch Pilot. Mit einer gekaperten Maschine fliegt er aus dem explodierenden Hangar hinaus, um in der Ferne mittels einer digitalen Kopie von Bauanleitungen für 3D-Drucker ein Gegengewicht an militärischen Objekten herzustellen, bevor der Präsident damit beginnt, das Ödland und damit ganz Amerika zu „reinigen“. Doch durch die Explosion getroffen, stürzt Mike im Ödland ab. Auf sich allein gestellt, versucht er sich zu Fuß durchzuschlagen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind in „Post Americana“ aber nicht mehr so sicher, wie zuvor. Wir befinden uns am Ende des 23. Jahrhunderts und die tektonischen Platten bebten mit bombastischen Kräften. Dadurch wurde die Zivilisation in Stücke gerissen. In einem – ursprünglich für die Regierung gebauten – Superbunker im innersten eines Berges, dem „Cheyenne-Mountain“ in Colorado, kamen sodann zweckentfremdet die reichsten der Gesellschaft unter und begannen sich neu einzurichten. Den Schock über „Das Ende von Amerika“ schienen sie schnell überwunden zu haben.

Das Leben in „Post Americana“ ist durch die mannigfaltigen technologischen Innovationen für diese reichen „Höhlenbewohner“ besser als vorher geworden. Sie verbringen ihre Zeit mit luxuriösem Amüsement, statt sich um den Rest der Welt zu kümmern. Dort draußen herrscht das Chaos; haben sich Banden gebildet. Der derzeit regierende, selbsternannte Präsident „Hawkesworthe“ fürchtet diese Außenwelt und lässt die 3D-Drucker, die für die gesamte amerikanische Bevölkerung und den Wiederaufbau gedacht waren, unter Hochdruck Waffen drucken. Mike, der in dritter Generation als Techniker im Wartungsteam arbeitete, hatte diesen Sinneswandel, die „Heilsbotschaft“ und die Sorglosigkeit der Bürgerinnen und Bürger hautnah miterlebt und beschlossen, sich dagegen aufzubäumen. Doch vorerst muss er sich im Ödland durchkämpfen. Zudem droht er den Wettlauf gegen die Zeit zu verlieren, da der Präsident auch kleinere Trupps losgeschickt hat, um sein Ziel zu erreichen und den Bewohnerinnen und Bewohnern an den Fernsehern Ergebnisse seiner „Säuberung“ zu präsentieren.

Zeitgleich sehen wir, wie Carolyn ihren persönlichen Feldzug gegen die Soldaten des Präsidenten führt. Dass sich dabei zufällig die Wege von ihr und Mike kreuzen, hat Steve Skroce geschickt eingefädelt. Als sich beide als Gefangene bei einem Fest von Kannibalen wiederfinden, müssen sie ihre Verbissenheit, ohne fremde Hilfe auskommen zu wollen, füreinander aufgeben. Der gemeinsame Weg führt sie durch das Ödland, der mit Überraschungen bepflanzt zu sein scheint. Skurril und mit einer völlig unerwartet humoristischen Note versehen ist die Episode in den „Wonder Studios“, wo sie auf „Superhelden“ treffen, die die folgenden Namen tragen: „The Munchables“ (Essen mit Gesichtern, Händen und Füßen), „The Incongru-Pals“ (lebendig gewordene Gegenstände), „Jesse Florida and Mr. and Mrs. Busch“ (eine Liebesbeziehung aus zwei Männern und einer Frau), „Cosmic Corps“ (eine „He-Man“-artige Zusammenstellung) und „Truth Force“ (eine Anspielung auf die „Justice League“ oder die „Avengers“). Und dann ist da noch ein sprechendes Ei namens „Eggbert“, das Ähnlichkeiten mit dem berühmten „Humpty Dumpty“ hat, sowie ein kleiner rosafarbener Elefant, der einen Judogi mit seinem Dan trägt und „Mister Floppibottoms“ genannt wird.

Steve Skroce hat es geschafft, mit einer Mischung aus Gesellschaftskritik, Humor, taffen Charakteren und jeder Menge Anspielungen auf andere Comic-Werke einen eigenständigen (post-)apokalyptischen Comic zu entwerfen, der sich sehr gut liest. Seine Zeichnungen sind kantig, rau und mitunter düster und gewalttätig. Die Farben von Dave Stewart vermitteln ein ebenso passendes Gefühl für dieses „Post“ Amerika. Wenn Carolyn ihr Schwert schwingt, um Gliedmaßen abzutrennen, oder die Kugeln zahlreiche Köpfe durchbohren, dominiert das Rot. Das empfohlene Mindestalter von 16 Jahren hat daher seine Berechtigung. Die Vielfalt an Themen, die Skroce in „Post Americana“ hat einfließen lassen, begeistert auch noch nach dem erstmaligen Lesen. Dabei legt er beim Thema „Künstliche Intelligenz“ einen Fokus auf die Unterstützung der Menschen durch intelligente Prothesen. Das ist überraschend und wirkt im Zusammenspiel mit den grauenhaften Szenen rund um den Kannibalismus, dem Mike und Carolyn begegnen, meisterhaft erzählt. Denn so schärft sich schnell der Blick der Lesenden auf die Bedeutung der menschlichen Gliedmaßen, und es werden Selbstverständlichkeiten überdacht.

Die Künstliche Intelligenz als Freundin und Helferin? In „Post Americana“ lässt sich diese Frage mit einem „Ja“ beantworten. Nur der Fortschritt hat es möglich gemacht, nach der Naturkatastrophe wieder eine Zivilisation aufzubauen. Dass die Menschen in dieser „Neuen Welt“ weiterhin egoistisch und auf Kosten anderer handeln, kann auch die Künstliche Intelligenz nicht beeinflussen, so könnte man Steve Skroces Werk lesen. Mit dem Elefanten „Mister Floppibottoms“ hat Skroces einen Elefanten in den Raum gezeichnet, der zum großzügigen Nachdenken einlädt. Dass das Werk in sich abgeschlossen ist, macht Laune, es gleich erneut zu lesen.    

Leseprobe

Fazit: „Post Americana“ ist eine Hommage und Persiflage zugleich auf die schier endlose Zahl an apokalyptischen Geschichten, Zukunftsromanen und amerikanischen (Super-)Heldengeschichten. Durch die sehr markanten Zeichnungen und den derben Sprachstil ist das sicher nicht jedermanns Geschmack. Wer einen neuen Comic sucht, bei dem nicht alles auf Hochglanz poliert ist, die Charaktere nicht für die breite Masse weichgespült worden sind, und wer auch unangenehme Fragen nicht scheut, der wird hier seine große Freude finden.     

Post Americana
Comic
Steve Skroce, Dave Stewart
Cross Cult 2022
ISBN: 978-3-96658-785-3
168 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

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