Splittermond – Die Welt

Ein gutes Jahr nach seiner Ankündigung steht es nun in den Regalen: „Splittermond“, das deutsche High-Fantasy-Rollenspiel, das der journalistische Buschfunk nicht zuletzt wegen der Hintergründe seiner Entstehung schon früh zum direkten Konkurrenten von „Das Schwarze Auge“ erklärte. Weil es aber den Machern gegenüber unfair wäre, „Splittermond“ nur im Vergleich zu „DSA“ zu besprechen, soll das hier das letzte Mal sein, dass der deutsche Rollenspiel-Platzhirsch genannt wird. „Splittermond“ hat die Chance verdient, als eigenständiges Werk gesehen zu werden.

von Bastian Ludwig

„Die Welt“ ist die erste Publikation zum neuen High-Fantasy-Rollenspiel „Splittermond“, einer Originalproduktion aus dem Uhrwerk Verlag. Wie der Name schon andeutet, handelt es sich um die Beschreibung der Spielwelt Lorakis samt ihrer Bewohner. Das „Splittermond“-Grundregelwerk wird dann wohl in wenigen Monaten in den Handel kommen.

„Splittermond“ versteht sich als Allround-Rollenspiel. Es konzentriert sich nicht auf ein begrenztes Setting, sondern will seinen Spielern die volle Bandbreite der High-Fantasy-Szenarien bieten. Dementsprechend finden sich in Lorakis alle Kulturen und Epochen wieder, in denen sich Fantasy-Rollenspieler gerne tummeln. Die geographische Aufteilung von Lorakis orientiert sich dabei an der unserer guten, alten Erde. So finden wir im Westen des Kontinents das an das europäische Mittelalter erinnernde Dragorea, etwas südlich davon lädt Pash Anar mit seinen Wüsten und Palästen dazu ein, Abenteuer wie in 1001 Nacht zu erleben, noch einmal südlich davon finden sich die dampfenden Dschungel von Arakea. Wer es lieber kalt mag, besucht die unwirtlichen Frostlande hoch im Norden, im östlich gelegenen Takasadu wartet dann die lorakische Version eines feudalen Chinas und Japans darauf, erkundet zu werden.

Diese Anleihen an unsere reale Welt kann man vielleicht als unoriginell bezeichnen, als Weigerung, ein völlig eigenständiges, fiktives Universum zu gestalten, aus Sicht der Immersion sind sie aber ungemein geschickt. Denn schon der Klang von Ortsbezeichnungen wie „Takasadu“, „Zhoujiang“ oder „Smaragdküste“, um jetzt mal im Osten von Lorakis zu bleiben, erzeugt bei den Spielern Bilder im Kopf, die dafür sorgen, dass sich eine Rollenspielgruppe schneller im Szenario zurechtfindet. Bei einem Rollenspiel, in dem die Welt vollkommen von der Erfahrungswelt abweicht, die die Spieler teilen, wird es zwangläufig zu Missverständnissen hinsichtlich der Weltgestaltung kommen, die nur durch intensive Lektüre von Weltenbeschreibungen oder durch einen exzellent agierenden Meister aufgefangen werden können. Für ein Mainstream-Rollenspiel, das auch Gelegenheitsspieler mitnehmen möchte, ist die Orientierung an unserer echten Welt also genau der richtige Weg.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Palette der spielbaren Völker. In „Splittermond“ mögen sie „Alben“ heißen, sie bleiben aber trotzdem Elfen. Menschen, Gnome, Orks und Zwerge gehören ebenfalls zum Fantasy-Standard, gleiches gilt für die hier als „Varge“ bezeichneten Wolfsmenschen. Sagt der Spielleiter: „Ihr kommt in eine völlig überfüllte Schenke. Überall wimmelt es von Zwergen, Gnomen, Menschen und Alben.“, dann kann er davon ausgehen, dass alle Spieler ein relativ identisches, von kollektivem Fantasy-Wissen gespeistes Bild im Kopf haben. Bei vollkommen neuen Völkern wäre das nicht der Fall. Hier wie bei den Kulturen von Lorakis heißt das Motto also: Zugänglichkeit.

So meistert „Splittermond“ es recht gut, einer Rollenspielgruppe eine Spielwiese an die Hand zu geben, die verhältnismäßig ausführlich beschrieben ist, in der sich aber auch Gelegenheitsspieler zurechtfinden und die es diesen ermöglicht, relativ frei von den Zwängen eines allzu sehr redaktionell betreuten Rollenspiels eine eigene Welt zu gestalten. Offensichtlicher Ausdruck dieses Willens der Macher sind die „Weißen Flecken“, Orte in Lorakis, die die „Splittermond“-Autoren auch in Zukunft niemals eingehender beschreiben werden, sodass der Spielleiter sie nach eigenem Willen ausgestalten kann, ohne in Konflikt mit einem etwaigen Metaplot oder ausführlicheren Regionalbeschreibungen zu kommen. „Weiße Flecken“ sind keine neue Idee von „Splittermond“, auch im Unterwasser-RPG „LodlanD“ findet man sie beispielsweise, und doch werden sie viel zu selten in Rollenspielsysteme eingebaut. Eine gute Sache also.

Bei einer Rollenspielwelt, die alle möglichen Epochen und Kulturen in sich vereinen will, kann es leicht passieren, dass das ganze wie ein Flickenteppich wirkt, ein Nebeneinander verschiedener Welten, die sich aber nicht zu einem Ganzen fügen. Völlig kann sich auch „Splittermond“ nicht davon freihalten. Und doch erschaffen die Autoren ein insgesamt stimmiges Universum. Dies gelingt bei allen regionalen und kulturellen Unterschieden durch verschiedene erzählerische Klammern, die das Gesamtkonzept zusammenhalten. Da wäre zunächst einmal das gemeinschaftsstiftende Ereignis des vor 1000 Jahren zerborstenen Blauen Mondes, der noch immer am Himmel hängt und alle Bewohner von Lorakis an den gemeinsamen Ursprung ihrer Zivilisation erinnert. Diesen gemeinsamen Ursprung bemerkt man auch in der Geschichte der einzelnen Kulturen, die an verschiedenen Stellen miteinander verzahnt ist.

Eine weitere Folge der Mondexplosion sind die Splitterschauer, die immer mal wieder auf Lorakis niedergehen und Kindern, die zu diesem Zeitpunkt geboren werden, besondere Kräfte verleihen. Zu diesen „Splitterträgern“, die man verteilt auf dem ganzen Kontinent findet, gehören auch die Spielercharaktere. Ein weiteres Element, das die Welt von „Splittermond“ nicht nur im übertragenen Sinne verbindet, sind die „Mondpfade“, Wege durch die mit anderen physikalischen Gesetzen ausgestatteten, als parallele Dimension zum Diesseits liegenden Feenwelten, über die man große Distanzen auf Lorakis in relativ kurzer Zeit zurücklegen kann, auch wenn die Reise nicht ganz ohne Risiko ist. Manchmal wird man aber kaum darum herumkommen, sie anzutreten, denn Lorakis ist mit einer Größe von etwa 10.000 mal 8.000 Kilometern wirklich gigantisch. Spieltechnisch ist das zwar weniger relevant, denn welche Rollenspielgruppe braucht schon so viel Platz, es trägt aber zur Plausibilität der Welt bei, da man sich auf einem so umfangreichen Kontinent tatsächlich viele verschiedene Klimazonen und Kulturen vorstellen kann.

Eine optische Klammer bekommt Lorakis durch die zwar in ihrer Anzahl überschaubaren, aber durchgängig als Gemälde umgesetzten Illustrationen des Bandes, die einen guten ersten Überblick über die Atmosphäre der Welt von „Splittermond“ liefern. Herausheben möchte ich hierbei die Kleidung, die eindeutig auf die irdischen Vorbilder der Kulturen von Lorakis verweist, aber sich doch so weit von jenen entfernt und eigene, verbindende Stilelemente besitzt, dass man eben nicht das Gefühl bekommt, dass hier irgendwelche irdischen Kulturen aus irgendwelchen irdischen Epochen wahllos nebeneinandergepflanzt wurden.

Äußerlich präsentiert sich der durchgängig vierfarbige Band in der hohen Qualität, die man vom Uhrwerk Verlag gewohnt ist. „Splittermond – Die Welt“ ist eher als Lesebuch, denn als Nachschlagewerk für den Spieltisch konzipiert. Fließtexte bestimmen das Bild, Tabellen oder andere Übersichten kommen nur am Rande vor. Die Texte sind flüssig geschrieben und halten eine gute Balance zwischen Atmosphäre und Informationsvermittlung. Neben den schon weiter oben erwähnten Illustrationen sollen zahlreiche Kartenausschnitte eine räumliche Vorstellung von Lorakis liefern, allerdings sind sie manchmal beinahe bis zur Unleserlichkeit verkleinert worden. Zum Ausgleich enthält der Band aber eine hübsche, herausnehmbare Karte, die etwa A1-Größe hat.

Fazit: „Splittermond – Die Welt“ schildert ein klassisches High-Fantasy-Universum und erfindet dabei das Rad auf keinen Fall neu. Allerdings haben die Autoren ihre Sache wirklich gut gemacht und eine interessante, in Anbetracht der vielen verschiedenen Kulturen und Klimazonen durchaus stimmig wirkende Welt erschaffen, die es Rollenspielern ermöglicht, je nach Geschmack in unterschiedlichen klassischen Fantasy-Szenarien Abenteuer zu erleben und dabei entweder ganz eigene Wege zu gehen oder sich an die offiziellen Publikationen anzuhängen, die – so es denn die Verkaufzahlen rechtfertigen – in Zukunft erscheinen werden.

Splittermond – Die Welt
Quellenband
Thomas Römer u. a.
Uhrwerk Verlag 2014
ISBN: 978-3-942012-77-5
281 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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