Origins

Mit „Origins“ legt Cross Cult einen Titel vor, der bei jeder Comic-Liebhaberin und jedem Comic-Liebhaber einen Platz in der Sammlung finden sollte. Eindrucksvolle und markante Zeichnungen, eine farbenfrohe Kolorierung und eine ausdrucksstarke Geschichte über die Zukunft der Menschheit lassen die Herzen höher schlagen.

von Daniel Pabst

„Origins“ wurde geschaffen von Arash Amel, Lee Krieger und Joseph Oxford. Der Text stammt von Clay McLeod Chapman. Die Zeichnungen kommen von Jakub Rebelka. Für die Kolorierung zuständig war Patricio Delpeche, und die deutsche Übersetzung übernahm Frank Neubauer. Ursprünglich erschienen ist das Werk bei BOOM! Studios. Für die deutsche Erstveröffentlichung im Hardcover-Stil ist der Verlag Cross Cult verantwortlich. Das Format des Comics ist 12x18cm und umfasst 144 Seiten, wovon sechs Seiten die Cover abbilden.

Warum sollte dieser Science-Fiction und Fantasy Comic einen Platz in jeder Sammlung haben? Hat man nicht bereits ausreichend viele Comic-Leseempfehlungen zu den Themenfeldern „Armageddon“, „Künstliche Intelligenz“, „Androiden“ und dem Klassiker: „Zukunft der Menschheit“ auf dem Markt zur Auswahl?

Der Comic zeichnet sich zuallererst dadurch aus, dass nahezu jede Seite Überraschungen bietet, die zeichnerisch und farblich vortrefflich umgesetzt wurden. Dabei fällt der schnelle Wechsel zwischen den Erzählzeiten „Damals“ und „Heute“ auf. Besonders trickreich wird dies umgesetzt, indem im letzten Panel einer Zeitebene der Text Bezug nimmt auf das folgende Panel einer anderen Zeitebene. So sieht man zum Beispiel einen Jungen von „Damals“, der fragt: „Was bin ich?“, gefolgt vom „Heute“, bei dem das ältere Ich des Jungen in die Tiefen eines Flusses gerissen wird und sich fragt: „Wer bin ich?“. Das lässt einen fließenden Übergang fürs Lesen entstehen, was einfach richtig Spaß macht. Ebenfalls sehr gelungen ist, dass sich zu keiner Zeit die Sprünge gekünstelt anfühlen, was angesichts der Vielzahl an Zeitsprüngen zu befürchten gewesen wäre. Ist man einmal in diesem Sog gefangen, möchte man den Comic schnell zu Ende lesen. Bei 144 Seiten bedarf es etwas Zeit.

Aber um was geht es denn überhaupt bei „Origins“? Warum sind die Zeit und das Geld gut investiert? Die dargestellte Handlung lässt uns an dem „Leben“ auf der Erde teilhaben, 989 Jahre nach dem Untergang der Menschheit. Das Leben, wie wir es heute kennen, ist in diesem Comic begrenzt auf das der Technologie. Mensch und Tier sind verhungert oder verdurstet, ausgelöst von einer menschlichen Entwicklung namens „Netzwerk“. Das Netzwerk diente dem Zweck, als modernes Waffensystem mit künstlicher Intelligenz, über hunderte Millionen von mikroskopischen Naniten (also: Nanorobotern) dezentralisiert, den Weltfrieden herbeizuführen. Doch stattdessen folgte aus der Erfindung eine unbeherrschbare feindselige Mutter Natur, die durch die Nanoroboter in alle Zellen eindrang und das Leben innerhalb kürzester Zeit auslöschte. Die Natur wieder als (biblischen) Urzustand? Nicht ganz, denn nach diesem „Armageddon“ mutierten die Zellen und das Netzwerk ließ ausgestorbene Tierarten wiedererwecken, die – ferngesteuert durch das Netzwerk – weiter ihr Unheil treiben. Doch wenn keine Menschen mehr existieren, könnte es uns doch auch egal sein, was mit der Erde geschieht, oder? Und was hat es mit dem Wesen auf dem Titelbild von „Origins“ auf sich? Was hält es da in seinem Arm?

Ohne die Spannung vorwegzunehmen, können in dieser Rezension zwei Namen genannt werden: Chloe und David. Woher kommen die beiden? Was ist ihre Geschichte? Wenn es einen David gibt, wo ist der Goliat? Wie passen die drei abgedruckten Zitate aus Herman Melvilles „Moby-Dick“ (1851 erschienen) in dieses Werk, die wir aus dem „Munde“ eines Androiden vernehmen? Eines davon lautet: „(…) denn es gibt keine Torheit der Tiere auf Erden, welche der Irrsinn der Menschen nicht unendlich weit übertrifft“ (Moby-Dick, Kapitel 87 „Die Große Armada“). Als Zeitpunkt dieses Zitats wurde der Moment ausgewählt, indem David stur über eine Brücke aus Lianen klettert, den Abgrund nicht fürchtend …

Es gibt Seiten, da fühlt man sich an Stanley Kubricks Meisterwerk „2001: A Space Odyssey“ erinnert, dann wiederum sieht man Seiten, die auch „Jurassic Park“ entsprungen sein könnten, und ein anderes Mal denkt man an die „Transformers“-Filmserie. Doch bei all den Reminiszenzen entfaltet „Origins“ eine eigene Geschichte. Sie lädt dazu ein, sich eigene Gedanken über den menschlichen Forschungs- und Entwicklungstrieb zu machen. Zudem bietet sie die Gelegenheit, sich zu fragen, ob der Mensch „David“ ist und die Natur „Goliat“ ist, oder umgekehrt – oder die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Darüber hinaus wird der Kontrast zwischen künstlichem Leben und menschlichem Leben in „Origins“ fantasievoll und zugleich anregend dargestellt. Was bedeutet „am Leben“ sein? Kann künstliche Intelligenz je ein Eigenleben mit Gefühlen entwickeln, oder bleibt ihr aufgrund des durch den Menschen einprogrammierten Determinismus der freie Wille auf ewig verwehrt?   

Am Ende sei noch ein kleiner Querverweis auf den Comic „Little Bird“ von Darcy van Poelgeest, Ian Bertram und Matt Hollingsworth angebracht. Denn der Verlag Cross Cult wirbt auf seiner Homepage damit, dass der hier rezensierte Comic „Ein neues Sci-Fi-Epos für Fans von Little Bird“ sei. Und das trifft voll ins Schwarze. Wenn man bei „Little Bird“ dann kritisiert, dass die Geschichte nicht abgeschlossen ist, so kann man bei „Origins“ sagen, dass es ein Stand-Alone-Comic ist. Das mag „Origins“ noch besser machen als „Little Bird“. Ob das zutrifft, ist selbstredend von jeder Leserin und jedem Leser selbst zu überprüfen. Dabei hilfreich kann die folgende Leseprobe des Verlags sein.

Fazit: Der Comic „Origins“ erhält eine klare Leseempfehlung. Hier bekommt man ein „Rundum-sorglos-Paket“, was Zeichnungen, Farben und Handlung betrifft. Es erstaunt, dass dieser Comic bei der Vielzahl an sehr guten anderen Comics der hier behandelten Themenfelder auf dem Markt glänzen kann. Es wird Bekanntes aufbereitet und gleichsam Neues präsentiert. Wer sich mit Zukunfts-Fragen in Comic-Format beschäftigen möchte, der wird um die deutsche Erstveröffentlichung von „Origins“ von Cross Cult nicht herumkommen.

Origins
Comic
Arash Amel, Lee Krieger, Joseph Oxford, Jakub Rebelka
Cross Cult 2021
ISBN: 978-3-96658-537-8
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 22,00

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