INTERVIEW: Tilman Hakenberg über das „Splittermond“-Regelwerk

Ende Juni erschien das lang erwartete „Splittermond“-Grundregelwerk. Der Ringbote konnte mit Tilman Hakenberg, einen der Regelredakteure, für ein Interview gewinnen.

von André Frenzer

Ringbote: Heute unterhalten wir uns mit Tilman Hakenberg, einem der Regelredakteure für das neue „Splittermond“-Rollenspiel des Uhrwerk-Verlags. Tilman, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit zur Beantwortung einiger Fragen nimmst. Von der ersten Ankündigung des neuen Rollenspiels „Splittermond“ bis zu seiner Veröffentlichung sind fast anderthalb Jahre vergangen. Wie fühlst Du Dich nach dieser langen Zeit? Überwiegt die Freude, dass nach langem Feilen ein fertiges Produkt vorliegt oder hättest Du gerne noch mehr Zeit an den Regeln verbracht?

Tilman Hakenberg: Kein Problem, mache ich doch gerne. Wirklich, anderthalb Jahre erst? Das kommt einem länger vor. Kein Wunder, wir haben zu dem Zeitpunkt ja schon über ein Jahr daran gearbeitet. Es ist schwer zu beschreiben, wie ich mich fühle. Wenn ich es in einem Wort zusammenfassen müsste, wäre das „surreal“. Es ist ein großartiges Gefühl, dass das Buch jetzt erschienen ist, aber die Arbeit am Regelwerk war so lange ein wichtiger Teil meiner Zeit, dass es auch irgendwie komisch ist.

Ob ich gerne mehr Zeit mit den Regeln verbracht hätte – ja und nein. Ja, weil man natürlich immer noch perfektionieren, schrauben, überarbeiten, neu konzeptionieren kann. Nein, weil ich Patric und den Uhrwerk-Verlag hier einfach mal uneingeschränkt loben muss. Es galt immer die Devise: Qualität vor Pünktlichkeit. Klar hatten wir uns immer Deadlines gesetzt, aber falls es fraglich war, wurde immer die Zeit für Überarbeitung und Klärung eingeräumt, auch, wenn dadurch eventuell wichtige Termine verpasst wurden. Für mich als freien Autor und Regeldesigner ist das natürlich großartig, für den Verlag aber eine wirkliche Überwindung, da an so einer Entscheidung auch immer ein finanzieller Rattenschwanz dranhängt. Ich ziehe meinen Hut vor Patric und Co., dass sie dieses Qualitätsdenken so konsequent umsetzen. Das ist wirklich toll.

Ringbote: „Splittermond“ hat eine lange und intensive Beta-Testphase hinter sich. Bereits zur RolePlayConvention 2013 wurde ein Beta-Regelwerk veröffentlicht. Wie beurteilst Du den Beta-Test? War das Feedback der Spieler hilfreich und konnte im endgültigen Regelwerk Berücksichtigung finden, oder war die Informationsflut zu erdrückend?

TH: Wir haben nicht nur die Kommentare zum Schnellstarter von der RPC 2013 gesichtet, sondern im September 2013 auch noch einen „vollständigen“ geschlossenen Beta-Test gestartet. Das Feedback war überwältigend und viel größer, als wir es erahnt hatten. Es war auch „erdrückend“, aber nicht „zu“ erdrückend: Zu sehen, mit welcher Begeisterung und Diskutierfreude die Leute unser Regelwerk auseinandergenommen haben, hat uns eine Menge Motivation gegeben, und wir haben uns sehr bemüht, auch wirklich jedes Detail aus jeder Rückmeldung zu beachten. Das war eine harte Arbeit von mehr als sechs Monaten. Aber es hat sich gelohnt: Ich bin überzeugt, dass das Regelwerk durch das Feedback deutlich besser geworden ist, und bin den Beta-Testern sehr dankbar.

Und das ist nur ein Aspekt. Ein weiterer ist, dass sich während des Beta-Tests eine tolle Community unter den Testern gebildet hat. Die Zusammenarbeit war sehr eng und persönlich. Die Stimmung war gut, immer sehr freundlich, immer produktiv. Ich hoffe sehr (und bin auch davon überzeugt), dass das auch nach Erscheinen des Regelwerks so bleibt. Der Test war also in mehrfacher Hinsicht ein voller Erfolg, und ich hoffe, dass das auch die Beta-Tester so sehen.

Ringbote: Insbesondere das im Kampf verwendete Initiativesystem wurde nach der Veröffentlichung des Beta-Regelwerkes viel diskutiert. Auch, wenn das Tick-System nach einiger Eingewöhnung flüssig von der Hand zu gehen scheint – haben sich an diesen Regeln noch Änderungen ergeben?

TH: Ja, es haben sich Änderungen ergeben. Nicht an der Gesamtheit: Das Tick-System war eine der Basis-Designentscheidungen, die mit Beginn des Beta-Tests nicht mehr zur generellen Debatte stand. Aber im Detail hat sich viel geändert. Der Kampf war, wie zu erwarten, eines der meistdiskutierten Themen. Wir haben sämtliche Tickkosten neu berechnet und generalüberholt, die Funktionsweise von Kampfmanövern geändert, die Herangehensweise an verschiedene Aktionen überarbeitet. Die Grundlage aber, ein kontinuierlicher Zeitstrahl mit unterschiedlichen Zeitkosten, blieb erhalten. Das liegt auch daran, dass wir von dem System wirklich überzeugt sind. Klar, wenn man klassische Kampfrunden gewöhnt ist, braucht es ein bisschen Eingewöhnungszeit, geht dann aber flott von der Hand und liefert leicht nachvollziehbare Ergebnisse.

Ringbote: In der „Splittermond“-Redaktion finden sich einige ehemalige Mitarbeiter des größten deutschen Rollenspiels, „Das Schwarze Auge“ wieder. Von jeher wurden daher Stimmen laut, die Vergleiche zwischen den beiden Systemen ziehen wollten. Dem „Schwarzen Auge“ wird gerade in seiner aktuellen Regelinkarnation oft ein großer Regelballast vorgeworfen. Wie detailverliebt ist das endgültige Regelwerk für „Splittermond“?

TH: Ja, die Vergleiche „Splittermond“ – „DSA“ kommen häufig. Und das ist ja auch nachvollziehbar – wirklich viele unserer Autoren haben auch an „DSA“ mitgearbeitet, und es ist ein klassisches Fantasy-Rollenspiel. Das liegt aber auch ein wenig in der Natur der Sache. Man wendet sich nun einmal eher an Leute, die man kennt – und wenn man im Rollenspielbereich vor allem „DSA“-Autoren kennt, wendet man sich an diese, zumal es bei einer so großen Gruppe ohnehin kaum möglich wäre, nicht allein statistisch schon eine Menge „DSA“-Autoren zu erwischen. Es sollte aber auch noch mal betont werden, dass viele von uns auch an anderen Systemen arbeiten. Tobias Hamelmann ist zum Beispiel der deutsche Chefredakteur für „Shadowrun“, und ansonsten haben viele an Spielen wie „Deadlands“, „Space: 1889“ oder „Dungeonslayers“ mitgearbeitet. Wir sind also breiter aufgestellt, als es auf den ersten Blick scheint.

Was den Detailgrad angeht, versuchen wir einen Spagat. „Splittermond“ zielt eher auf Spieler, die Spaß daran haben, zu taktieren und an ihrem Charakter auch regeltechnisch herumzubasteln – für reine Geschichtenerzähler, die regelarme Systeme vorziehen, die mit „breiten Pinselstrichen“ gemalt wurden, ist es vermutlich zu viel. Wir gehen an vielen Stellen ins Detail, wobei wir sehr darauf geachtet haben, jedes Regelelement „spielrelevant“ zu halten (das heißt: gewinnbringend im Spiel einsetzbar, nicht nur als Ausschmückung) und auch viele Designentscheidungen auf Basis dieser Prämisse getroffen haben. „Splittermond“ ist also durchaus komplex.

Wir haben aber keine Details nur der Details wegen eingebracht. Das System basiert auf einigen wenigen Grundelementen, und diese werden in allen Subsystemen immer wieder logisch aus den Grundlagen hergeleitet, sodass hier viel Einheitlichkeit herrscht. Wenn man die Grundlagen einmal draufhat (die ziemlich simpel sind), fällt auch alles andere an seinen Platz. Wir versuchen also, die berüchtigte „Goldene Mitte“ zu finden: Genug Details, damit man sich bei der Individualisierung seines Charakters richtig austoben und viele Situationen mit unterschiedlichen Herangehensweisen lösen kann, aber nicht so viele, dass man davon überwältigt wird.

Ringbote: „Splittermond“ wurde von zwei verschiedenen Redakteur-Teams bearbeitet. Ein Team war dabei für die Hintergrundwelt verantwortlich, Du und zwei weitere Redakteure haben sich den Regeln angenommen. Wie intensiv war der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Redakteur-Teams? Und was hat sich – nach Deiner Einschätzung – stärker ausgewirkt: Die Hintergrundwelt auf die Regeln oder die anvisierten Regeln auf die Hintergrundwelt?

TH: Der Austausch war moderat intensiv, würde ich sagen. Es war nicht jede Gruppe immer über jeden Schritt der anderen Gruppe unterrichtet, aber es gab regelmäßige Regel-Konferenzen, bei denen häufig ein Welt-Redakteur anwesend war, und ansonsten Emails, das interne Entwicklerforum und die Autorentreffen, auf denen wir uns austauschen konnten.

Ich würde sagen, dass die Hintergrundwelt letztlich einen stärkeren Einfluss auf die Regeln hatte als umgekehrt, aber das ist reines Bauchgefühl. Es ging definitiv auch viel in die andere Richtung. Aber einige Setzungen (wie zum Beispiel, dass jeder in Lorakis zaubern kann) wurden einfach grundlegend bei der Weltkonzeption entschieden und dann von uns umgesetzt. Vielleicht kann man sagen, dass es ein allgemeines Designziel gab, das Welt und Regeln gleichermaßen bestimmt hat: Dass wir ein abenteuer- und herausforderungszentriertes, vielseitiges Rollenspiel schaffen wollen. Das spiegelt sich in Welt und Regeln gleichermaßen wieder.

Ringbote: Zum Schluss würde ich mich freuen, wenn Du uns noch einen kurzen Ausblick auf die zukünftige Produktpalette für „Splittermond“ geben könntest. Mit „Der Fluch der Hexenkönigin“ ist ein erstes Abenteuer angekündigt. Doch welche weiteren Produkte sind in Planung? Und – wird es auch erweiterndes Regelmaterial geben?

TH: Oh, ich darf Werbung machen? Aber gern! „Der Fluch der Hexenkönigin“ von Stefan Unteregger ist meines Wissens wirklich das nächste „richtige“ Produkt. Bereits erhältlich (als PDF sogar kostenlos) ist außerdem ein weiteres Abenteuer, „Türme im Eis“ von Matthias Klahn und mir, und ein paar Kurzabenteuer (von Chris Gosse, Lars Reißig, Stefan Unteregger und Tobias Hamelmann) gibt es ebenfalls kostenlos zum Download, teilweise in Verbindung mit den beiden Schnellstartern.

Ein weiteres Abenteuer („Das Geheimnis des Krähenwassers“ von  Tobias Hamelmann) und eine noch unbenannte Anthologie, die im quasi-europäischen Dragorea spielt, sind bereits sehr weit. Recht bald nach dem Regelwerk wird außerdem ein kleines Heft zur Einsteigerregion Arwinger Mark erscheinen (und ebenso wie das Regelwerk im PDF-Format kostenlos sein), mit einer Beschreibung der Mark und einer Handvoll Abenteuern. Die Mark sollte eigentlich noch ins Grundregelwerk, aber durch den Beta-Test kam so viel Material hinzu, dass einfach kein Platz mehr war.

Ansonsten sind gerade eine erste Regionalbeschreibung (das Kaiserreich Selenia) und eine Einsteigerbox (mit reduziertem Regelwerk, Archetypen, Spielmaterial und einer Reihe Abenteuern) in Arbeit, ich sitze außerdem gerade an „Mondstahlklingen“, dem Arbeitstitel für den Ausrüstungsband, der Waffen, Rüstungen, Ausrüstung und Handwerk näher beschreibt und schon ziemlich weit ist. Wir sind also durchaus fleißig, und eine ganze Reihe Sachen werden auch noch dieses Jahr erscheinen, wenn alles gut geht. Ein hoher Produktausstoß an Erweiterungen und Abenteuern war aber auch von Anfang an eines der Ziele.

Es sind auch Regelerweiterungen geplant, zum Beispiel Bände zu Kämpfen, zu Magie und zum Götterwirken. Diese werden aber vollständig optional sein. Das Grundregelwerk ist keine abgespeckte Light-Variante, sondern wirklich sehr umfassend, und man kann ganz Lorakis problemlos damit bespielen. Das Zusatzmaterial wird die Optionen für Regel-Enthusiasten erweitern, aber nicht Voraussetzung sein. Und wir haben auch nicht alle „coolen“ Fähigkeiten aus dem Grundregelwerk gestrichen und packen die jetzt in die neuen Bände oder so.

Ringbote: Ich danke Dir herzlichst für dieses Interview.

TH: Gerne geschehen!