von Adaon

Im Herbst 2017 erschienen von Pegasus als „Tarot-Bundle“ ein Abenteuerband, ein Roman, ein Hintergrundbuch und eben ein Tarot-Deck mit 78 Karten. Natürlich sind diese Komponenten auch einzeln erhältlich. Das Tarot-Deck namens „Shadowrun-Tarot“ ist dabei das verbindende Element.

In dieser Rezension geht es um genau jene Karten. Geliefert in einem Karton mit denselben Abmessungen wie die kleinen Spiele vom Pegasus-Verlag, finden sich – mit durchaus Luft in der Schachtel – 78 Tarot-Karten und eine Anleitung, welche die einzelnen Karten beschreibt. In diesem Heft sind auch zwei für „Shadowrun“ passende Legevarianten vorgestellt: die Wurzeln und die Zweige des Nuyen, für die Herkunft und die Zukunft desjenigen, dem die Karten gelegt werden. Mit Begriffen wie „Manager“ und „Beförderung“, „Astrales Selbst“ und „Matrix-Selbst“, um bestimmte Felder zu bezeichnen, in welche Karten gelegt werden, die dann gedeutet werden können, wird die Stimmung der Sechsten Welt weiter eingefangen.

Die Karten selbst entsprechen dem „bekannten“ Tarot (also dem, welches seit dem 18. Jahrhundert für Wahrsagungzwecke verwendet wird und die meiste Verbreitung heutzutage als Rider-Waite-Tarot von 1910 findet) und unterteilen sich in 22 Große Arkana und 56 Kleine Arkana. Die Kleinen Arkana behalten dabei die bekannten Symbole Stäbe, Münzen, Schwerter und Kelche bei. Doch für die Sechste Welt passende Variationen dieser Symbole werden auch verwendet: Das Ass der Schwerter ist ein bewaffneter Satellit. Die Acht der Münzen nutzt Petrischalen als Münzsymbol, während aus einem biologischen Labor ein Mitarbeiter entführt wird.

Allgemein sind es Szenen aus der sechsten Welt, in die Schwerter, Stäbe, Münzen und Kelche eingearbeitet sind. Szenen, die direkt während oder nach einem Run auftauchen könnten: Kämpfe, Bilder eines Nachtclubs, Triumphe und Niederlagen, Pläne und Hoffnungslosigkeit, Metamenschen auf der Straße oder in den Türmen der Macht, die Gefahren der erwachten Welt und ihre Wunder, die Möglichkeiten der Technologie und ihre Tödlichkeit.

Die stärksten Abweichungen und gleichzeitig stark Vertrautes in Bezug auf das Rider-Waite-Tarot gibt es mit den Zeichnungen zu den 22 Großen Arkana. So ist „Der Narr“ ersetzt durch „Der Bastard“, dargestellt durch eine sehr bekannte Figur aus dem „Shadowrun“-Hintergrund. „Der Magier“ wird durch „Die Matrix“ ersetzt, doch weiterhin werden die Elemente von Stab, Schwert, Münze und Kelch verwendet. „Die Hohe Priesterin“ und „Die Herrscherin“ sind gleich erkennbar, doch „Der Herrscher“ ist nun „Der Generaldirektor“. Und so geht es weiter – „Das Fahrzeug“ wird gezogen von Magie und Technik, „Der Turm“ ist sowohl bekanntes Wahrzeichen der Sechsten Welt als auch Sinnbild eines Megakonzerns, welche brennend einstürzen, und „Der Tod“ wird dargestellt durch „...404...“, dem Fehlercode für „angeforderte Ressource nicht gefunden“, also „Toter Link“.

Jede Karte bietet zahlreiche Details, die es erlauben, bei einer Interpretation für den Charakter auch verschiedene Wege einzuschlagen. „Hier im Hintergrund erkennt man ein Schnellrestaurant. Das weist auf eine ungesunde Lebensweise hin.“ Die Zeichnungen sind detailliert und genau auf die sechste Welt abgestimmt. Künstlerisch werden sie einem hohen Anspruch gerecht. Bei manchen Karten wirken die Bilder, trotz aller Hintergründe, allerdings merkwürdig flach, die offenbar gewünschte räumliche Tiefe stellt sich nicht ein. Kritisch anmerken kann man auch die doch recht deutlich dargestellte Brutalität und Gewalt auf manchen Karten, welche allerdings zum „Shadowrun“-Setting gehört. Die Verwendung des sehr eng anliegend bekleideten oder nahezu unbekleideten weiblichen Körpers scheint schon seit dem Rider-Waite-Tarot ein Quasi-Standard zu sein, und wirkt auch bis auf wenige Ausnahmen (die eher nach „Fanservice“ wirken) der düsteren bis magischen Stimmung des „Shadowrun“-Universums angepasst. Im Gesamten ist es eine runde Sache, und definitiv ein „erwachsenes“ Produkt.

Wer für seinen Spieltisch das Maximum herausholen möchte und die Rätsel, Andeutungen und Möglichkeiten für Macht, Schicksal und Untergang, die dieses Tarot bieten kann, in Form des aktuellen Metaplots einbauen möchte, kommt um den Quellenband „Buch der Verlorenen“ nicht herum. Natürlich kann das „Shadowrun“-Tarot auch für sich stehen. Doch Spieler und Spielleiter, die Lust auf deutlich mehr haben, sollten den Quellenband dazu unbedingt in Erwägung ziehen.

Fazit: Ob nun die Zeichnungen gefallen, ein Hang zum esoterischen am Spieltisch einziehen soll (Mein Charakter ist abergläubisch. Er lässt sich die Karten legen.) oder ein magisch begabter Charakter tatsächlich ein Wahrsage-Ritual durchführt, und der Spielleiter die Antworten per Karte liefert: das „Shadowrun-Tarot“ findet seine Nische. Als Geschenk für langjährige Spieler ebenso geeignet wie als Mitbringsel zur Inspiration von Spielleitern, werden die teilweise schönen, teilweise beunruhigenden und teilweise brutalen Bilder der Karten sowohl der Welt von „Shadowrun“ gerecht als auch den ästhetischen Ansprüchen der Spieler. Im „Tarot-Bundle“ sind zudem der Abenteuerband „Im Bann der Karten“, der Quellenband „Buch der Verlorenen“ und die Kurzgeschichten-Anthologie „Die Karten des Schicksals“ enthalten – ersteres liefert drei ausgearbeitete Abenteuer, zweiteres macht aus einer Spielerei mit Karten einen gewaltigen Metaplot, der das gesamte Shadowrun-Universum umfasst, und letzeres bietet Atmosphäre und Inspiration in Form von Erzählungen. Und was den Preis angeht: Im „Tarot-Bundle“ sind die Karten kostenlose Zugabe.

Shadowrun-Tarot
Spielhilfe
Echo Chernik
Pegasus Spiele 2017
EAN: 4250231712425
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 9,95

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