von Daniel Pabst
Cixin Lius Kurzgeschichte „Die Wandernde Erde“ stammt aus dem Jahre 2000 und wurde 2019 als chinesischer Kinofilm produziert, dessen Rechte sich Netflix sicherte. Nun, im Jahre 2021, bringt der Splitter Verlag die „offizielle Comic-Adaption“ nach Deutschland. Geplant sind in der „Cixin Liu Graphic Novel Collection“ neben „Die Wandernde Erde“ insgesamt 14 weitere Comics, wovon jeder als Einzelband eine abgeschlossene Geschichte beinhalten wird. Für dieses große Comic-Projekt stehen 26 Künstlerinnen und Künstler bereit, die aus China und Europa stammen – ein „Comic-Science-Fiction-Fest“ von heute an über die nächsten Jahre!
International bekannt wurde der chinesische Autor Cixin Liu mit seiner „Trisolaris-Trilogie“: „Die drei Sonnen“ (mit dem Hugo-Award ausgezeichnet) „Der dunkle Wald“ und „Jenseits der Zeit“. Die Trilogie wurde in 18 Sprachen übersetzt. Es liegt zu ihr auch eine deutsche Hörspiel-Adaption (WDR und NDR) vor, und es ist eine Netflix-TV-Serienadaption geplant. Neben den Auszeichnungen hat sie auch der ehemalige US-Präsidenten Barack Obama empfohlen. Das Comic-Kooperationsprojekt kommt zur richtigen Zeit, zumal die düsteren Visionen Cixin Lius nicht an Relevanz verlieren, und sein Gedanke, dass die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie unermüdlich vorangetrieben werden sollte, um Katastrophen entgegenzutreten, an Brisanz gewinnt.
Der Comic „Die Wandernde Erde“ umfasst 128 Seiten und wurde auf hochwertigem Papier in DIN-A4-Format als Hardcover gedruckt, was direkt Freude bereitet, die Seiten umzublättern. Zweimal in diesem Comic wird man überrascht, da man die Doppelseite aufklappen kann und auf insgesamt vier DIN-A4-Seiten blickt. Ein guter Effekt. Damit man den Anblick dieser Seiten auch genießen kann, bedarf es natürlich auch der passenden künstlerischen Leistung. Hier war Stefano Raffaele für die Zeichnungen verantwortlich und Marcelo Maiolo für die Farben. Das Coverbild von Nicolas Vallet (Variant-Cover auf der letzten Seite von Stefano Raffaele) gibt einen guten ersten Eindruck über den Inhalt und die Farben. Die Farbe Blau wird die Leser und Leserinnen übrigens in verschiedenen Abstufungen beim Lesen begleiten. Die Panel-Gestaltung ist sehr abwechslungsreich und beeindruckt insbesondere dann, wenn die Panels über zwei Seiten gestreckt sind und man als Leserin oder Leser mit den Figuren wie zum Horizont blickt, oder wie aus einem Cockpit hinausschaut.
Die Kurzgeschichte, die Christophe Bec adaptiert hat, handelt von der Erde. Das gewohnte Sonnensystem verändert sich und damit scheint das Schicksal der Erde unumgänglich. Doch Wissenschaftler entwickeln den Plan, durch gigantische Fusionstriebwerke die Rotation der Erdkugel zu stoppen, um sie dann auf Kurs zum Proxima Centauri zu bringen. Fusionstriebwerke? Proxima Centauri? Wie realistisch ist das? Dazu muss man wissen, dass Cixin Liu als Ingenieur in einem Kraftwerk arbeitete, bevor er sein Hobby zum Beruf machte. Das Interesse zur Welttraumerforschung enthält daher nicht nur utopische Gedanken. Der Splitter-Verlag hat am Ende ein Verzeichnis mit „Anmerkungen“ abgedruckt, das uns „Proxima Centauri“ (was als der der Sonne nächstgelegene Stern bekannt ist) und andere Fachbegriffe erläutert. Leider ist hier ein Kritikpunkt zu finden, da die „Anmerkungen“ bereits ab Seite sechs des Comics nötig werden, man aber beim Aufschlagen der am Ende abgedruckten „Anmerkungen“ direkt auf der gegenüberliegenden Seite das Ende des Comics erblickt. Diese Druckvariante ist sehr ungünstig gewählt worden, da man so während des Lesens besser ganz auf die Verweise verzichtet, um nicht den Spoiler auf das Ende zu erhalten. Hoffentlich wird da bei den nächsten Comic-Bänden drauf geachtet und zum Beispiel ein Variant-Cover dazwischen gedruckt. Denn ansonsten ist die Geschichte trefflich umgesetzt worden.
Trotz des bedrohlichen Zustands der Sonne, der Erde und damit der gesamten Menschheit, zeichnet dieser Comic eine Hoffnung. Liu fragt, ob man gemeinsam den Lauf der Zeit ändern kann und ob die Menschheit ihren technischen Fortschritt nutzen kann, um weiter zu existieren. Vereint diese Kraft die Menschen in Lius Geschichte und ist der Glaube, mit der Erde zu wandern, statt sich von ihr zu lösen und etwa andere Planeten zu bewohnen zu Beginn stark ausgeprägt, so nimmt dieser zunehmend ab. Mit der Zeit beginnen die Zweifel zu nagen. Diese Entwicklung ist neben den Zeichnungen, die uns verdeutlichen, welch „kleiner“ Punkt die Erde vom Weltall ist, für die Leserinnen und Leser am Interessantesten. Welche Tragweite jedoch eine Abkehr vom Kurs und damit ein „Aufstand“ hätte, darüber sind sich nicht alle im Comic bewusst. So blicken wir – aus der Distanz – abwechselnd in hoffende und zweifelnde Gesichter.
Das intensive Blau der Kolorierung verschafft dem ganzen Comic eine recht kühle, distanzierte Atmosphäre, was zum einen den Gegensatz zur dann und wann auftauchenden glühenden Sonne perfekt hervorhebt und uns zum anderen das Gefühl vermittelt, dass das (menschliche) Leben im gigantischen Weltall eine Ausnahme ist.
In „Die Wandernde Erde“ steckt neben der Science-Fiction auch eine Liebesgeschichte, die wir vom ersten Kennenlernen bis zur Geburt des gemeinsamen Sohnes begleiten. Sie verstärkt das Leseerlebnis – steht sie inmitten einer ungewissen Zukunft, in der die Erde jeden Augenblick zu verbrennen droht. Glück und Trauer wechseln sich auch hier ständig ab und lassen die eigenen Gedanken rotieren.
Leseprobe
Fazit: Der Auftakt ist sehr gelungen. Mit „Die Wandernde Erde“ hat man eine Kurzgeschichte gewählt, die sich traut, die „großen“ Fragen zu stellen. Die Zeichnungen, die Farben und die gesamte Aufmachung des Comics sind hochwertig und überzeugen, mit Ausnahme des unglücklich platzierten Anhangs mit den „Anmerkungen“. Dieses Werk in der Comic-Adaption von Cixin Liu weckt das Interesse, sich mit Technik und Wissenschaft zu beschäftigen und zeigt einmal mehr, dass die Zukunft der Menschheit voller Ungewissheiten steckt. Bewegend!
Cixin Liu: Die Wandernde Erde
Comic
Cixin Liu
Splitter Verlag 2021
ISBN: 978-3-96792-067-3
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00
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