von Kai Melhorn
„Mystic Vales“ von John D. Clair macht auf den ersten Blick neugierig. Er nennt sein neues Spielprinzip Card Crafting, was mir bisher tatsächlich nicht untergekommen ist. Beim näheren Hinschauen ist das Spiel ein Deckbuilder, dem eine weitere Dimension hinzugefügt wurde. Die Karten bestehen aus drei Segmenten und jedes dieser Segmente kann mit einer Fähigkeit belegt werden. So baut man sich nach und nach mächtige Karten auf, selbst wenn es die einzelnen Zauber eher nicht sind. Eigentlich eine tolle Idee, aber Deckbuilder gibt es jetzt schon eine Menge und da reicht eine tolle Idee vielleicht nicht aus. Man darf gespannt sein.
Inhalt und Spielmaterial
„Mystic Vale“ kommt in einer ansehnlichen Box daher und der Inhalt besteht neben der Anleitung im Wesentlichen aus Karten, „Karten“, Schutzhüllen und einigen Markern. Die Anleitung hat zwar 24 Seiten, ist aber beinahe verschwenderisch ausgeführt. Die Schrift ist groß, die Illustrationen sind großzügig und das Layout ist übersichtlich. Daumen hoch für so eine hochwertige Anleitung. Ich mag mir allerdings nicht vorstellen, wie sich diese Strategie wohl auf ein Regelheft von deutlich komplexeren Spielen auswirken würde.
Die Karten sind von guter Qualität und schön illustriert. Das naturverbundene Thema der Druiden tropft bei dem Spiel aus jeder Pore. Das finde ich sehr ansprechend und stimmungsvoll, da es vermag, die schwache (oder zumindest schwach ausgearbeitete) Hintergrundgeschichte des Spiels ein wenig aufzupeppen. Das Format ist durch die längliche Kartenform etwas gewöhnungsbedürftig, aber die Karten sind von guter Qualität. Die „Karten“ sind tatsächlich etwas Besonderes. Sie sind aus transparentem Kunststoff, der auf jeweils etwa einem Drittel der Kartenfläche bedruckt ist.
Der Druck ist gut und auch hier passen die Illustrationen zum Thema. Das Kunststoff ist leicht biegbar und neigt nicht zum Knicken. Allerdings kann die empfindliche Oberfläche durchaus zerkratzen, was vom Herausgeber aber gut gelöst wurde. Jede Karte hat auf der bedruckten Seite eine Schutzfolie, die beim Spielen überhaupt nicht stört. Nach einigen Partien löst sich die Folie an ein paar Ecken und irgendwann wird man sie dann entfernen. Aber bis dahin sind die Drucke gut geschützt und man muss nicht ständig um das Spielmaterial bangen.
Card Crafting und Push-Your-Luck
Jeder Spieler erhält zu Beginn sein Kartendeck. Diese 20 (Papp-)Karten sind die Basis für sein gesamtes Spiel und werden jeweils in eine Schutzhülle gesteckt. Im Laufe des Spiels geht der Spieler mehrfach durch dieses Deck und verwendet die aufgedruckten Ressourcen, um Aufwertungen zu erhalten. Die Aufwertungen sind die oben beschriebenen transparenten Karten und werden nach Erwerb in die Schutzhülle einer Karte gesteckt. Dabei ist grundsätzlich nur darauf zu achten, dass kein vorher schon belegter Platz überdeckt wird und somit kann man eine Karte seines Basisdecks mit bis zu drei Aufwertungen bestücken.
Leider sind nicht nur positive Dinge auf den Karten zu finden. Bereits im Startdeck findet sich einige Male das verderbte Land, das wir bekämpfen möchten. Beginnt man einen neuen Zug, deckt man eine Karte nach der anderen von seinem Deck auf. Beschließt man, die aufgedeckte Karte in dieser Runde verwenden zu wollen, legt man sie vor sich ab und muss dann sofort eine weitere Karte aufdecken. Liegen am Ende der Runde weniger als drei verderbte Lande auf dem Tisch, inklusive der letzten aufgedeckten Karte, darf man alle ausgelegten Karten verwenden und bekommt dafür verschiedene Ressourcen und später auch Siegpunkte.
Ab hier ist gefragt, wie sehr man sein Glück herausfordern möchte. Man kann jederzeit aufhören und mit den Ressourcen arbeiten, die man gezogen hat. Aber manchmal muss man dann doch sein Glück herausfordern, um das Objekt der Begierde zu ergattern, bevor es ein anderer Spieler tut. Übertreibt man es und zieht ein weiteres verderbtes Land, dann ist die Runde sofort vorbei und alle Karten kommen ohne Nutzen für den Spieler auf den Ablagestapel. Lediglich ein Mana als kleines Trostpflaster bekommt man geschenkt, was man in den nächsten Runden verwenden kann. Es sei noch zu erwähnen, dass man sich jederzeit ansehen kann, welche Karten man abgelegt hat. Somit kann auch immer errechnen wie groß das Risiko des Scheiterns ist, wenn man eine weitere Karte aufdeckt.
Mana und Seelen
Mana ist natürlich unabdinglich für jedermann, der mit Magie hantiert. Diese Hauptwährung des Spiels ist jede Runde das Maß der Dinge, denn die Menge an verfügbarem Mana bestimmt, welche Aufwertungen gekauft werden können. Kann man sein Mana nicht vollständig aufbrauchen, ist es verloren und man fängt in der nächsten Runde wieder von vorne an. Als zusätzliche Ressource gibt es hier jedoch noch Seelen, die helfen sollen, die Spieler zu stärken. Mit ihnen kann man sein Kartendeck zwar nicht aufwerten, aber man kann Unterstützungskarten kaufen, die dauerhaft für den Druiden zur Verfügung stehen. Sie werden offen auf dem Tisch abgelegt und geben in jeder Runde einen Bonus oder aber Siegpunkte am Ende des Spiels.
Tops und Flops
Card Crafting ist eine tolle Idee und es macht wirklich Spaß, wenn man sieht, wie sich eine zunächst leere Karte langsam zur mächtigsten Karte des Decks entwickelt. Aber leider wurde das Potenzial der Idee nicht voll ausgeschöpft. Einige wenige Aufwertungen bringen Vorteile, wenn man sie mit bestimmten anderen Aufwertungen auf einer Karte kombiniert. Aber es kommt eher selten vor, dass man diesen Effekt voll ausnutzen kann. Dieser Aspekt hätte aus meiner Sicht noch deutlich stärker hervorgehoben werden können.
Ein Highlight des Spiels ist das Material. Von der Anleitung, über die Bilder, bis hin zu den Pappteilen ist alles gut durchdacht und von hoher Qualität. Auch im großzügigen Karton findet alles seinen Platz und an potenzielle Erweiterungen wurde schon gedacht, denn die Box ist noch lange nicht komplett gefüllt. Zudem wurden dem Spiel ein paar Ersatzschutzhüllen für die Karten beigelegt. Das reduziert den Frust, wenn doch einmal eine Hülle einreißen sollte.
Der Push-Your-Luck-Mechanismus ist schön eingearbeitet, funktioniert aber auch leider nicht perfekt. Die Strafe ist sehr hoch und zwei gescheiterte Versuche können absolut spielentscheidend sein, wohingegen es selten den großen Vorteil gibt, wenn man zockt.
Die Kombination aus Card Crafting mit Aufwertungen und den Unterstüztungskarten ist jedoch sehr schön gelungen. Die Unterstützungen liegen von Beginn an aus und locken mit wichtigen Boni. Damit beginnt das Rennen um die besten Karten, die am Anfang noch unerreichbar sind.
Die Spieldauer ist mit 45 bis 75 Minuten für diese Art Spiel gut bemessen, auch wenn es manchmal etwas frustrierend sein kann. Der Motor fängt gerade an zu laufen und plötzlich ist das Spiel vorbei. Das hat aber auch einen positiven Effekt, denn eigentlich möchte man gleich nochmal spielen, um das nächste Mal das eine oder andere besser zu machen.
Die Anzahl der verschiedenen Aufwertungen könnte noch größer sein, denn nach einigen Spielen scheint man schon alle Kombinationen und mögliche Synergien auf den Karten ausfindig gemacht zu haben. Dann fängt das Spiel an, ein wenig an Reiz verlieren.
Fazit: Ich finde das Spiel gut und vor allem vielversprechend, denn es bleibt hinter seinen Möglichkeiten. Doch trotz meiner ganzen Kritikpunkte hatte ich eine Menge Spaß. Mehr Karten sollten hier Abhilfe schaffen, denn gleich zwei Erweiterungen bringt Pegasus noch 2017 in die Läden und ich freue mich darauf, sie auszuprobieren. Sollte man sich nicht sicher sein, ob man dieses Spiel kaufen möchte, könnte es sich lohnen, darauf zu warten.
Mystic Vale
Kartenspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
John D. Clair
Pegasus Spiele 2016
EAN 4250231711114
Preis: EUR 34,95
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