SPIEL 2018: Ein Messebericht

Die Internationalen Spieletage, kurz SPIEL, in Essen sind Sehnsuchts- und Wallfahrtsort für Spiele-Enthusiasten aus aller Welt. Der jährliche Besuch ist seit vielen Jahren auch für mich eine Pflichtveranstaltung. Umso mehr freut es mich, dass meine Tochter Johanna mich inzwischen begleitet. Also machten wir uns am letzten Oktober-Samstag wieder auf den Weg.

von Michael Wilhelm

Leider war die etwas verspätete Anreise mit dem Auto ein Fehler. Da die Messe in den letzten Jahren immer mehr Besucher anzieht, dieses Jahr waren es 190.000, gibt es in Nähe des Messegeländes bei Weitem nicht mehr genug Parkplätze. Also wurde ein Shuttle-Service zu außerhalb der Stadt gelegenen Parkplätzen eingerichtet. So kamen wir erst eine Stunde nach Öffnung der Hallen an, um uns gleich wieder am Einlass in einer Schlange zu stellen.

Gegen 11 Uhr konnten wir dann endlich die heiligen Hallen von Essen betreten und befanden uns gleich im Getümmel von Halle 3, wo sich besonders die großen Verlage aufhalten. Entsprechend war dort das Gedränge bei Kosmos, Pegasus, Hans im Glück und Schmidt Spiele. Mit halb zugekniffenen Augen schlichen wir durch den Kosmos-Stand, um nicht zu viel von den 2017 als Kennerspiel des Jahres prämierten „Exit“-Spielen mitzubekommen. Die Reihe der Escape-Room-in-der-kleinen-Schachtel-Spiele von Inka und Markus Brand wird auch zu unserer Begeisterung mit immer neuem Nachschub versorgt.

Weiter ging es bei Hans im Glück. Als interessanteste Neuheit gab es da „Carcassonne Safari“ zu bestaunen, den neuesten Ableger der „Carcassonne“-Familie. Aber auch dort kein freier Tisch für uns! Also weiter zu ASS. Auf die neueste Erweiterung zum Deckbuilding-Meisterwerk „Dominion“ waren wir sehr gespannt. „Dominion Nocturne“, nur als Erweiterung mit Grundspiel oder einem Basis-Kartenset spielbar, hat nicht nur ein echt spannendes Thema, mit Vampiren und Werwölfen und anderem Nachtgetier, sondern bietet mit dem Wechsel zwischen Tag und Nacht auch interessante neue Mechanismen.

Unseren ersten Sitzplatz konnten wir dann beim französischen Verlag Capsicum Games ergattern. Da gab es auf Englisch mit französischem Akzent eine Demo des Plättchen-Legespiels „Gobi“. Hier gilt es, mit witzigen Kamel-Meeples eine Karawanen-Verbindung zwischen Lagern verschiedenfarbiger Stämme zu ziehen, um mit Handelswaren zu punkten. Beim selben Verlag erschien auch die französische Ausgabe von „Kodama“ (deutsch bei Kosmos), einem wunderschön im Hayao-Miyazaki-Stil illustrierten Kartenlege-Spiel, bei dem man mit zahlreichen Ast-Karten und niedlichen Baumgeistern eine Baumriesen-Auslage aufbaut.

Bei Schmidt Spiele gab es die Neuerscheinung „Cool Runnings“ zu bestaunen. In diesem Familien-Rennspiel wird mit echten Eiswürfeln gespielt. Dabei wird mit Karten der eigene Eiswürfel im farbigen Töpfchen auf einem Parcours Richtung Ziel bewegt und gleichzeitig werden die Eiswürfel der Mitspieler mit Aktionskarten angegriffen, das heißt mit warmer Luft angehaucht, ins Wasserbad geworfen oder in der Faust ausgedrückt. Schon das Zusehen hat uns dermaßen beeindruckt, dass wir uns das Spiel gleich auf der Messe gekauft und zu Hause mit großer Begeisterung gespielt haben. Ins Ziel kam bei uns kein einziger Eiswürfel, alle fielen unterwegs dem Salzstreuer oder den warmen Händen der Mitspieler zum Opfer. Schon jetzt ein „heißer“ Anwärter für das Kinderspiel des Jahres.

Großer Andrang war natürlich auch wieder bei Pegasus Spiele. Neben dem Spiel des Jahres „Azul“, für uns ein Pflichtkauf, gab es eine Signierstunde mit Seiji Kanai, dem Autor von „Love Letter“, dem Minigame schlechthin, das inzwischen diverse Ableger mit „Munchkin“-, „Herr der Ringe“- und Lovecraft-Setting hat. Als Neuheiten zum Probespielen gab es „Crown of Emara“ (ein Kennerspiel mit komplexer Worker-Placement- und Karten-Mechanik) und „Sagrada“, das vom Design etwas an „Azul“ erinnert.

Nach dem Trubel in Halle 3 begaben wir uns auf einen Rundgang durch die Hallen 4, 5 und 6, wo sich eher kleinere und ausländische Verlage tummeln. Auch da gab es einiges zu entdecken. Auffällig ist die zunehmend prominentere Platzierung von Kickstarter-Projekten auch in Essen.

Wir bekamen eine Demo von „Machina Arcana“, einem (auf Kickstarter bereits erfolgreichen) Koop-Brettspiel mit interessantem Lovecraft/SteamPunk-Setting. Optisch ist das Spiel wirklich eindrucksvoll, wenn auch etwas düster gehalten, es bietet eine interessante Wahnsinns-Mechanik und modifizierbare Waffen und Ausrüstung in SteamPunk-Optik. Spannend!

Eher skurril war „Reich Busters“, ein weiteres (Kickstarter-)Koop-Brettspiel, das vom Setting an den berüchtigten 3D-Videospiel-Klassiker „Wolfenstein“ mit zusätzlichen Horror-Fantasy-Elementen erinnert und vor allem durch Miniaturen mit große Knarren und übertriebenen Muskeln beeindruckt.

Sicher sind bei den Kickstarter-Projekten immer wieder spannende Sachen dabei. Manchmal hat man aber den Eindruck, dass es auf konventionellem Wege nicht für eine Veröffentlichung gereicht hat, und die potenziellen Käufer daher mit opulenter Ausstattung und Bonus-Material geködert werden müssen.

Aber auch abseits von Kickstarter lassen sich wahre Kleinodien finden. Bei dem britischen Verlag Big Potato Games gab es ein witziges kleines Minispiel gratis, nämlich die Essen-Edition des Spiels „Don’t get got!“, eines Party-Spiels, in dem auf Karten beschriebene kleine Geheim-Missionen erfüllt werden müssen, in der Essen-Edition etwa eine Karte unter dem Essen eines Mitspielers zu verstecken, einen Mitspieler zum Gähnen bringen oder sich beim Schummeln erwischen zu lassen. Sozusagen ein kleiner Vorgeschmack auf das volle Spiel, das in Essen erstmals in deutscher Übersetzung erhältlich war.

Beim norwegischen Verlag Aporta Games konnten wir noch eine Partie „Trollfjord“ spielen. Das ist ein witziges Area-Control-Spiel, in dem in Landschaften um einen Fjord herum Troll-Meeples platziert werden, um in den Festungen des Berggeistes nach Schätzen zu suchen. Nicht nur taktisches Platzieren von Meeples und Sichern von Mehrheiten sind hier wichtig, sondern auch manuelles Geschick, wenn mit einem Holzhammer aus einem Holztürmchen Edelsteine herausgeklöppelt werden. Das Holztürmchen unseres Demos sah am dritten Messetag allerdings schon ziemlich mitgenommen aus. Wenigstens war es in Halle 5 deutlich leichter ein (englisch-sprachiges) Spiel mit Tisch zu ergattern, als beim deutschen Zoch Verlag in Halle 3.

Für mich als alten Rollenspieler und Würfelfetischisten gab es noch eine andere Überraschung: „Latitude Dice“. Nach Jahrtausenden, in denen Würfel immer gleich abgelesen wurden, nämlich durch Markierungen auf der oben liegenden Seite, werden diese 6- und 4-seitigen Kleinodien aus Aluminium, Holz oder Kunststoff nämlich durch die Höhe der Linien auf den Seiten abgelesen. Das neuseeländische Projekt (www.latitudedice.com) ist noch in der Prototyp-Phase, wird aber, natürlich wieder über Kickstarter, bald einem breiteren Publikum zur Verfügung stehen.

Immer wieder ein Augenschmaus und ein guter Anlass zum Träumen sind die schicken Spieltische der britischen Firma Geeknson. Ausgestattet mit Filzauslage, einem erhöhten Rand und diversen Extras, wie Getränkehaltern, individuellen Pulten, integrierter Beleuchtung, Schubladen und anderen Spielereien bis hin zum in die Platte eingelassenen LCD-Bildschirm bieten sie bis zu 8 Spielern Platz, vorausgesetzt, man hat nicht nur ausreichend Raum für ein solches Möbel, sondern je nach Ausstattung auch ein Budget von mehreren Tausend Euro.

Zu guter Letzt schauten wir noch bei Asmodee (mit ihrer Tochter Fantasy Flight Games) vorbei. Nach den Legacy-Spielen (allen voran der Welthit „Pandemic Legacy“) könnten Unique Games das nächste heiße Ding sein. In dem semi-kooperativen Brettspiel „Discover: Lands Unknown“ soll die feindliche Wildnis auf der Suche nach Wasser, Nahrung und Ressourcen durchsucht werden. Dabei enthält jede Box eine individuelle Mischung aus Orten, Gegenständen, Charakteren und Herausforderungen. Leider reichte die Zeit nicht mehr, das Spiel auszuprobieren. Neugierig macht das Konzept auf jeden Fall, ob es auch in der Praxis funktioniert, bleibt abzuwarten. Ein ähnliches Konzept hat „Keyforge“, das Unique Deck Game von „Magic“-Schöpfer Richard Garfield. Hier kämpfen zwei Spieler, indem Kreaturen beschworen und Aktionskarten gespielt werden, um Aember-Energie, mit der drei Schlüssel aktiviert werden sollen. Jedes völlig einzigartige Deck enthält Karten dreier Fraktionen mit unterschiedlichen Strategien. Witzig ist, dass in jeder Runde nur Karten einer Fraktion gespielt und aktiviert werden können. Das Kampfgeschehen tobt somit schnell hin und her. Unser erstes Spiel, das wir haushoch verloren, war dennoch abwechslungsreich und spannend. Laut Webseite des Verlags gibt es 104 Billiarden verschiedene Deckmöglichkeiten. Auch hier kann man auf die Balance gespannt sein, wenn zufällig generierte Decks gegeneinander antreten.

Wie immer waren die Internationalen Spieletage absolut eine Reise wert. Jedes Jahr nehmen wir uns vor, nicht nur pünktlich in Essen zu sein, sondern auch mehr als nur einen Tag dort zu verbringen, weil ein einzelner natürlich nicht annähernd reicht, um auch nur die wichtigsten Stationen abzuhaken. Aber: nach der SPIEL ist vor der SPIEL. Der Termin für 2019 steht schon fest: Die nächste Messe findet vom 24. bis 27. Oktober 2019 statt. Wir werden dabei sein.