Little Bird – Buch Eins: Der Kampf um Elder’s Hope

„Freiheit – Frieden – Seelenruhe“, so leicht könnte das Leben sein. Doch nicht für „Little Bird“, ein Mädchen, das in einem dystopischen Amerika lebt, in dem der „New Vatican“ herrscht und keine Gegenbewegungen und Meinungsverschiedenheiten zulässt. Dabei greift die neue „Supermacht“ zu brachialer Gewalt, die durch den technologischen Fortschritt genährt wird. Dem entgegen stellt sich eine Rebellion, angeführt von „Little Bird“, die sich mit der Kraft der Verzweiflung sowie der Natur auf spirituelle Weise aufbäumt. Ist dies ein purer Akt der Selbstzerstörung oder können Little Bird und ihre Freunde am Ende ihren Traum verwirklichen?

von Daniel Pabst

Der Comic „Little Bird“ trägt die Unterschrift „Buch Eins: Der Kampf um Elder’s Hope“ und bildet damit den Auftakt einer Comic-Reihe, die in eine futuristische Welt eintreten lässt, deren Bildsprache gewaltig ist. Verantwortlich für diese neue Comic-Welt sind Darcy van Poelgeest (Text), Ian Bertram (Zeichnungen), Matt Hollingsworth (Farben) und Ben Didier (Layout). Dank des Verlags Cross Cult erschien in diesem Jahr die deutsche Übersetzung (Peter Schadt als Übersetzer). Der Comic liegt mit seinen insgesamt 208 großformatigen Hardcover-Seiten schwer in den Händen. Die Seiten des Comics werden jeweils durch ein ganzseitiges Motiv in fünf Kapitel getrennt. Am Ende des Comics warten auf die Leserinnen und Leser eine Cover-Galerie sowie ein Ausblick auf den nächsten Band, welcher hier zur Überraschung in Schwarz-Weiß gehalten sind.

Beim Schreiben der Rezension fiel es schwer zu entscheiden, ob der folgende Einstieg über die Zeichnungen oder über den Inhalt erfolgen soll. Die Zeichnungen sind beeindruckend in ihren Farben und der Liebe zum Detail, der Inhalt des Comics ist tiefgründig, verblüffend, voller Überraschungen und lädt ein zu philosophischen Nachbetrachtungen. Wo also beginnen bei diesem eindrucksvollen Werk?

Vielleicht so: Den Machern von „Little Bird“ ist ein Comic gelungen, der einen nachdenklich zurücklässt. Einen dystopischen Handlungsstrang in einer fernen Zukunft zu bebildern, ist an sich nichts Neues. Da gibt es bereits „Die Tribute von Panem“, „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“, „V wie Vendetta“, „Brazil“ oder „Blade Runner“, um nur eine Handvoll zu nennen. Doch steht bei „Little Bird“ ein junges kleines indigenes Mädchen im Mittelpunkt, das sich gegen die Unterdrückung stellt. Dieses wird umgeben von einer spirituellen, magischen Naturkraft. Dagegen steht nicht nur das scheinbar unbesiegbare erzkonservative System, sondern auch deren technologisch hochentwickelten Kampftechniken. Dies bietet also den Grundkonflikt bei „Little Bird“, der blutig und teilweise auch in grotesker Weise eskaliert.

Auch dürfen die Leserinnen und Leser der Frage nachgehen, welche dunklen Familiengeheimnisse und unbekannten Wurzeln im Hintergrund existieren und im Verlaufe der Geschichte von entscheidender Bedeutung sein werden. Verknüpft wird der Handlungsbogen, der sich durch Städte, Wälder, Raumstationen, fremde Planeten, Häuser, unwirkliche Stätten, Gefängnisse, Schneekulissen, Traumwelten, Schulsäle, Unterwelten, Wüsten, Festungen, Opferstätten, Gräber, Amphitheater und Raumschiffe bewegt, mit der Familiengeschichte von „Little Bird“. Der Comic „Little Bird“, so erfährt man direkt zu Beginn im Impressum des Comics, wurde auf dem Gebiet der Musqueam geschrieben. Die Musqueam sind eine kanadische First Nation im Südwesten der Provinz British Columbia (kanadische Provinz). Das traditionelle Gebiet der„Musqueam umfasst die heutige Stadt Vancouver und ihre Umgebung. Auch die Protagonistin lebt mit ihrer Mutter in Kanada, bevor sie ihre Rolle in der Protestbewegung zugewiesen bekommt. Ihre Verbundenheit zur Natur wird immer wieder betont und auch bildgewaltig wiedergegeben. An einer Stelle – so viel sei verraten – nimmt das Mädchen „Little Bird“ die Rolle eines Wolfes ein, ein anderes Mal fliegt sie vogelgleich durch die Lüfte (ihre Begleiterin ist übrigens eine Eule namens Oki) und wiederum ein anders Mal zückt sie Pfeil und Bogen, statt etwa zu einer Pistole zu greifen. Ein Begleiter von „Little Bird“ ist ein Mann namens Axt – auch wiederum eine Anlehnung an ein Zeitalter ohne Feuerwaffen.

Immer behält die Protagonistin die Hoffnung auf den Anbruch einer neuen Ära und schöpft dabei aus ihrer inneren Überzeugung, ihren Träumen und Sehnsüchten. Bildlich verkörpert wird dies unter anderem mittels einer großen goldenen Uhr, welche die Protagonistin mit sich führt.

Die Autoren von „Little Bird“ bleiben trotz der brutalen, überzeichneten, grotesken Erzählweise und der an das Horrorfilm-Genre und die Gothic-Literatur angelehnte Zeichnen im Stil des blutigen „Body Horror“, nah am Zahn der Zeit. Wir kennen Protestbewegungen weltweit, initiiert durch Mädchen, die sich für Gleichberechtigung, gegen legalen Waffenverkauf oder für die Umwelt mit ihrer ganzen Kraft einsetzen. Das indigene Thema spielt insbesondere eine so große Rolle bei „Little Bird“, da die Autoren aus Amerika stammen (Darcy van Poelgeest wohnt in Vancouver). Auch die in „Little Bird“ herrschende Diktatur durch eine rein christliche Regierung spiegelt den Albtraum der amerikanischen Autoren wider, womit der Comic insgesamt einen „amerikanischen Stempel“ aufgedrückt bekommt.

Was bleibt nach dem Lesen? Ein Comic ohne Kritikpunkten? Ist „Little Bird“ problemlos zu empfehlen?

Trotz des Lobes über die spannende und zugleich erschreckende Geschichte mit Bildern, die durch ihre Ausdrucksstärke und Detailversessenheit faszinieren und keine Scheu vor reichlich Splatter haben, bleibt ein fader Beigeschmack am Ende der Lektüre. Dies liegt zum einen daran, dass deutsche Leserinnen und Leser nicht nur der Nordatlantische Ozean von Amerika trennt, sondern ihnen auch die tagesaktuelle Politik, die (nord-)amerikanischen Protestbewegungen sowie die kulturellen Hintergründe der First Nations nicht in ihren Feinheiten bekannt sind. Daher wirkt der gewählte Gegensatz von „erzkonservativer Führung“, die mit Technologie gegen Naturkräfte kämpft, etwas zu banal, fast schon klischeehaft. Zum anderen hätte es wohl keines zweiten Bandes bedurft. Zwar möchte man gerne weitere Bilder sehen, der Handlungsbogen jedoch wirkt erschöpft und so kann dieser Comic als Standalone betrachtet werden, der jedoch am Ende durch die Skizzen des nächsten Bandes ein ungutes Gefühl entstehen lässt. Wenn einem ein zweiter Band angekündigt wird, so weiß man gleich, dass die eigenen Gedanken nach dem Lesen des Comics aufgelöst werden können und dies ist etwas schade. Da wäre es mutig gewesen, „Little Bird“ ohne Fortsetzungen zu denken, um ein bleibendes Leseerlebnis zu erschaffen. Da der Autor Darcy van Poelgeest auch für die Filme „Corvus“ und „The Lockpicker“ steht, kann der Gedanke, dass hier der Auftakt einer Filmreihe geschaffen wurde, nicht ganz unbedacht bleiben. Wer gerne Fortsetzungen liest – und vielleicht auch schaut –, für den ist das Versprechen, dass es einen nächsten Band geben wird, aber wahrscheinlich kein Kritikpunkt, sondern eher Grund zur Freude, und kann daher ignoriert werden.

Wer selbst einen Blick in die dystopische Welt werfen will, oder sich noch unschlüssig ist, in diesen Comic zu investieren, der findet auf der Homepage des Verlages Cross Cult eine Leseprobe.

Fazit: „Little Bird“ ist ein Comic, der vielfach gelobt wurde und das zu Recht. Jede Seite des Comics ist ein Erlebnis. Gewalt und Splatter muss man aushalten können, handelt es sich doch nur um einen Comic mit fiktiver Handlung. Getreu des fast schon legendären Interviews mit Quentin Tarantino nach „Kill Bill“ (2003), bei dem er sagte, dass „from twelve up – all right – you know – is a really good audience (…) girls will love it because they will be empowered by (…)”, kann dieser Comic gelesen werden und man darf sich in der Nachbetrachtung glücklich schätzen, dass weder in Amerika noch in einem anderen Land die Dystopie der Autoren von „Little Bird“ Einzug in die Realität gehalten hat.

Little Bird – Buch Eins: Der Kampf um Elder’s Hope
Comic
Darcy van Poelgeest, Ian Bertram, Matt Hollingsworth
Cross Cult 2020
ISBN: 978-3966582100
208 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 35,00

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