Red Outpost

Ein Gespenst geht um in der Welt der Brettspiele – das Gespenst des „Red Outpost“. Mal angenommen, es hätte eine geheime sowjetische Raumfahrtmission zu einem fruchtbaren Planeten außerhalb der uns bekannten Regionen gegeben. Wie würden die Nachkommen dieser Mission leben? Vielleicht so: Das Raumschiff, die „Krasnaya Zarya“ (rote Morgendämmerung) landete und steht seitdem still. Auf dem „Red Outpost“ gilt es nun, für Glück und Wohlstand zu sorgen. Das Leben dort ist ein Geben und Nehmen. Doch es scheint, als ob nicht alle am gemeinsamen Ziel arbeiten.

von Daniel Pabst

„Red Outpost“ ist ein Worker-Placement-Spiel für 2 bis 4 Kameraden von Raman Hryhoryk von Lifestyle Boardgames Ltd. Die deutschsprachige Ausgabe aus dem Jahre 2020 befindet sich im Vertrieb von Asmodee Deutschland. Im Spiel enthalten sind: 1 Phasenmarker, 44 Einflussscheiben, 1 Startspielermarker, 6 Arbeiter, 12 Raumschiffkarten, 6 Seekarten, 24 Ressourcenwürfel, 6 Sperrmarker, 6 Stimmungsmarker, 24 Kristalle und 18 Spezialkarten und natürlich 1 Spielanleitung. Das Spiel kommt in einer kleinen Spieleschachtel daher, und eine Partie ist in 30 bis 60 Minuten, je nach Spieleranzahl, gespielt.

Eines sei zu Beginn gesagt: In „Red Outpost“ teilen sich alle Mitspielerinnen und Mitspieler die Ressourcen, welche produziert werden. Niemandem gehören irgendwelche Arbeiterinnen oder Arbeiter, geschweige denn Gebäude. Das ist man von klassischen Worker-Placement Spielen nicht gewohnt. Und wie gewinnt man dann? Es gibt diese „SPs“ auch Siegpunkte genannt, welche man generieren kann, und die sind – bekanntermaßen – nun mal kein Gemeinschaftsgut. Zusätzlich existieren auch seltene Kristalle, die jede und jeder gerne für sich behält. Schließlich muss man diese schönen Funkelsteine nicht für die Gemeinschaft in einem großen, dunklen „Lagerhaus“ verkommen lassen, oder?



Bereits beim kurzen Studieren der fünf Seiten Regeln, wird durch Bemerkungen des Spiel-Autors Raman Hryhoryk offensichtlich, dass das Spiel bezogen auf die Zeiten in der ehemaligen UdSSR einen sarkastischen Unterton aufweist. Beispielhaft dazu: „Die beste Art, sich von einem Tag ehrlicher Arbeit zu erholen, ist früh zu Bett zu gehen und spät aufzustehen“ wie auch: „Gemeinsame Mahlzeiten sind eine wichtige Erinnerung daran, dass wir alle zusammenstehen – nun ja, jedenfalls alle, die produktiv genug waren“ oder: „Die Bürokratin kommt hauptsächlich in dieses leerstehende Gebäude, um ihren Lohn zu erhalten. Sie freut sich aber immer, wenn sie mal jemanden zu Gesicht bekommt, und ist gerne bereit, im Austausch für ein Gespräch ein paar Dokumente zu vertauschen“.

Diese Neckereien, beziehungsweise Referenzen, sollte man aber nicht zu ernst nehmen, da dies den Charme des Spiels ausmacht und nicht nur das Mutterland, sondern auch das Worker-Placement-Genre parodiert wird. Übrigens, wo anders spielt man auf einem Spielfeld, das unter anderem den „Palast der Sowjets“, „Das Arbeitslager“, „Die Wohnkaserne“ und „Das „Raumschiff“ darstellen? Im Vergleich zu anderen Spielen des Worker-Placement-Genres gibt es bei „Red Outpost“ eine starke kompetitive, dynamische Komponente im Spiel. Typischerweise versucht jede und jeder in diesem Genre, eine punkte-maximierende Strategie zu spielen und es muss vorab und während des Spiels viel gerechnet werden. Hier aber wird diesem mathematischen Optimieren ein Strich durch die Rechnung gemacht. Es gilt vielmehr: Geteilte Freude ist doppelte Freude!



Insgesamt spielt man zwei Tage, bestehend aus den fünf Phasen: Morgen, Vormittag, Mittagspause, Nachmittag und Abend. Wer zuletzt etwas im richtigen Leben geteilt hat, wird zur ersten Startspielerin oder zum ersten Startspieler ernannt. Am Ende der Phase wird diese Ehre der nächsten Kameradin oder dem nächsten Kameraden zuteil. Als Startspieler-Token wird passend eine kleine Rakete verwendet.

Wer am Zug ist, platziert zuerst einen eigenen Einflussmarker auf das, einem Emailleschild ähnelnden, Porträt einer Arbeiterin oder einem Arbeiter der Wahl und legt diese Arbeiterin oder diesen Arbeiter (Hirte, Bürokratin, Bergmann, Kommissarin, Landwirtin oder Fischer) auf einen unbelegten, unversperrten Ort der Wahl. Warum „unversperrt“? Nun, zu Beginn der Partie werden Sperrmarker auf 6 unterschiedliche, zufällig bestimmte Felder verteilt, wodurch jedes Mal das Spielfeld etwas anderes aussieht. So kann es gut möglich sein, dass in einer Partie nicht ausreichend Bier produziert werden kann, um bereits in den frühen Morgenstunden die eigene Zeit im „Bierhaus“ zu verbringen.

Je nachdem welcher Ort besucht wurde, verändert sich die Stimmung der Arbeiterin oder des Arbeiters sowie der Stand der gemeinschaftlichen Ressourcen der Produktion. So senkt harte Arbeit in der „Mine“ die Stimmung, während ein Mittagessen oder langes Ausschlafen die Stimmung hebt. Auch bietet jeder Ort seine Besonderheiten. Am „See“ erfordert es Glück und Geschick, um frischen Fisch zu angeln. Das wird darin ausgedrückt, dass man zufällig Karten zieht, die über Glück oder Missgeschick entscheiden. Die alte Rakete kann durch zufällig gezogene Karten ebenfalls Entscheidendes zum Vorschein bringen oder aber einen enttäuscht zurücklassen, da man wertvolle Zeit verschenkt hat und man sich lieber der „klassischen Arbeit“ gewidmet hätte.

Wer in einem Spielzug viel produziert hat, erhält zwei Siegpunkte und einen Kristall. Aber Vorsicht: Einfach fleißig drauflos produzieren birgt Risiken. Denn noch mehr Siegpunkte werden durch den folgenden Export der Ressourcen generiert. Dies passiert immer dann, wenn die dritte Einheit einer bestimmten Ressource (Kohle, Fisch, Wolle oder Getreide) generiert wurde. Die Kameradin oder der Kamerad, der für die dritte Einheit verantwortlich ist, erhält alleinig die Siegpunkte für alle drei Ressourcen und darf also lukrativ exportieren. So geht es den ganzen Tag lang darum, möglichst wenig für die Mitspielerinnen und Mitspieler zu arbeiten und deren Aktionen lieber für sich auszunutzen. Da man aber immer eine freie Arbeiterin oder einen freien Arbeiter auf ein freies Feld bewegen muss, ist Arbeit für das Gemeinwohl, beziehungsweise für das Wohl der anderen kaum zu verhindern. Man leidet stets unter einer Qual der Wahl.



Am Ende eines Tages wird die Stimmung der sechs Arbeiterinnen und Arbeiter in Siegpunkte umgewandelt. Wer am meisten Einflussmarker auf der jeweiligen Arbeiterin und dem jeweiligen Arbeiter platziert hat, erhält Siegpunkte entsprechend der Stimmung. Diese können bei schlechter Stimmung auch negativ sein! Also achtet gut darauf, niemanden ungerecht zu behandeln – oder lasst euch jedenfalls nicht dabei erwischen.

Anschließend erhebt sich die rote Sonne erneut am Horizont. Ein zweiter und letzter Tag bricht an. Dieser verläuft vom Spielablauf genauso wie der erste, nur werden an dessen Ende zusätzlich zu den Siegpunkten auch die Kristalle gezählt. Für jeden Kristalle – entweder im eigenen Besitz oder im „Palast der Sowjets“ für sich abgelegt – gibt es eigene Punkte. Verbleibende Ressourcen geben keine Punkte. Es ist auf „Red Outpost“ einfach am Ende egal, wer wie viel Eigenleistung eingebracht hat.

Wer bereits mit dem „Grundspiel“ vertraut ist und noch mehr Chaos ins Spiel bringen möchte, der kann auf die bereits im Grundspiel enthaltenen Spezialkarten zugreifen. Es werden dann vor Spielbeginn zwei dieser Spezialkarten an jede und jeden ausgeteilt und offen ausgelegt. Darauf zeigt sich entweder einer der sechs Arbeiterinnen und Arbeiter oder einer der zwölf Orte des Spielfelds. Jede dieser Karten gewährt ihrer Besitzerin und ihrem Besitzer einen Vorteil, wenn er die entsprechende Arbeiterin oder den entsprechenden Arbeiter bewegt, beziehungsweise der auf der Karte befindliche Ort zur Arbeit „besucht“ wird. Diese Spezialkarten, welche zur Verfügung stehen, machen das Spiel immer wieder unberechenbar, und es gilt, spontan seine Strategie so gut es geht anzupassen.

Bei dem Brettspiel „Red Outpost“ erlebt man eine Kameradschaft, die umso mehr Spaß macht, je mehr Spielerinnen und Spieler dabei mitmachen. Jedoch geht es dann auch desto wilder auf „Red Outpost“ zu …

Wer auf „Red Outpost“ auf sich allein gestellt ist, da alle Kameradinnen und Kameraden nicht motiviert sind eine Partie mitzuspielen oder gerade im „Bierhaus“ oder der „Wohnkaserne“ ihre Zeit totschlagen, der muss nicht verzagen. Im Solo-Modus von „Red Outpost“, welcher auf der Homepage von Asmodee kostenlos heruntergeladen und in bunt selbst ausgedruckt werden kann (https://asmodee.de/news/Red-Outpost-Solo-Regeln-zum-Download), ist es möglich, sich für den Wohlstand des Mutterlandes einzusetzen, auch wenn alle anderen durch Abwesenheit glänzen. Ganze zwölf Seiten mit entsprechenden Spielkarten und Variationen sowie eine Solo-Anleitung bieten damit nicht nur eine hilfreiche, sondern auch großzügige Spiel-Alternative.

Fazit: Das Spiel macht Spaß! „Red Outpost“ ist ein Worker-Placement-Spiel, welches sich durch seine kurze Spielzeit auszeichnet. Hinzu tritt der besondere Charme, der angefangen von der Spielanleitung mit ihren Bemerkungen über die einzelnen Orte und verschiedenen Arbeiterinnen und Arbeiter bis hin zu den kleinen roten Plastiksternen, die die Stimmung der Arbeiterinnen und Arbeiter angeben, rundum stimmig und gelungen ist. Vor dem „Gespenst des Red Outpost“ muss sich also niemand fürchten und auch bei dem überraschenden („kameradschaftlichen“) Preis fällt es leicht, sich in eine ferne Spiele-Utopie zu begeben, in der für die Spielerinnen und Spieler Abwechslung und eine spaßige Zeit herrschen.

Red Outpost
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Asmodee 2020
Raman Hryhoryk
EAN: 4015566601673
Sprache: Deutsch
Preis: 26,99 Euro

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