Hard Boiled

Comic-Macher Frank Miller ist vielen als Schöpfer der Marken „Sin City“ und „300“ bekannt sowie als einflussreicher Neuinterpret von Ikonen wie Batman und Daredevil. „Hard Boiled“, eine frühe Zusammenarbeit zwischen Autor Frank Miller und Zeichner Geoff Darrow, entstand Anfang der 1990er Jahre als dreiteilige Mini-Serie. Beim genialen Comic-Label Cross Cult erscheint die Neuauflage dieses Kult-Comics in deutscher Übersetzung. Im passenden Überformat und mit neuer Kolorierung vom „Hellboy“-Stammkoloristen Dave Stewart.

von Simon Ofenloch

In einem zukünftigen Los Angeles, das in vielen Details Züge vergangener Zeiten trägt, ist Versicherungsermittler Carl Seltz ein absoluter Durchschnittstyp. Zumindest glaubt er das. In den guten Momenten, in denen ihn keine Albträume plagen. In den guten Momenten ohne Zweifel, ohne Unsicherheiten, ob sein Name nicht tatsächlich Harry Seltz ist, oder Harry Burns. Und sein Beruf nicht eigentlich Steuereintreiber. Und warum nennen ihn plötzlich einige seltsame Gestalten, denen er im Stadtzentrum begegnet, Nixon? Und wer verdammt ist Einheit Vier? Er selbst? Dieser Nixon? Ein Auftragsmörder, im Kampf zwischen Menschen und Robotern? Oder im Kampf zwischen Cyborgs untereinander? Inmitten von Sex und Gewalt, von Bleikugeln, Glassplittern, Hautfetzen, blutigen Innereien und Metallgerippen versucht der vermeintliche Durchschnittstyp aus der Vorstadt, nur nicht den Kopf zu verlieren.

„Hard-boiled“ oder „hardboiled“, das bedeutet vom Englischen ins Deutsche übersetzt „hartgekocht“ und bezeichnet damit nicht nur ein ebensolches Ei, das lange genug im heißen Wasserbad lag, sondern auch eine Person, die als hart, hartgesotten, als abgebrüht gilt, kalt und kaltschnäuzig, wenn nicht gar brutal und rücksichtslos gegenüber anderen. In der amerikanischen Literatur wurde der Begriff als Bezeichnung für die Antihelden aus den Detektivgeschichten der sogenannten „Pulp Fiction“ der 1940er und 1950er Jahre von Autoren wie William R. Burnett, James Cain, Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Horace McCoy und Ross Macdonald verwendet. Die vielfach Vorlagen zum sogenannten „Film noir“ lieferten, zu trostlosen, pessimistischen Werken voll unverhohlener Brutalität, aber auch von stilsicherer Eleganz. Der orientierungslose Antiheld findet sich auch im Comic „Hard Boiled“. Unverhohlene Brutalität ebenso.

Angeblich stützt sich der Comic auf eine Vorlage des US-amerikanischen Kultautors Philip K. Dick, der mit seinem Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“, zu deutsch: „Träumen Roboter von elektrischen Schafen?“, später auch: „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“, die Vorlage zur grandiosen „Film noir“-Variante „Blade Runner“ schuf. Diese auch als Film im „Neo-Noir“-Stil bezeichnete Science-Fiction-Spielerei präsentiert einen ähnlichen Retro-Futurismus wie er auch in „Hard Boiled“ zum Tragen kommt und wohl auch als ein Markenzeichen der Arbeiten von Philip K. Dick gelten darf. Neben „Blade Runner“, in Buch und Film, lässt „Hard Boiled“ auch an ein weiteres Werk von Philip K. Dick denken, an die Kurzgeschichte „We Can Remember It For You Wholesale“, zu deutsch: „Erinnerungen en gros“, sowohl in inhaltlichen Bezügen wie auch hinsichtlich der visuellen Adaption im Kinofilm „Total Recall“. Doch tatsächlich soll es die Kurzgeschichte „The Electric Ant“ („Die elektrische Ameise“) sein, die „Hard Boiled“ maßgeblich zugrunde liegt.

Nicht nur inhaltlich ist der Comic ein Parforceritt, ein hochspannendes Spiel mit und um Identitäten, während er sich kritisch mit den vermeintlichen Segnungen der Moderne, ungezügeltem Fortschritt und den Gefahren unkontrollierter wissenschaftlicher Experimente auseinandersetzt. Auch grafisch verlangt der Comic dem Leser einiges ab. In satirischer Überhöhung werden einige Geschmacklosigkeiten geboten. Dabei ist die Detailverliebtheit kleiner Motive wie auch großflächiger Tableaus absolut bewundernswert. Und die neue Kolorierung könnte niemals besser sein. Ein ganz großes Lob gebührt Cross Cult für die optimale Aufbereitung und Darbietung des Ganzen, in Formatierung, Druckqualität und Bindung.   

Fazit: Die Zukunft der Menschheit in einem düsteren Vexierspiegel. Albtraumhafte Wimmelbilder vom Untergang der Zivilisation. Wer es mit einem Augenzwinkern versteht, es als überhöhte Satire wahrnimmt, darf sich von der grafischen Meisterschaft guten Gewissens beeindruckt zeigen.

Hard Boiled

Comic
Frank Miller, Geoff Darrow, Dave Stewart
Cross Cult 2018
ISBN: 978-3-95981-788-2
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 30,00

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