von Lars Jeske
„Empires of the North“ ist das dritte eigenständige Spiel aus der Welt der „Imperial Settlers“ nach dem Namensgeber und der Roll-&-Write-Variante. Wenngleich es, was das Layout, die Spielzüge und das Spielgefühl betrifft, sehr viele Ähnlichkeiten mit dem ursprünglichen „Imperial Settlers“ aufweist, sind die beiden Spiele (leider) nicht miteinander kompatibel. Aber anstatt einfach eine zweite Edition oder einen Relaunch herauszubringen, ist die Idee einer eigenständigen Variante sinnvoll und die Umsetzung sehr gelungen. Ignacy Trzewiczek, der Mastermind von Portal Games, hat bereits jahrelang Erfahrung mit der Thematik, die konkrete Umsetzung der Entwicklung fiel dann jedoch Joanna Kijanka zu, die bereits bei diversen „Imperial Settlers“-Erweiterungen federführend war.
Die Entstehung des Spiels
Ideenmäßig konnte für „Empires of the North“ aus einem reichen Fundus geschöpft werden. Das 2010 erschienene „51st State“ mit seinen Erweiterungen diente als Vorlage für „Imperial Settlers“ (2014). Wobei hier im Wesentlichen die Aktionen vereinfacht und das Setting der düsteren Utopie familienfreundlicher gestaltet wurde. Da „Imperial Settlers“ sehr gut läuft (mittlerweile gibt es 6 Erweiterungen), wurde unterdessen das ursprüngliche postapokalyptische Szenario wieder aufgegriffen und wiederum leicht verändert 2016 als „51st State – Master Set“ wiederveröffentlicht. Diese gegenseitigen Beeinflussungen haben die nunmehr gestreamlinete Version von „Imperial Settlers“ als „Empires of the North“ zur Folge gehabt. Das grundlegende Spielprinzip wurde weiter variiert und, je nach persönlichem Empfinden, vielleicht sogar verbessert.
Verständliche Regeln – dennoch ein Kennerspiel
Die eigentlichen Regeln sind mit vielen Bildern und Beispielen auf 6 Seiten miniert, dazu gibt es eine Übersicht des Spielmaterials, Spielaufbau und eine Übersicht über die Schlüsselwörter auf den Karten. Der Nachteil ist, dass man diese gründlich lesen sollte, da nichts gedoppelt ist und man ansonsten Details überliest, die spielentscheidend sind. Nach ein bis zwei Partien hat man die Regeln bereits soweit intus, dass man problemlos ohne etwas nachzuschlagen spielen kann und auch den Unterschied zwischen Waren und Rohstoffen kennt. Zudem ist dann der Wiedereinstieg nach einmal verinnerlichten Regeln sehr einfach. Vor allem für ein Kennerspiel.
Für Spieler die von „Imperial Settlers“ kommen ist es zum Anfang etwas ungewöhnlich, sich an die neuen Spielregeln in der doch eigentlich bekannten Welt zu gewöhnen, aber das legt sich. Über die knuffige Grafik (erneut von Roman Kucharski) lassen sich die Veteranen eh nicht mehr hinwegtäuschen. Auch „Empires of the North“ ist ein strategisches Aufbauspiel, welches Ressourcenmanagement, Worker Placement und gnadenlose Optimierungen gegenüber den generischen Zügen im Fokus hat. Erneut geht es darum, sein eigenes Völkchen voranzubringen, wobei durch die mannigfaltigen Aktionsmöglichkeiten sowie deren Relevanz bezüglich der gewählten Reihenfolge es berechtigterweise als Kennerspiel klassifiziert ist. Der Untertitel „ein frostiges und spannendes Zivilisationskartenspiel“ fasst es dabei gut zusammen.
Mit 3 Startkarten und einem vorgefertigten Deck von 30 unveränderbaren Karten wetteifern 1 bis 4 Spieler um effizientes Engine-Building. Dafür hat jeder Spieler abwechselnd eine Aktion zur Verfügung, in der er etwa Nahrung ernten, Segeln, ein Gebäude bauen, die Bevölkerung erhöhen oder eine weitere Karte ziehen kann. Vornehmlich sollte man jedoch die Synergien der bisher ausgespielten eigenen Karten nutzen, um deren Effekte einmalig pro Runde sinnvoll auszulösen, worin der primäre Anreiz des Spieles liegt. Somit sind Spieler ähnlicher Spiele im Vorteil gegenüber anderen und erst Recht diejenigen, die die Eigenarten ihres gewählten Volkes kennen und zu nutzen wissen.
Frostig wird es nicht durch die geringe Interaktion miteinander, sondern primär durch die im Grundspiel beigelegten Völker der Wikinger, Schotten und Inuit, die im geographischen Norden beheimatet sind. Bei erreichten 25 Siegpunkten ist dann bereits Schluss, was in der Regel nach 3 bis 4 Runden erfolgt. Es ist also nicht viel Zeit, und man muss situativ agil entscheiden können.
Perfekte Ausstattung
„Empires of the North“ besticht durch eine tolle Haptik und Optik der Ressourcenmarker. Die Waren sind aus Holz, werden durch Stein, Holz, Fisch und Tomate (andere nennen es Apfel) repräsentiert und sind in ausreichender Menge vorhanden. Die Arbeiter sind jetzt sogar als Gimmick in Männer und Frauen unterscheidbar, was sich jedoch nicht auf das Spielgeschehen auswirkt. Dazu gibt es diverse Pappmarker, etwa individuell geformte Schiffsmarker pro Volk. Diese Pappmarker lassen sich gut aus der Stanzvorlage lösen und sind sogar auf dieser benannt, was ich so bisher auch noch nicht gesehen hatte. Ein willkommenes Extra ist die super Aufteilung des Materials in der Spieleschachtel und die tolle Sortiereinlage, die nicht nur alle Teile (Karten, diverse Rohstoffe, sonstiges Spielmaterial) übersichtlich verwalten helfen, sondern auch modular gestaltet ist. Das heißt die Rohstoffbank kann auch während des Spiels sinnvoll genutzt werden und hält den Tisch übersichtlich.
Das Layout der deutschen Karten orientiert sich gegenüber „Imperial Settlers“ mehr am Originallayout. Die Bilder sind wie immer sehr niedlich und familienfreundlich gestaltet und sorgen mit sehr passenden Namen und Aktionsmöglichkeiten wie „Gefrorener T-Rex“, „Treibhaus-Iglu“ oder „Ausverkauf“ für Unbeschwertheit und Erheiterung. Da stört es auch nicht so sehr, dass die Punktemarker so futzelig sind oder die Schiffsmarker nicht bei allen Stämmen die passende Farbe haben. Noch besser wäre es jedoch gewesen, wenn es für alle Völkerstämme jeweils farblich individuelle Aktionssteine gegeben hätte. So kann es passieren, dass sich ein Spieler die Farbe rot aussucht, die hellblauen Inuits spielt und dafür grüne Schiffe bekommt.
Spieleraktionen und Interaktion
Nachdem man sich für seine bis zu 4 neuen Karten dieser Runde entschieden hat, für die man bereits Arbeiter erschöpfen muss, ist das Aktionsrad der Dreh- und Angelpunkt des Spiels. Über dieses steuert man seine 2 bis 4 möglichen dortigen Aktionen pro Runde. Die gängigen und klassischen Aktionen eines solchen Zivilisationsaufbauspiels der Ressourcenvermehrung (Arbeiter, Rohstoffe, Handkarten) werden ergänzt durch das kostenlose Ausspielen einer Karte und dem, da es sich um Inselvölker handelt, Segeln. Nunmehr ist jeder seines Glückes Schmied, um mit Fisch und/oder Axt beladen die nahen und fernen Inseln einmalig zu plündern oder durch deren Eroberung einen dauerhaften Vorteil zu erlangen. Apropos Glück: Glück beim Kartenziehen ist nicht super wichtig, da es nicht nur eine Schlüsselkarte pro Volk gibt.
Als zusätzliche Abgrenzung und Alleinstellungsmerkmals gibt es neben den normalen Ortskarten, die kostenlos durch die Aktion Errichten oder durch Rohstoffabgabe ins Spiel kommen, auch andere Karten. Dabei handelt es sich um sogenannte Verstärkungen (eigentlich eher Spontaneffekte) mit einem einmaligen Bonus oder sogar essentielle Gebäude, die dann dauerhaft im Spiel verbleiben und das eigene Imperium ebenfalls auch optisch vergrößern. Diese darf man kostenlos ins Spiel bringen, sobald man auf dem Aktionsrad die namensgleiche Aktion markiert hat und noch bevor man diese ausführt. Was sich auf den ersten Blick unlogisch oder kompliziert anhört, entwickelt im Spiel seinen ganz eigenen Reiz und sorgt für Überraschungen bei den Mitspielern.
Generell gibt es jedoch relativ wenig Interaktion mit den anderen Spielern, wodurch jeder auf sein eigenes Imperium fokussiert ist. Wenngleich auf dem Aktionsrad keine Felder durch die Mitspieler blockiert werden können, muss man frühzeitig in See stechen, um die geplante Insel zu erobern oder zu plündern. Zudem kann man zwar gegnerische Gebäude für eine Runde außer Gefecht setzen, aber zumeist kann man die zu verwendende Ressource und Aktion für etwas anderes sinnvoller einsetzen. Wodurch das ganze Spiel doch eher solitär abgehandelt wird.
Spieleranzahl und Wiederspielbarkeit
1 bis 4 Spieler sind beim „Empires of the North“ erlaubt. Wenn man mit echten Spielern spielt und es nicht alles Grübler sind, kommt man auch mit Neulingen mit ca. 25 Minuten pro Spieler gut hin. Zeit genug für eine Revanche. Für ein schnelles Spiel sind 2 bis 3 Spieler optimal. Das Einstiegsalter mit 10 Jahren ist wiederum etwas optimistisch angegeben. Wer jedoch gut Lesen kann, wird in jedem Fall immer irgendeine sinnvolle Aktion nutzen können und so nach und nach auch strategisch entscheiden lernen und die eigenen Züge optimieren. Bei zunehmender Spielerzahl bemerkt man eher, dass man mehr oder weniger allein spielt und nicht einmal Zeit hat, auf das Imperium der Mitspieler zu achten. Dafür wird dann die Wartezeit größer und das Spiel verliert den Drive. Vier Spieler geht als Maximum voll in Ordnung. Wer keine Mitspieler hat oder braucht, der kann selbstverständlich einfach so ein Volk vor sich hin spielen. Etwas anspruchsvoller wird es jedoch mit den vier beigelegten Solo-Szenarien. Diese sind auch je Stamm anders zu bewältigen, somit hat man quasi noch einmal 6 Stämme x 4 Szenarien verschiedene Spielvarianten.
Das modulare Aktionsrad besteht aus 5 Aktionen und wird für jedes Spiel zufällig zusammengesetzt. Da die Anordnung einen unmittelbaren Einfluss auf das Spielgeschehen hat, gibt es hier schon mal diverse Kombinationen. Denn man kann eine Nahrung ausgeben, um einen seiner Aktionsmaker auf ein benachbartes Feld zu verschieben und die dortige Aktion ausführen. Wohl dem, der dies von vornherein mit einplant. Dazu kommen die 6 verschiedenen vorgefertigten Sets an Spielerkarten (je 2x Inuit, Schotten, Wikinger), die sich auch jeweils sehr unterschiedlich spielen. Nicht gleichartiges Engine-Building steht dort im Vordergrund, sondern jeder Stamm hat andere mitunter einzigartige Spezialisierungen die sehr zum Thema passt. Es gibt unter anderem Sammler, die umherreisen, schottische Sparer, die mit Zinsen arbeiten, die Karten-Kopierer oder die betrunkenen Wikinger, die nach dem Arbeitseinsatz erstmal permanent schlafen. Allein dadurch gibt es so viel zu entdecken und für jedes der Völker verschiedene Strategien auszuprobieren, um stundenlang Spaß zu haben.
Sinnvollerweise gibt es hierbei Einsteigerdecks mit einer offensichtlichen Taktik und andere, bei denen sogar erfahrene Spieler ähnlicher Spiele erst einmal erkennen müssen, welcher Engine sich hier bedient wird. Dennoch hat man nicht das Gefühl, dass das Volk den Spieler spielt, da es selbstverständlich genügend Freiheiten pro Deck gibt, um mit mehr als einer Taktik erfolgreich zu sein. Es kommt natürlich ebenso auf die Mitspieler an, wie schnell deren Tempo beim Erreichen von Siegpunkten ist und welche der Völker alle im Spiel sind. Natürlich sind die 30 Karten pro Volk schnell verinnerlicht, aber das ist auch Sinn und Zweck. Die Anzahl der verschiedenen Inseln könnte etwas größer sein, aber da werden mit Sicherheit die Erweiterungen für weitere sorgen.
Kurzer Vergleich mit „Imperial Settlers“
„Empires of the North“ ist gegenüber „Imperial Settlers“ eine familienfreundliche Einsteigerversion. Die allgemeinen Karten wurden quasi mit der Segel-Aktion ersetzt, Rohstoffe und alle anderen Primär-Aktionen muss man sich über das Aktionsrad holen. „Empires of the North“ ist noch weniger interaktiv als „Imperial Settlers“, dafür jedoch auch von der Spielzeit kürzer. Die Aktionen sind einfacher zu verstehen und fühlen sich sinnvoller als bei „Imperial Settlers“ an. (Welches jedoch nicht zu bemängeln war.) Die Möglichkeit, einige Karten nur über die Aktion des Aktionsrads ins Spiel bringen zu können, ist eine schöne Variante.
Da die Decks durchweg mehrere Spielwege offerieren, sind auch Anfänger nicht so benachteiligt wie bei „Imperial Settlers“, also ist ein gutes Resultat auch für Gelegenheitsspieler möglich. Arbeiter werden nicht jede Runde neu erworben, sondern bleiben über das Spiel erhalten, und man muss Ressourcen nicht am Rundenende abwerfen. Dadurch muss man nicht jeden Zug optimal spielen, ist entspannter und kann mehr ausprobieren. Ein anderer Nebeneffekt ist, dass es keinen Spieler geben wird, der noch 20 Extraaktionen spielt, alle sind so ziemlich gleichzeitig mit der Runde fertig. Zudem sieht es aufgrund der Art der angekündigten Erweiterungen nicht nach einem Deck-Building-Spiel aus. Man wählt einfach einen Stamm und spielt los.
Fazit: „Empires of the North“ fühlt sich wie die familienfreundlichere Version von „Imperial Settlers“ an. Einfache und verständliche Aktionen, gute und knappe Regelbeschreibung und die tolle Grafik verbunden mit der schönen Haptik der Ressourcen tragen zu einem angenehmen Spielgefühl bei. Man spielt nicht gegeneinander, sondern optimiert nebeneinander her. Eine moderate Spieldauer und große Variabilität runden das Spielgefühl ab. Somit kann man das Spiel jedem, der in die Welt komplexerer Spiele einmal hineinschnuppern möchte, empfehlen. Wer sich jedoch mit Entscheidungen schwer tut oder noch zu jung ist, sollte jedoch die Finger hiervon lassen, denn vor allem in der letzten Runde gilt es aus über 20 Aktionen eine sinnvolle Reihenfolge abzuwägen.
Tipp: Errata / FAQ (englisch) im Web zu einzelnen Karten gibt es auf der Webseite von Portal Games.
Empires of the North
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