Eine wundervolle Welt

Ich erinnere mich daran, dass ich unter dem Titel „Eine wundervolle Welt“ zuerst ein seichtes, harmonisches Spielchen vermutet hatte. Vielleicht eine Reminiszenz an den Sam-Cooke-Oldie „What a wonderful world“. Was ich jedoch vorgefunden habe, ist auf keinen Fall ein Leben auf dem Ponyhof, sondern ein spannendes Spiel, das uns in eine Dystopie entführt, wo Militär und Industriemagnate miteinander um die Macht konkurrieren.

von Oli Clemens

Die ein bis fünf Spieler übernehmen die Rolle eines Imperiums in der Zukunft. Die bisherige gesellschaftliche und politische Ordnung muss wohl aber zerfallen sein, denn an die Stelle der bisherigen Supermächte sind das Aztekenreich, die Panafrikanische Union, die Noram-Staaten, die Asiatische Föderation und die Republik Europa getreten. Eine Erklärung, warum das so ist, bleibt uns das Spiel schuldig. Das macht aber auch nichts. Eine Story will sich gar nicht entwickeln. Alle neuen Supermächte haben nur ein Ziel: die Expansion, denn das bringt Punkte. Und wer nach vier Spielrunden die meisten Punkte vorweisen kann, gewinnt die Runde „Eine wundervolle Welt.“

Der Spielplan wird zusammengesteckt und in der Tischmitte platziert. Auf ihm werden die bunten Ressourcenwürfel und die Personenplättchen gelagert. 150 Entwicklungskarten in fünf verschiedenen Farben werden anschließend noch gemischt und daneben gelegt. Sie bilden den verdeckten Zugstapel. Alle wählen eine der fünf Imperiumskarten und legen diese vor sich in den persönlichen Spielbereich. Da diese eine A-Seite und eine B-Seite haben, sprechen sich die Spieler ab. Die Seiten unterscheiden sich darin, dass sie entweder für alle Konkurrenten genau die gleichen Startvoraussetzungen mit sich bringen oder eben für jeden unterschiedliche. Fertig ist der Spielaufbau in knappen fünf Minuten.



Für den eigenen Spielbereich braucht es dann aber schon ein bisschen Platz, denn hier wandert im Spielverlauf ein ganzer Haufen Karten hin. Das Spiel entwickelt sich in vier Runden zu je drei Phasen. Diese wiederholen sich ausnahmslos bis zum Ende des Spiels. Die Draftphase eröffnet die jeweilige Runde, ihr folgt die Planungsphase und die Produktionsphase schließt die Runde ab.

In der Draftphase erhalten die Spieler jeweils verdeckt 7 Karten. Eine davon wählen sie aus, legen diese verdeckt vor sich ab und geben den Rest weiter. Sie tragen Namen wie „Panzerdivision“ und „Megabohrer“, aber auch „Weltausstellung“, „Magnetausstellung“ und „Quantengenerator“. Viel wichtiger als die Namen sind aber die Informationen, die sie vermitteln. So zeigen sie im linken oberen Eck die Ressourcen, die benötigt werden, um sie zu bauen, sowie unten rechts die Ressourcen, die man erhält, wenn man die Karte stattdessen abwirft. Zudem zeigen sie, ob man eventuell einen Sofortbonus erhält und ob sie zum Ende des Spiels vielleicht sogar direkt oder indirekt Siegpunkte ausschütteten. Am wichtigsten ist jedoch die untere Zeile, in der vermerkt ist, welche Ressourcen sie generieren, wenn sie erst einmal vollständig gebaut und in die eigene Auslage gewandert sind.



Einige Karten gibt es gleich mehrfach, können also vermehrt in einer Runde auftauchen. Vor allem die blauen Karten, wie etwa die „Bundeslade“ oder „Der Mittelpunkt der Erde“ sind aber einzigartig und entsprechend schwer zu bauen, bringen aber attraktive Siegpunkte. Bereits jetzt entwickeln sich erste Strategien, die zum Sieg führen können. Das kann in einer ersten Partie „Eine wundervolle Welt“ jedoch ganz schön unübersichtlich sein. Aber zügig stellt sich der Lerneffekt ein, welche Karten sich besser bauen lassen, welche in der Synergie mit anderen Karten punkteträchtig sind und von welchem man am besten die Finger lassen sollte. Auch wenn alle in ihren Entscheidungen vor allem die eigene Taktik unterstützen werden, sollten die Blicke auf jeden Fall auch auf die Auslagen der anderen am Tisch wandern. Manchmal ist es besser, eine Karte zu behalten und zu recyceln, als sie weiterzugeben und damit die Punktemaschine des Gegners zu füttern. Das wiederholt sich, bis alle sieben Karten in dem eigenen Draftbereich liegen haben. Dann werden die Karten gleichzeitig aufgedeckt und Phase 2 beginnt.



In der Planungsphase entscheiden nun alle für jede der behaltenen Karten, ob sie gebaut werden oder für dringend notwendige Rohstoffe recycelt werden sollen. Beim Recyceln nimmt man sich entsprechend der Symbole auf den Karten Ressourcenwürfelchen vom Spielplan. Die Rohstoffe können dann direkt genutzt werden, um Bauvorhaben abzuschließen. Dazu werden diese auf den Karten auf den entsprechenden Symbolen platziert. Alle managen diese Phase gleichzeitig, bis alle Karten entweder in den Baubereich gewandert oder auf dem Ablagestapel verschwunden sind. Erst einmal auf dem Ablagestapel sind sie auch für den Rest des Spiels nicht mehr verfügbar.

Die Produktionsphase beendet die aktive Runde. Jetzt generieren fertiggestellte Gebäude wiederum Ressourcen, die für die noch nicht abgeschlossenen Bauprojekte eingesetzt werden können. Nacheinander werden die Ressourcen auf dem Spielplan aufgerufen. Jeder Spieler zählt die Symbole auf den Karten und nimmt sich die entsprechende Anzahl. Damit wird jetzt wieder gebaut. Wer sich von einer Ressource am meisten nehmen darf, wird zusätzlich noch mit einem Macht-Bonus belohnt. Dann wandert ein Personenplättchen in dessen Besitz, das in der Schlusswertung Punkte bringt, aber auch für das ein oder andere Gebäude gebraucht wird.



Bekommt man als Spieler von einer Ressource mehr Würfelchen als man in den aktuellen Bauprojekten einarbeiten kann, lagern diese auf der Imperiumskarte. Sie können nicht mehr zum Bauen benutzt werden und müssen am Ende einer Runde zurück auf den Spielplan gelegt werden, aber: Fünf nicht mehr nutzbare Würfelchen – egal welcher Farbe – können in einen roten Joker-Stein eingetauscht werden. Das macht das Bauen dann etwas flexibler und rote Ressourcen dürfen für das weitere Spiel gesichert werden. Sind alle fünf Ressourcenarten auf diese Weise abgehandelt, endet die Runde. Überzählige Ressourcenwürfelchen werden zurückgelegt. Wieder werden 7 Karten verteilt und das Spiel beginnt erneut mit der Draftphase.

Das Ganze wird viermal durchgespielt, dann werden die Punkte gezählt und der Sieger ermittelt.

Auf dem Wertungsblock werden die direkten Siegpunkte, kombinierte Siegpunkte sowie Siegpunkte für Investoren und Generäle festgehalten. Die Spieleschachtel gibt an, dass eine Runde vom Aufbau bis Endwertung 45 Minuten dauert. Aus unserer Erfahrung geht das aber nach den ersten Parteien schneller. Darin liegt eine große Qualität des Spiels. Es fordert viele Entscheidungen, die aber kaum Analyse-Paralyse auslösen. So bleibt ein stetiger Spielfluss erhalten. An Solo-Regeln hat „Eine wundervolle Welt“ auch gedacht und bietet zudem sogar noch Szenarien an, an deren Ende zur Belohnung Medaillen warten.



Das Material ist gut. Die Karten sind griffig, vielleicht jedoch ein bisschen dünn, von den kleinen Materialwürfelchen und den Personenplättchen gibt es ausreichend. Der Wertungsblock ist dick und reicht locker für 40 Partien. Das komplette Material hat auch ausreichend Platz in der Innenschachtel, die in vier Lagerbereiche aus Pappe eingeteilt ist. Die Regeln kommen angenehm kurz und gegliedert daher, sind bebildert und anschaulich. Somit sind sie schnell autodidaktisch gelernt und neuen Spielern erklärt.

Fazit: „Eine wundervolle Welt“ macht als Kennerspiel so viel richtig. Nachvollziehbare Regeln führen zu einem schnellen Spiel mit Entscheidungsmomenten, egal bei welcher Personenzahl. Auch wenn das Thema sich der Mechanik unterordnet, kommt doch ein bisschen Zivilisationsgefühl auf. Das Ganze sieht dazu noch farbenfroh und attraktiv aus. Damit setzt sich „Eine wundervolle Welt“ in meiner persönlichen Liste der Kennerspiele mit Drafting-Mechanik an die Spitze. Wie gut, dass es bereits zwei Erweiterungen gibt, die noch mehr Spielspaß versprechen.

Eine wundervolle Welt
Brettspiel für 1 bis 5 Spieler ab 10 Jahren
Frédéric Guérard
Kobold Spielverlag 2020
EAN: 7108445471997
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 39,99

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