Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug

„Es geht um Zeit und den Tod und um Montana Wildhack und fliegende Untertassen vom Planeten Tralfamador“, verkündet uns Billy Pilgrim. Was er damit sagen will, wissen diejenigen, die das 1969 erschienene Buch „Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug“ von Kurt Vonnegut gelesen haben. Alle anderen betreten mit dieser Graphic Novel Neuland. Nicht jeder Versuch, ein Buch zu illustrieren, gelingt oder ist wirklich von Nutzen. Wie sieht es hier aus?

von Daniel Pabst

Der Comic zu „Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug“ stammt von Ryan North (Text) und Albert Monteys (Illustration). Den Roman mit gleichnamigem Titel aus dem Jahre 1969 verfasste Kurt Vonnegut (1922-2007). Die deutsche Ausgabe dieses Comics erscheint bei Cross Cult in einem Hardcover-Format von 21x28 cm und beinhaltet 192 Seiten (im Vergleich dazu umfasst der Roman mit dem Originaltitel: „Slaughterhouse Five or The Children’s Crusade“ nur 186 Seiten).

Vonnegut wuchs auf in Indianapolis, Amerika. Mit 20 Jahren meldete er sich als Freiwilliger zur U.S. Army.  Prägend für „Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug“ war der Dezember 1944, als er in der Infanteriedivision an der Ardennenoffensive kämpfte. Am 22. Dezember 1944 geriet er in die deutsche Kriegsgefangenschaft. Vom 13. bis 15. Februar 1945 musste er in Dresden die Luftangriffe durch alliierte Bomber miterleben.

Das Cover, gestaltet von Scott Newman und Albert Monteys, sollte man auf jeden Fall für einige Zeit auf sich wirken lassen, bevor man den Comic aufschlägt. Denn die Elemente erzählen eine eigene Geschichte und hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Zuerst fallen die Bomben auf rotem Hintergrund auf. Mit diesem Horror allein begnügt sich das aber Cover nicht. Wir sehen einen Mann, der in der Luft zu schweben scheint oder tief ins Meer zu sinken droht. Dieser Mann ist der Protagonist Billy Pilgrim. Über ihm hängt ein überdimensional großer Soldatenhelm, dessen Riemen bedrohlich umher schwingen. Und hinter dem Kopfe Billy Pilgrims leuchtet ein großer roter Kreis. Von dort strahlt ein weißer Lichtkegel auf den Titel des Werks hinab. Man könnte fast meinen, dass der Mann von dem Helm wie von einer fliegenden Untertasse angezogen wird …
 
Erzählt wird uns nicht allein eine Geschichte über den Krieg; auch wenn der Zweite Weltkrieg und der Vietnamkrieg omnipräsent sind. Es geht um den Glauben an Gott und an den amerikanischen Traum sowie um den Imperialismus. Hinzu kommt die Erzählstruktur, die aus der Sicht des Protagonisten Billy Pilgrim erfolgt. In dieser Person kumulieren sich weitere Themen, wie psychische Gesundheit, Mitgefühl, Liebe, Sexualität, Außenseitertum und soziale Konflikte. Hinzu gesellen sich insbesondere die Lebensweisen des fiktiven erfolglosen Science-Fiction-Schriftstellers Kilgore Trout sowie des Models Montana Wildhack. Kurt Vonnegut ist es gelungen, in seinem Roman diese und andere Themen zu verknüpfen, ohne dass es gekünstelt wirkt. Auch die Titelwahl „Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug“ ist von Vonnegut hervorragend ausgewählt worden (warum das so ist, ist Teil des eigenen Leseerlebnisses und wird daher in dieser Rezension nicht verraten).
 
All diese Stärken werden in dem Comic perfekt umgesetzt. Das zeigt sich auch daran, dass für unterschiedliche Erzählebenen die Bandbreite eines Comic-Formats ausgenutzt wird: Eine Geschichte aus einem „Weird illustrated Science Stories“-Heft wird nicht einfach erzählt, sondern abgedruckt. Ein anderes Mal liest man die Geschichte „Time Travel to Jesus“ auf nachgebildetem alten Druckpapier, als halte man dieses tatsächlich in den Händen. Auch schön ist die anfängliche Vorstellung der Figuren als „Mitwirkende“ und das eingefügte zentrale Element aus Vonneguts Buch: „Billys Zeitlinie“ anhand eines großen Zeitstrahls. Um nicht zu viele Überraschungen vorweg zu nehmen, nur noch ein Beispiel für die Kreativität und die Bildsprache: Inmitten der Ardennenoffensive sehen wir auf einer Seite einen Soldaten in Form einer Ausschneidepuppe, um einerseits seine gesamte Ausrüstung kennenzulernen und andererseits bis zu den intimsten Details vorzudringen.

Der Comic zu „Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug“ ist keine bloße Wiedererzählung. Das Künstlerduo Ryan North (mit dem Eisner- und dem Harvey-Award ausgezeichnet worden) und Albert Monteys (nominiert worden für den Eisner-Award) lässt Kurt Vonnegut in Panels selbst auftreten und mit dem Protagonisten sprechen, was aufgrund der autobiographischen Bezüge und der satirischen Elemente Vonneguts vortrefflich hineinpasst. Auch nimmt sich der Comic Zeit für die Entwicklung einzelner Szenen. Beispielhaft deutlich wird dies auf einer Doppelseite, auf der die Stadt Dresden vor dem Bombenregen mit den Worten: „Da ist es … das Land Oz“ erstrahlt und – man ahnt es schon – an späterer Stelle des Comics auf einer Doppelseite nur noch Trümmer zu sehen sein werden.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Science-Fiction und überbordende Fantasie Vonneguts, die in diesem Comic natürlich zu sehen sind. Neben der Zeitreise Billy Pilgrims werden immer wieder Tralfmadorianer vom Planeten Tralfamador zu Wort kommen und den Lesenden in gewisser Weise einen Spiegel vor die Augen halten. Deren Gleichgültigkeit durch den wiederkehrenden Satz: „So ist das“ („so it goes“) im Kontrast zu den zahlreichen Folgen des Krieges – wie zerstörten Großstädte, Hungernöten, traumatisierten Veteranen und Bergen von Leichen – schmerzt beim Lesen dieses Comics.

So gerne man diesen Comic als Blick in die dunkle Geschichte der Menschheit betrachten würde, so hat er traurige Relevanz gewonnen. Schon zu Zeiten der Veröffentlichung des Romans wurde er als Antikriegsliteratur gelesen; damals tobte der Vietnamkrieg. Schwarzer Humor und kritische Sprüche allein schaffen keine Probleme aus der Welt, bieten vielleicht aber einen Weg, die Balance zwischen Gelassenheit und Tatendrang zu finden. Vonnegut zu lesen, bleibt ein Wagnis. Alle, die dazu tendieren, bekommen eine eindrucksvolle Gestaltungsweise zu Gesicht und die Botschaft, dass das, was geschieht, so geschieht, wie es geschieht.  

Einziger Kritikpunkt an der erstmaligen Comic-Version des Romans aus 1969 sind kleinere Rechtschreibfehler, die durch Ungenauigkeiten bei der Übersetzung entstanden sind. Die Originalausgabe stammt nämlich von Archaia (BOOM! Studios) aus dem Jahre 2020. Aber ob es jetzt bei Vonneguts „so it goes“ auf Deutsch besser „So ist das“ oder „So geht das“ heißt, ist was zum Interpretieren. Ansonsten hat Cross Cult alles richtig gemacht. Dass auf ein großes Hardcover-Format von 21x28 cm gesetzt wurde, ist auch absolut angemessen.

Leseprobe
 
Fazit: Der Comic zu Kurt Vonneguts Roman „Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug“ lässt bleibende Bilder entstehen. Wie es für Graphic Novels charakteristisch ist, wissen die Leserinnen und Leser des zugehörigen Romans im Vorfeld, welcher Text auf sie wartet. Das wird dem Erfolg dieses Comics aber keinen Abbruch tun. Vonneguts Botschaft stimmt nachdenklich und ist derart gut umgesetzt worden, dass sich der Kauf lohnt!
 
Schlachthof 5: oder Der Kinderkreuzzug
Comic
Kurt Vonnegut, Ryan North, Albert Monteys
Cross Cult 2022
ISBN: 978-3-96658-504-0
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 35,00

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