von Daniel Pabst

Charles Soule und Scott Snyder, die Autoren von „Undiscovered Country“, legen nun nach. Mit diesem Comic-Band, der bei Cross Cult erschienen ist, gibt es die amerikanischen Ausgaben #6-12 in deutscher Übersetzung zu kaufen. Für die Vorzeichnungen und Layouts verantwortlich war Giuseppe Camuncoli, die Tuschezeichnungen stammen von Leonardo Marcello Grassi, und die Farben steuerte Matt Wilson hinzu.

Nachdem zuletzt ein „crazy trip“ durch Wüstensettings mit Monstertrucks à la „Mad Max Fury Road“ führte, sind davon in „Undiscovered Country 2“ die Endzeitstimmung und der Kampf gegen den Destiny Man geblieben. Ansonsten hat unsere Heldengruppe, die aus dem Geschwisterpaar Dr. Charlotte Graves und Major Daniel Graves, sowie Chang Enlou, Janet Worthington, Dr. Ace Kenyatta und Valentina Sandoval besteht,  diese surreale Zone hinter sich gelassen und landet mit dem entgleisten Zug in der zweiten Zone mit der Bezeichnung „Einheit“. Dieses Mal steht alles im Zeichen der digitalen Revolution. Angelehnt an San Francisco präsentieren uns die Autoren Cyberwelten, ein futuristisches Silicon Valley und technologische „Fortschritte“.

Die Gemeinschaft von „Einheit“, so erfahren wir, hat in der Vergangenheit mehr Energie aufgezehrt, als sie selber produzierte. Dadurch mussten andere amerikanische Zonen leiden, was das Gegenteil von Einheit bewirkte: die Zonen schotteten sich nicht nur zur Außenwelt, sondern auch untereinander ab. Doch für die Bewohnerinnen und Bewohner von „Einheit“ sind Daten das neue Gold. Daher fragen sie auch nicht, welche Opfer der technologische Wandel bringt. Als Leserin oder Leser fragt man sich dagegen – ebenso wie die Heldengruppe – durch was diese futuristischen Welt aufrechterhalten wird.

Eingebettet in einen weiß-blauen Farbverlauf, haben die Zeichner und Koloristen von „Undiscovered Country 2“ diese Stimmung derart passend umgesetzt, dass man schnell Bezüge zu aktuellen elektronischen Markenprodukten zieht. Die Bewohnerinnen und Bewohner von „Einheit“ folgen beinahe religiös Dr. Jain, die die Stadt entwickelt hat. Charles Soules und Scott Snyder loten hier gekonnt aus, wie viel Kritik an übermächtigen Technikkonzernen angebracht ist, und benennen im Comic sogar wörtlich: Google, SpaceX und Apple.

„Undiscovered Country 2“ zieht wieder einmal von Anfang bis zum Ende Parallelen zur Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Bereits das Titelbild ist eine Variation von Uncle Sam („I want you“). Dazu fällt auf, dass ein Großteil der Panels im Farb-Trio weiß-blau-rot gehalten ist. Auch die fiktiven Flaggen und Logos sind nahezu deckungsgleich mit denen der USA. Doch damit nicht genug: „Undiscovered Country 2“ spielt mit der Vergangenheit und Zukunft der „größten aller Nationen“. So finden sich diesmal neben realen Zitaten wie „Eine Nation unteilbar“ (angelehnt an den Pledge of Allegiance) oder „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut der Patrioten und Tyrannen begossen werden“ (Thomas Jefferson) fotohafte Zeichnungen berühmter amerikanischer Erfindungen, wie das Telefon, das Flugzeug, das erste Automobil in Massenproduktion, der erste Fernseher, der erste Flug zum Mond, der Computer oder das Internet. Im Duell zwischen dem Destiny Man und Dr. Jain, zeigt sich aber auch der Zwiespalt der Menschen gegenüber der Innovationen, wenn der Destiny Man uns mitteilt: „Technologie war immer eine treibende Kraft dieser Nation (…) Unseren Einfluss stärkten Waffen. Der Colt-45-Revolver, Winchester-Gewehre, Gatling-Geschütze und die interkontinentale ballistische Rakete“.
 
Dass dabei Dr. Jain die unfreiwillige Heldengruppe auf ihrer Odyssee durch die Zonen wissen lässt, dass das Ziel aller Innovationen sei „sowohl Methoden zur besseren Verknüpfung miteinander als auch zur besseren Isolation voneinander zu entdecken“, macht nochmal besonders Eindruck, bedenkt man, dass in diesem dystopischen Land, das Soule und Snyder geschaffen haben, es eine durch technologische Innovationen geschaffene Mauer ist, die die USA bewusst von der Außenwelt trennt. Für wen also gilt die Freiheit? Wie definiert sich diese amerikanische Freiheit? Ist der dargestellte amerikanische Isolationismus als Vorbild oder Schreckbild zu betrachten?

Auch nach diesem Comic-Abenteuer ist klar: Soule und Snyder liefern mit „„Undiscovered Country 2“ eine Fülle an Fragen, die sie – vorerst – unbeantwortet lassen. Die nächste Zone, in die die Gruppe vordringen wird, lautet übrigens: „Möglichkeiten“. Und die Uhr tickt unaufhörlich. Denn mit jeder Minute in den amerikanischen Zonen steht nicht nur das eigene Leben der Außerwählten auf dem Spiel, sondern reduziert sich auch die Hoffnung auf ein Gegenmittel des grassierenden Virus „Sky“, welcher außerhalb der Vereinten Staaten von Amerika die Menschen tötet.

Abgerundet wird dieser Comic durch mehrere Seiten mit Konzeptzeichnungen (Giuseppe Camuncoli), mit Skizzen und mit einzelnen Covern und Alternativ-Covern der amerikanischen Einzelausgaben #6-12.

Leseprobe

Fazit: „Undiscovered Country 2“ geht die Geschichte insgesamt etwas ruhiger an, als sein Vorband. Das liegt zum einen daran, dass die Zone „Einheit“ mit ihren Innovationen sehr klinisch und puritanisch ist und weniger Action zulässt, zum anderen an der farblichen Gestaltung in überwiegend weiß-blau-rot Tönen. Erneut ist der Comic sehr textlastig und die Anzahl der Anspielungen und gesellschaftskritischen Aspekte ist stark abhängig vom eigenen Interesse an den USA, deren Historie und politischen System. Unabhängig von diesem möglichen Kritikpunkt, präsentiert der Comic auf drastische Weise die Schattenseiten des technologischen Fortschrittsdenkens. Am Ende des Comics lassen Soule und Snyder den gezeichneten iPod das Lied: „Weird Science“ von Oingo Boingo aus dem Jahre 1985 spielen und so die Grenze zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. Seltsam gut!
 
Undiscovered Country 2 – Einheit
Comic
Charles Soule, Scott Snyder
Cross Cult 2021
ISBN: 978-3-96658-475-3
152 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 22,00

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