Die Arwinger Mark: Im Schatten des Kynhold

Das Grundregelwerk von „Splittermond“ war schon zu vollgepackt, also bringt der Uhrwerk-Verlag die Regionalbeschreibung der Arwinger Mark, der Einsteigerregion von „Splittermond“, einfach als eigenständiges Heft heraus.

von Bastian Ludwig

„Die Arwinger Mark: Im Schatten des Kynhold“ ist der erste Regionalband, in dem ein Teil der „Splittermond“-Welt Lorakis ausführlicher beschrieben wird. Ausführlicher heißt in diesem Fall auf gut 20 Seiten; meiner Meinung nach die optimale Länge für einen solchen Regionalband. Ausreichend lang, um dem Leser ein Bild der Region zu vermitteln, ohne dabei jeden Grashalm zu beschreiben. Das passt zum Konzept von „Splittermond“, den Spielern eine zwar ausgearbeitete Welt zur Verfügung zu stellen, dabei aber viele Freiräume für die eigene Fantasie zu lassen.

„Die Arwinger Mark“ ist zwar nicht direkt als In-Game-Text, also aus der Perspektive eines Bewohners von Lorakis geschrieben, hat aber einen ähnlichen Informationsgehalt. Sie liest sich quasi wie ein Reiseführer, den man auch in einem Buchladen irgendwo in der Mark kaufen könnte. Gefüllt sind die 20 Seiten dementsprechend mit einem Überblick über deren Geschichte, Kultur und Geografie. Etwa die Hälfte des Textes nimmt eine Beschreibung einzelner Ecken der Mark inklusive Flora, Fauna und Besonderheiten ein; ein eigener Abschnitt gehört Arwingen, der Hauptstadt der Region. Damit gibt der Band einen breiten Überblick über das Land im Schatten des Kynhold, die Texte sind atmosphärisch geschrieben, halten die Waage zwischen harten Fakten und abergläubischer Folklore und bieten zahlreiche Inspirationen für Abenteuer.

Die Arwinger Mark stellt ein ziemlich traditionelles, ans europäische Mittelalter angelehntes High-Fantasy-Setting dar, wie man es aus tausenden Fantasy-Romanen und -Rollenspielen kennt, und man könnte diskutieren, ob dies eine interessante Wahl für eine Einsteigerregion ist. Allerdings würde eine aus unserer Sicht allzu exotische Gegend wie etwa das östliche Takasadu vielleicht auch den Zugang zu Lorakis gerade für Rollenspiel-Neulinge erschweren. Von daher geht das Setting schon in Ordnung.

Für das, was der Band ist, ist er also wirklich gut gemacht. Allerdings bin ich der Meinung, dass der Ansatz, den Leser auf den Wissenshorizont eines Bewohners von Lorakis zu beschränken, nicht optimal für eine solche Spielhilfe ist.

Ich möchte das mal an einem ganz banalen Beispiel verdeutlichen: Der Band enthält eine kurze Liste mit typischen Nachnamen der Arwinger Mark wie z. B. Beutelnacht, Felsental und Sturmklipp. Nehmen wir mal an, ich möchte als Spielleiter nun eine Arwinger Figur erschaffen, mich aber nicht aus der knappen Namensliste bedienen, sondern mir einen eigenen Namen ausdenken, der aber natürlich arwingisch klingen soll, denn ich möchte ja der Welt von „Splittermond“ treu bleiben. Als erstes kommt mir „Krock’ibn’tol“ in den Sinn. Aber passt dieser Name nun nach Arwingen? Ich benötige Merkmale, anhand derer ich das entscheiden kann. Wenn ich mir die drei Beispiele oben ansehe, scheine ich mir diese Merkmale recht einfach ableiten zu können. Offenbar bestehen viele Arwinger Nachnamen aus zusammengesetzten, deutschsprachigen Nomen, wobei ein Bestandteil einen Bezug zur raueren Natur hat und das Ganze auch gerne mal etwas archaisch wirken darf. „Krock’ibn’tol“ erfüllt diese Anforderungen irgendwie nicht so richtig. Ich verwerfe die Idee also und nenne meine Figur lieber „Finsterwald“.

Schon klar, das ist ein Deppen-Beispiel, aber es zeigt ein grundsätzliches Problem auf: Wenn ich als Meister ein Abenteuer leite, und noch mehr, wenn ich selbst eines schreibe, muss ich ständig Entscheidungen treffen und mir dabei die Frage stellen, ob sie für die Welt, in der ich mich bewege, angemessen sind. Dafür muss ich wissen, nach welchen Regeln diese Welt funktioniert. Das ist etwas ganz anderes, als nur eine Beschreibung der Welt zu kennen. Die Regeln nennt mir „Die Arwinger Mark“ aber nicht explizit, ich muss sie mir ableiten, was nicht immer so einfach und eindeutig wie bei meinem Namensbeispiel ablaufen wird. Ich bin also stets dem Risiko ausgesetzt, etwas Falsches abzuleiten, wobei falsch hier meint, unangemessen für die „Splittermond“-Welt, wie sie von den Autoren gestaltet wurde.

Um das zu verhindern, müssten die „Splittermond“-Autoren die Regeln einfach mit uns teilen, was kein Problem sein sollte, da sie ja schon existieren. Die Autoren haben eine Welt erschaffen und das heißt letztlich ja nichts anderes, als deren Regeln festzulegen. Ich wette, dass sie auf den Rechnern der „Splittermond“-Redaktion ganze Ordner füllen. Erst, wenn ich als Abenteuerschreiber diese Regeln kenne, kann ich wirklich kreativ mit Lorakis umgehen, und erst dadurch erfüllt „Splittermond“ auch den eigenen Anspruch, den Spielern eine klar umrissene, aber offene Spielwiese zu bieten. Und grundsätzlich ist der „Splittermond“-Redaktion dieser Ansatz auch bekannt. Es gibt einen Abschnitt mit dem Titel „Spiel und Abenteuer in der Arwinger Mark“. Hier verlassen wir ansatzweise die Ebene des In-Game-Wissens und schauen von oben auf die Welt herab. Es wird nicht mehr beschrieben, es wird erklärt. Der Abschnitt umfasst allerdings nur eine traurige halbe Seite.

Nun ist mir ja klar, dass viele Rollenspieler gerne einen Leseband haben wollen, der ihnen einen eher erzählenden, atmosphärischen Zugang zu Lorakis ermöglicht. Das ist legitim. Mein Vorschlag deswegen: die eine Hälfte In-Game-Texte für die Atmosphäre, die andere Hälfte Out-Game-Text für den Wissensvorsprung.

Müsste dadurch der Umfang des Bandes deutlich größer ausfallen? Nicht unbedingt. Zum einen ließen sich einige Inhalte von „Die Arwinger Mark“ auch gut wegkürzen. Flora und Fauna oder Essen und Nahrung beispielsweise, müssen nicht unbedingt in einen Fließtext gepackt werden. Hier wären Listen mit Erläuterungen ausreichend. Dann würde der Band auch als Nachschlagewerk während des Spiels besser funktionieren.

Daneben würden Texte, die die lorakische Perspektive verlassen, auch die Möglichkeit eröffnen, durch einfache Verweise viele Informationen auf engen Raum zu packen. Ein Beispiel: Lorakis basiert ja sowohl von den Kulturen als auch von den klimatischen Gegebenheiten her stark auf unserer eigenen Welt. Mit einer Anmerkung wie „Der Baumbestand in der Arwinger Mark entspricht weitestgehend dem von Deutschland“, ergänzt um ein paar lorakische Besonderheiten, könnte man die Flora der Mark in wenigen Sätzen abhandeln, den Leser aber mit Wissen ausstatten, mit dessen Hilfe er Lücken in der Regionalbeschreibung selbst schließen kann, ohne die Regeln der Welt zu verletzen.

Zum Abschluss soll der Vollständigkeit halber noch erwähnt werden, dass die zweite Hälfte des Bandes zwei kurze Abenteuer, einmal in der Wildnis der Mark, einmal in der Stadt Arwingen, enthält, mit denen man gleich loslegen kann, diese Region von Lorakis zu erkunden. Außerdem ist der Band kostenlos als PDF erhältlich; hier ist mal wieder ein großes Lob für den Verlag angebracht.

Fazit: „Die Arwinger Mark: Im Schatten des Kynhold“ ist eine Regionalbeschreibung, die ähnlich einem In-Game-Text daherkommt und mit einem umfassenden Überblick über die Region und gut geschriebenen Texten als Lesebuch auch eine gute Figur macht. Als wirkliche Spielhilfe für den Meister und als Nachschlagewerk am Rollenspieltisch funktioniert sie mit diesem Ansatz aber nur bedingt, da sie die Arwinger Mark mehr beschreibt, als dass sie sie erklärt, und damit demjenigen, der die Welt von „Splittermond“ eigenständig, aber regelgetreu umformen möchte, wichtige Informationen vorenthält.


Die Arwinger Mark: Im Schatten des Kynhold
Quellenbuch
Tobias Hamelmann (Hrsg.)
Uhrwerk Verlag 2014
ISBN: 978-3-9420-1287-4
56 S., Softcover, Sprache: Deutsch
Preis: EUR 14,95

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