Splittermond – Die Regeln

Vor einem guten Vierteljahr veröffentlichte der Uhrwerk Verlag den Weltenband des High-Fantasy-Rollenspiels „Splittermond“. Das zweite Buch „Die Regeln“ komplettiert nun das Einsteiger-Set.

von Bastian Ludwig

Dieser zweite Band von „Splittermond“ vereint – der Name sagt es schon – alle Regeln, die Spielleiter und Spieler benötigen, um Abenteuer in Lorakis, der Welt von „Splittermond“, zu erleben. Das Inhaltsverzeichnis liest sich dabei so, wie es für solche Kompendien üblich ist. Zunächst einmal wird erklärt, was ein Rollenspiel ist. Das ist relativ knapp gehalten und es schadet sicher nicht, eine grobe Vorstellung von RPGs zu haben oder sich noch mal anderweitig zu informieren, allerdings ist der Abschnitt auch mit einer sehr anschaulichen Beispielseite ausgestattet. Das nächste Kapitel gibt einen Überblick über die Grundregeln um Würfel, Attribute und Proben. Danach folgt ein ausführlicher Abschnitt über die Charaktererschaffung samt den üblichen Erläuterungen von den Fertigkeiten, dem Kampf, der Ausrüstung, der Zauberei und Ähnlichem. In einem kurzen Kapitel werden Gegner und Monster vorgestellt, die ausreichen, um einige Kampagnen zu bestreiten. Ich gehe aber mal schwer davon aus, dass ein Monster-Band zumindest in der Planung ist. Auf gut 30 Seiten wird dann Lorakis beschrieben. Ich halte das für keine Selbstverständlichkeit, hätten die Macher hier doch auch einfach auf den ersten „Splittermond“-Band „Die Welt“ verweisen können. Auf diese Weise gehen sie das Risiko ein, Käufer des Weltenbandes zu verlieren, denn zusammen mit den Kulturbeschreibungen bei der Charaktererschaffung reicht die Weltenbeschreibung in „Die Regeln“ auf jeden Fall aus, um sich ein Bild von Lorakis zu machen. Ich sehe diesen Abschnitt als Dienst am Kunden. Bravo. Abgeschlossen wird der Band dann von Übersichtslisten, Archetypen, Kopiervorlagen und anderen nützlichen Hilfsmitteln.

Mit diesem Inhalt präsentiert sich „Die Regeln“ als komplettes Rollenspielpaket. Um loszulegen, benötigen weder Spielleiter noch Spieler irgendwelche sonstigen Materialien. Das ist einerseits gut, andererseits führt es dazu, dass der Band mit seinen gut 350 Seiten und dem A4-Format unter den Rollenspielbüchern zu den massiveren Vertretern gehört, was die Handhabung am Rollenspieltisch etwas umständlich, aber doch gerade noch komfortabel genug macht. Schwerer als das Gewicht wirkt das teils unübersichtliche Layout. Schlägt man eine beliebige Seite des Buches auf, weiß man nicht, wo man sich gerade befindet. Eine Kopfzeile mit dem aktuellen Kapiteltitel hätte hier Abhilfe schaffen können. Praktisch wäre auch eine Nummerierung der einzelnen Kapitel und Unterkapitel gewesen, denn das System der zahlreichen sehr ähnlich formatierten Überschriften und Unterüberschriften ist nicht gerade transparent. Der Index am Ende des Buches ist zum Glück sehr ausführlich ausgefallen und ein Glossar gibt es auch, allerdings helfen auch diese beiden nicht immer weiter, wenn man schnell herausfinden will, wo im Buch ein regelrelevanter Begriff erklärt wird. So konnte ich – als willkürliches Beispiel ausgewählt – etwa keinen Verweis auf den Begriff „Schwelle“ finden, der im Kontext der Fertigkeiten genutzt wird.

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass das komplette Regelwerk auf der Internetseite von „Splittermond“ kostenlos zum Download angeboten wird. Für den Verlag ist das eine Werbestrategie, die der Verbreitung des RPG-Jungspunds dienen soll, für die Spieler hat es den Vorteil, dass sie wichtige Begriffe über die Suchfunktion des PDF-Readers finden oder sich wichtige Passagen zu einem eigenen kleinen Regelheft zusammenstellen können, ohne das Buch auf den Scanner quetschen zu müssen. Welchen Grund man dann noch hat, sich die mit knapp 40 Euro zwar nicht übermäßig teure, aber eben auch nicht kostenlose Printversion zu kaufen? Kurz gesagt: Der Band ist ein sehr hochwertig produziertes Hardcover mit schmuckem Titelbild, durchgängig vierfarbig und moderat, aber sehr hübsch bebildert. Im Bücherschrank macht er allemal eine gute Figur.

Schauen wir uns nun die Regeln ein bisschen genauer an. Zunächst einmal setzen die Autoren auf bewährte Rollenspielmechaniken. Es gibt acht Attribute und die üblichen abgeleiteten Werte wie Lebenspunkte oder die Geschwindigkeit, natürlich werden Proben auf alltägliche Fertigkeiten und für den Kampf gewürfelt, Steigerungen laufen nicht über einen Levelaufstieg, sondern werden direkt mit Erfahrungspunkten gekauft. Das Rollenspielregelrad wird hier sicherlich nicht neu erfunden. Allerdings interpretieren die Macher die bewährten Mechanismen in einer Weise, dass daraus ein sehr schlankes Regelgerüst entsteht. Gewürfelt wird fast ausschließlich mit 2W10, das System ist rein additiv. Für eine übliche Fertigkeitenprobe wird der Fertigkeitenwert, der sich aus der Summe zweier Bezugsattribute plus den Fertigkeitspunkten zusammensetzt, mit dem Ergebnis des Würfelwurfs und etwaigen Modifikatoren addiert. Erreicht oder überboten werden muss dann ein Schwierigkeitsgrad, je höher das Gesamtergebnis, desto besser der Effekt. Das ist sehr eingängig und lässt sich am Spieltisch schnell umsetzen, ohne dass man allzu lange den Charakterbogen studieren muss. Auch lassen beispielsweise die gerade einmal 27 Fertigkeiten und 16 „Ausbildungen“, also Klassen, den reduzierten Ansatz von „Splittermond“ erkennen. Es geht den Machern offensichtlich nicht darum, dass sich die Spielgruppe mit ausuferndem Gewürfel und dem Wälzen der Regeln aufhält. Nichtsdestotrotz gibt es zu jeder Regel reichliche Detailergänzungen, die man aber durchaus als optional betrachten kann, ohne dass die Mechanik in sich zusammenbricht, sodass jede Gruppe selbst entscheiden kann, wie tief sie denn nun in das Regelsystem eindringen will.

Viel Traditionelles in straffer Form also, aber natürlich bietet „Splittermond“ auch ein paar ungewöhnlichere Ideen. Da wäre zunächst einmal die Tatsache, dass alle Spielercharaktere in „Splittermond“ sogenannte „Splitterträger“ sind, durch die Kräfte des geborstenen Mondes mit besonderen Gaben ausgestattete Menschen. Auf der einen Seite hat das atmosphärische Folgen, denn als Splitterträger fühlt man sich mit Lorakis in gewisser Weise verbunden. Man könnte die Spielercharaktere nicht ohne Weiteres in eine andere Welt verpflanzen, ohne dass sie einen wichtigen Teil ihrer Identität verlieren. Außerdem hat das Dasein als Splitterträger ganz konkrete spieltechnische Folgen, kann man seine Gabe doch einsetzen, um kleine Effekte hervorzurufen und das Schicksal ein bisschen zu manipulieren, zum Beispiel indem man einen misslungenen Würfelwurf wiederholt oder die eigenen Fertigkeitspunkte für die Dauer einer Probe mit denen eines anderen Spielers tauscht. Die Spielercharaktere bekommen damit diesen besonderen Pfiff, der sie von Normalos abhebt und ihnen das Potenzial gibt, zu legendären Helden – oder Schurken – zu werden.

Entscheidend im Kampfsystem sind die sogenannten „Ticks“. Ticks sind kurze Zeiteinheiten, in denen Handlungen während eines Kampfes gemessen werden. Aus einer sitzenden Position aufzustehen dauert beispielsweise 3 Ticks, ein Angriff mit einem Breitschwert 9 Ticks. In einem Kampf geben die Positionen auf einem Zeitstrahl an, wer als Nächstes eine Aktion ausführen darf, nämlich immer derjenige, der zeitlich gesehen am weitesten zurückliegt. Im Vorfeld gab es Stimmen, die befürchteten, das könnte Kämpfe zu kleinschrittig werden lassen. Tatsächlich erzeugt die Gleichzeitigkeit der Aktionen, die durch den Zeitstrahl erreicht wird, aber ein authentisches Gefühl des Kampfgeschehens, jeder Spieler weiß immer, wer als nächstes an der Reihe ist und Aktionen lassen sich auf Basis ihrer Dauer schon recht früh taktisch klug auswählen. Durch diese Übersichtlichkeit entsteht ein flotter Spielfluss und die Kämpfe machen so wirklich Laune.

Schön ist auch die gestufte Schadenstabelle. Nimmt man eine bestimmte Menge Schaden, rutscht man in eine niedrigere „Gesundheitsstufe“, was einen immer größeren Malus auf Proben, Initiative und Geschwindigkeit zur Folge hat. Dadurch bekommt man ein gutes Gefühl dafür, wie der eigene Charakter immer weiter versehrt wird.

Fazit: Was „Die Welt“ auf inhaltlicher Ebene schon angedeutet hat, zeigt sich auch bei „Die Regeln“: „Splittermond“ ist den Traditionen der High-Fantasy-RPGs verschrieben und versucht weniger, Neues zu erfinden, als Bewährtes von unnötigem Ballast zu befreien und daraus ein schlankes Regelwerk zu formen. Das gelingt den Machern auch ziemlich gut und sie packen das Ergebnis in ein schönes Rollenspielbuch, das nicht immer perfekt gelayoutet ist, aber alles bietet, was man zum Losspielen benötigt.


Splittermond – Die Regeln
Patric Götz u. a.
Uhrwerk Verlag 2014
ISBN: 978-3-942012-67-6
352 S., Hardcover, Deutsch
Preis: EUR 39,95

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