von Lars Jeske
Das Card-Crafting-System „Mystic Vale“ hat mit etwas Verzögerung nun auch auf Deutsch die erste Erweiterung bekommen. Oder besser gesagt zwei Erweiterungen, wurden doch die beiden amerikanischen gleich in einer Box zusammengefasst und gehen als „Tal der Magie & Tal der Wildnis“ um die Gunst der Kennerspieler ins Rennen. In der aktuell für Pegasus Spiele-Erweiterungen typischen kleinen Box und ohne Kenngrößen zum Hauptspiel wie Spieleranzahl, Alter oder Spieldauer, kommen die neuen Komponenten daher. Wenn man die Schachtel öffnet, herrscht erst einmal die Ernüchterung: Nur ein Drittel der Box ist gefüllt und es gibt eben „nur“ Karten. Keine Ersatzhüllen, keine Spielmarker, einfach 152 Karten sowie eine sehr detaillierte Anleitung mit Erklärung der Kartentexte. Das Naturthema bleibt auch mit der Erweiterung erhalten, obschon die Karten ironischerweise aus Kunststoff sind. Die Bilder auf den Karten sind noch immer schön und dem Thema angemessen, ohne kitschig zu wirken. Auf eine Einführungsgeschichte wird verzichtet und die Karten des ersten Sets „Tal der Magie“ können einfach eingemischt werden und los geht es. Zu dumm nur, dass man später nicht (mehr) erkennt, welche Karten wozu gehören, da es leider keine Symbole gibt, die die verschiedenen Karten ihren Editionen zuordnen. Da ist man zwar schon Besseres gewohnt, dieser Umstand trübt jedoch den Spielspaß nicht.
Am generellen Spielprinzip ändert sich somit nichts; hier also der Verweis auf die gute Rezension zum Grundspiel. Die Grundidee bleibt gleich. Wie bei anderen Deckbauspielen erwirbt man, hier über das aufgedeckte Mana, neue Karten, die dem eigenen Deck hinzugefügt werden, um es zu stärken und an Seelensymbole zu kommen, die auf dem Weg zu den Siegpunkten noch mehr helfen. Das für dieses Card-Crafting-System-Spiel kennzeichnende Alleinstellungsmerkmal ist, dass die neuen Karten nicht mit eingemischt werden, sondern als weitere Komponente mit in eine der 20 Kartenhüllen, mit denen man spielt, geschoben werden. Somit kann man sich eben in jeder Partie seine eigenen Karten zusammenbauen, die dann nicht nur auf andere Karten wirken, sondern auch Synergien mit den maximal zwei anderen Teilen in dieser Hülle bilden. Also etwas anspruchsvoller und nicht weniger interessant.
Die neuen 54 Aufwertungs- und 18 Unterstützungskarten des Themensets „Tal der Magie“ haben hier vor allem den spielerischen Mehrwert, dass sie Abwechslung und Varianten ins Spiel bringen und somit für Vielspieler interessant sind. Neue Kombinationen an Karten sind möglich, und nunmehr gibt es auch bei der beibehaltenen maximalen Spieleranzahl von 4 nicht immer die gleichen Karten. Jetzt reicht es nicht nur, aufzupassen und mitzuzählen, was den Glücksfaktor erhöht, das Spiel aber in den meisten Partien ausgeglichener gestaltet. Die Varianzen sind besser geworden. Neben sehr starken Kartensegmenten, die allein schon wirken, gibt es wie bisher auch unscheinbare, die erst in der richtigen Kombination mit anderen ihre volle Stärke ausspielen können. Keine bahnbrechend neue Karte, aber schöne Varianten sind dabei, um die Auslage in jeder Partie etwas zu verändern. Somit sind allein diese Karten die Anschaffung dieser Erweiterung bereits wert.
Erst beim zweiten Set „Tal der Wildnis“ gibt es ein paar Regelergänzungen und neue Kartenarten. War es bisher dem Spieler überlassen, wie viele Verfallsymbole er in der Vorbereitungsphase bis zu einem Maximum von drei aufdeckt, muss man nunmehr immer solange Karten umdrehen, bis drei oder mehr dieser Symbole in der Auslage und der Deckkarte liegen. Dadurch wird die Push-Your-Luck-Komponente jetzt überschaubarer und man muss eine bisherige Strategie ändern. Einige der neuen Aufwertungskarten haben das Verbergen-Symbol, das heißt sie dürfen ganz regelgerecht überbaut werden (was bei anderen Karten weiterhin nicht erlaubt ist) oder sofort beim Kauf hinter ein anderes, bereits bestehendes Kartensegment gesteckt werden. Da gibt es ein paar nette Effekte, die aber auch nicht weiter stören.
Die komplett neu geschaffene Kartenart der Anführer ist da schon spielentscheidender. Bis jetzt fand die Rivalität um den Titel des Meisterdruidens unter gleichen Voraussetzungen statt. Jeder Spieler hatte das gleiche Startdeck und dann will jeder, anstatt zusammen gegen den Fluch zu kämpfen, hervorstechen und besser heilen als seine Mitspieler, sprich die meisten Siegpunkte erlangen. Mit dieser Chancengleichheit ist es nun vorbei. Jeder Spieler bekommt zu Spielbeginn zwei der acht vollflächigen Anführerkarten, wählt eine für sein Deck und kann diese im Verlauf des Spiels noch aufwerten. Wenngleich es nur eine einzige Karte ist, ist die Auswirkung aufs Spiel enorm. Je nach persönlicher Strategie passt die Spezialeigenschaft des Anführers mehr oder weniger in das eigene Konzept und Spielverständnis. Man muss mit dieser arbeiten können, um damit Spaß zu haben. Im schlimmsten Fall wird man dadurch eher gespielt, als dass man selber spielt. Eher eine unschöne Neuerung, die man durch Weglassen der Anführer oder gezieltes Aussuchen anstatt der Zulosung umgehen kann. Die im Regelheft ausgeführten Beschreibungen zu den einzelnen Anführern als Begleittext untermauern deren jeweilige Einzigartigkeit und geben quasi indirekt Strategietipps für das gesamte Spiel vor. In den Testrunden eher Geschmackssache, durchgehend überzeugend waren die Anführer nicht.
Bereits in dieser ersten Erweiterungsbox wird von der Dreifachheit der Karten (je eine pro Segment) abgewichen. Es gibt drei Karten, welche jeweils nur doppelt vorhanden sind. Ziemlich schnell erkennt man auch im Spiel, dass „Totem-Häuptling“, „Rudel-Anführerin“ und „Nymphe“ sehr spielstark sind. Sie produzieren je ein Seelensymbol pro Wächter-Symbol auf der Karte und bringen jeweils schon eines mit. Da wäre eine andere Einschränkung besser gewesen. Beispielsweise, dass jeder Spieler maximal eine dieser Karten besitzen darf. Wenn man nämlich zu viel Glück hat und eine passende Combo aufbauen kann, sind die Mitspieler, da man weiterhin nichts gegen die Karten anderer Spieler unternehmen kann, sehr schnell im Hintertreffen ohne weitere Chancen im restlichen Spielverlauf.
Glücklicherweise sind die Karten aber nicht so kriegerisch, wie das Cover vermuten lässt. Das Spiel wird interaktiver, jedoch vorerst nur mit der obersten Deckkarte des Mitspielers, die durch einige Karten mitgenutzt werden darf. Jeder spielt weiterhin für sich. Tendenziell sind die neuen Kartentexte jedoch komplizierter. Nunmehr wird es auf alle Fälle zum „Kennerspiel“. Dadurch hebt sich die Einstiegshürde und Vielspieler dieses oder ähnlich gelagerter Spiele haben in den ersten Partien gegen Newbies deutliche Vorteile. Ebenso erhöhte sich auch die Spieldauer. 75 min. werden jetzt sehr selten unterschritten, egal mit wie vielen Spielern und eine Partie ist auch „mental anstrengender“. Durch die vielen neuen Karteneffekte wird das Zusammenzählen der Seelen- und Manasymbole zudem nicht einfacher. Als Gelegenheitsspieler sollte man sich Counter besorgen, um nicht auch noch drauf achten zu müssen.
Auch bei „Tal der Wildnis“ steht der Abwechslungsreichtum durch die neuen Karten im Vordergrund. Durch das Mehr an Karten (erneut 18 Unterstützungen und 54 Aufwertungen, dazu kommen die 8 Anführer) sind jetzt nicht immer die gleichen Aufwertungen für Level 2 und 3 im Spiel, wodurch man die sinnvollen beziehungsweise superstarken Kombinationen und Synergien des Grundspiels, die man bereits in- und auswendig kennt, nicht mehr so leicht bekommen kann. – Dennoch: Einmal mit „Glück“ richtig kombiniert, sind einige Kombinationen sehr schwer zu schlagen oder minimieren die Lust des Gegners.
Das Gesamtfazit ist dennoch positiv. Die neuen Karten ergänzen optisch und spielerisch das Grundspiel und passen sich gut ein. Leider sind erneut einige der Unterstützungen und Aufwertungen gegenüber anderen zu stark und unausgewogen. Wir suchten sogar die englischen Kartentexte als Referenz, ob bei den deutschen gegebenenfalls Übersetzungsfehler vorliegen, wie bei der Unterstützungskarte „Lichtung“ des Grundspiels (zu welcher bis heute kein Errata vorliegt oder überhaupt erwähnt wurde). Dadurch haben Anfänger bei diesem Spiel gegen erfahrene Spieler nicht einmal mit Ziehglück eine Chance. Mitunter ist es sogar noch schlimmer, dass auch Spieler mit gleichviel Erfahrung und taktischer Finesse bei „Mystic Vale“ keine Chance zu gewinnen haben, wenn Kartenziehglück oder Manasegen einem nicht gewogen sind. Es ist selbstverständlich nur ein Spiel, aber eben mit einem sehr hohen Glücksanteil und weniger Strategie als ‚Card Crafting‘ vermuten lässt. Dadurch ist das Einstiegsalter mit 10 Jahren fast noch gerechtfertigt.
Mit dieser (Doppel)Erweiterung ist das Plastik-Inlay des Grundspiels schon sehr gut gefüllt. Die kommende, bereits auf Englisch angekündigte Erweiterung wird nur schwer hineinpassen, so bislang die Schutzfolien auf den Karten blieben.
Fazit: Durch die Doppelerweiterungsbox „Tal der Magie & Tal der Wildnis“ bekommen vor allem Vielspieler von „Mystic Vale“ dringend nötige Varianzen. Weiterhin sind 4 Spieler die Obergrenze, was jedoch in zukünftigen Erweiterungen womöglich geändert wird. Die Naturmotive fügen sich harmonisch in die bisherigen Graphiken der Karten ein und lassen das Spiel auch optisch abwechslungsreicher werden. Die neuen Karten sind interaktiver und komplexer gestaltet, wodurch „Mystic Vale“ immer mehr ein Kennerspiel wird und auch eine längere Spieldauer erfordert. Die Regelanpassungen und Anführerkarten ändern das Grundkonzept etwas, ohne komplett in eine andere Richtung zu gehen. Allein der Abwechslung wegen ist diese Erweiterung durch die Vielzahl an neuen Karten vor allem für die Spieler empfehlenswert, die sehr oft in das Tal das Lebens zu deren Errettung eilen.
Mystic Vale: Tal der Magie & Tal der Wildnis
Kartenspiel-Erweiterung für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
John D. Clair
Pegasus Spiele 2017
EAN: 4250231712432
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 19,95
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