Kemet – Blut und Sand

Wisst ihr, was in der Regel passiert, wenn zu vielen Göttern langweilig ist? Sie schicken ihre Kunststoffkrieger aus und hauen sich gegenseitig auf die Mütze. Zumindest ist das bei „Kemet – Blut und Sand“ so. Lasst uns also in die Rollen von Horus, Anubis und Co. schlüpfen und sehen, wer am Schluss im Nildelta Ägyptens das Sagen hat.

von Oli Clemens

Kritik


In dieser neuen, überarbeiteten Ausgabe des Strategieklassikers „Kemet“ schlüpfen wir wieder in die Rollen ägyptischer Götter und wollen mit unseren Truppen die Herrschaft über das Land an uns reißen. Dabei gliedern sich die Spielphasen abwechselnd in Tag- und Nachtaktionen. Am Tag aktiviere ich auf der Aktionspyramide meines Spielertableaus meine Truppen, kämpfe gegen andere und baue meine Pyramiden aus. Nachts verwalte ich meinen bisherigen Erfolg. Wer zum Schluss den meisten Ruhm gehamstert hat, gewinnt die Partie.

Bevor es losgehen kann, muss ein bisschen gearbeitet werden. Am besten schafft man schon mal alles vom Tisch, was stören könnte, denn wir brauchen viel Platz. Mittig platziert ihr den Spielplan. Je nach Personenanzahl müssen Teile abgedeckt werden, weil er sonst zu weitläufig wäre. Jedem Spieler drückt man eine achtseitige Extra-Anleitung in die Hand, die im Umfang an ein Werbeprospekt eines Supermarkts erinnert. Mit dieser wird man im Spiel viel Zeit verbringen, so viel sei jetzt schon gesagt. Zudem erhalten alle unter anderem ein persönliches Spieltableau mit der Illustration der eigenen Gottheit in der gewählten Spielfarbe, zwölf Soldaten-Miniaturen, eine Auswahl von Markern sowie Kampfkarten und Göttliche Interventionskarten. Das ist schon alles sehr kleinteilig, wird aber noch getoppt von einer Auswahl an Pyramidenteilen mit verschiedenen Spitzen in unterschiedlichen Farben. Zu Beginn sieht der eigene Spielbereich schon ein bisschen wie ein Spielmaterial-Ersatzteillager aus. Schnell aber kommt Ordnung in das Chaos, denn ein großer Teil des Materials wandert auf das zentrale Spielbrett zwischen den Spielern.



Jeder schnappt sich eine Stadt und baut diese zur Festung mit seinen Truppen und Pyramiden aus. Das Einstellen der Soldaten ist einfach, denn die werden immer in Trupps zu fünf Einheiten gruppiert. Bei den Pyramiden wird es schon schwieriger, denn ich kann jetzt schon eine möglicherweise spielprägende Taktik-Entscheidung fällen. Jede Pyramide wird nämlich durch eine farbige Spitze markiert. Vier unterschiedliche Farben mit vier unterschiedlichen Effektschwerpunkten gibt es, aber nur drei Pyramidenbauplätze stehen uns zu Verfügung. Eine rote Pyramide wird mir im Spiel Zugriff auf Fähigkeiten geben, die meine Angriffe verbessern. Blau bietet mir Boni für die Verteidigung. Weiß wird Einfluss haben auf mein finanzielles Mikromanagement und eine schwarze Pyramide vermischt die Effekte der drei anderen Farben sogar zu sehr einzigartigen Vorteilen.

Auch wenn alle zu Spielbeginn genau das gleiche Material und die gleichen Ausgangssituationen haben, wird die Wahl der Pyramidenfarbe jetzt eine starke Asymmetrie in das Spiel einbringen. Denn entsprechend der gewählten Farben und der Ausbaustufe der Pyramiden in der eigenen Stadt, wählt man jetzt schon Machtplättchen aus, die man vor sich ablegt. Diese individualisieren ab sofort die eigenen Handlungsmöglichkeiten.



Diese Machtplättchen warten farbig sortiert in vier separaten Trays darauf, ausgewählt zu werden. Und dafür braucht man auch die Extra-Anleitung, denn in ihr ist genau beschrieben, welches Plättchen welche Fertigkeit freischaltet. Für Leute, die „Kemet – Blut und Sand“ zum ersten Mal spielen, kann das eine Grenzerfahrung werden, denn ich muss mich entscheiden, habe aber gar keine Ahnung, wofür. Deswegen ist mein Vorschlag an Neulinge: „Versuch macht kluch!“ Betrachtet die erste Partie auf jeden Fall als Lernpartie, um die Vielfältigkeit der Machtplättchen kennenzulernen. Gewinnen werdet ihr gegen einen „Kemet“-Veteranen, der die Wirkungsweise der Plättchen schon kennt, wahrscheinlich eh nicht. Seid ihr jedoch ehrgeizig und wittert eure Chance, weil ihr immer um den Sieg spielt? Dann müsst ihr euch während der Aktionen der anderen stillschweigend in eure Anleitung vertiefen, verpasst möglicherweise das Spiel und beschert den anderen jede Menge Downtime. Letztlich führen aber die richtige Auswahl und die effektive Kombination von Machtplättchen auf den entscheidenden Weg zum Sieg.

Sind die Vorbereitungen abgeschlossen, geht „Kemet“ über mehrere Runden, in denen die Spieler nacheinander Marker auf dem persönlichen Spieltableau einsetzen, dadurch Aktion auswählen und diese abhandeln. Das Spiel bezeichnet dies als Tagphase. So kann ich durch Beten meine Gebetspunkte aufbessern. Das ist quasi eine Währung, mit der ich andere Aktionen bezahlen muss. Wir sind eben Götter – bezahlen wir eben mit Gebetspunkten. Außerdem kann mit dieser „Währung“ neue Truppen rekrutieren, meine Pyramiden verbessern, neue Machtplättchen kaufen – alles kostet Gebetspunkte. Ich kann aber auch meine Truppen, die seit Spielbeginn in der Stadt herumlungern, endlich auf dem Spielplan bewegen. Dieser ist in Zonen eingeteilt, die durch weiß hervorgehobene Trennlinien erkennbar sind. Ich kann meine Truppen laufen lassen, aber auch über Häfen transportieren oder mich zu Obelisken teleportieren. Auch wenn es zu Beginn so aussieht, als wäre die eigene Stadt weit weg von den Armeen der anderen, so sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass die Wege letztendlich doch kurz sind.



Beim Bewegen auf der Karte stellen die Städte anderer Spieler und die zu Beginn neutralen Tempel, die verstreut im Wüstensand liegen, die strategischen Ziele für meine Truppen dar. Erobere ich diese heiligen Stätten und halte sie in meinem Besitz, wenn eine Tagphase zu Ende geht, schütten diese zusätzliche Gebetspunkte aus. Außerdem bekomme ich dafür einen Ruhmpunkt, also Siegpunkt. Diese werden für alle Spieler auf einer separaten Übersicht mit Markern festgehalten. Wechselt der Tempel durch den Kampf aber den Besitzer, wechselt dieser Siegpunkt gleich mit.

Zum Kampf kommt es immer dann, wenn zwei Armeen in einer Zone aufeinander treffen. Dann arbeiten die beiden involvierten Spieler nacheinander acht Schritte ab, um zu entscheiden, wer sich mit einer blutigen Nase verziehen muss, und wer als Platzhirsch in dieser Zone bleibt und mit einem Ruhmpunkt belohnt wird.
Zentral dabei sind die acht Kampfkarten, die man zu Spielbeginn bekommen hat. Diese zeigen unterschiedliche Symbole mit unterschiedlichen Stärken. Auf ihnen können Schwerter sein, welche die eigene Kampfkraft stärken. Rote Bluttropfen geben an, wie viele der anderen Truppen sterben werden. Dagegen kann man sich aber wieder durch die blauen Schildsymbole schützen. Sind schwarze Tropfen darauf, muss ich sogar eigene Truppen opfern. In jedem Kampf muss eine Kampfkarte für den Konflikt ausgespielt und eine weggelegt werden. Um noch ein bisschen unplanbare Würze in die Situation einzubringen, muss jede Konfliktpartei noch Göttliche Interventionskarten dazu ausspielen, um den Ausgang mit zusätzlichen Schwertern, Schilden oder Tropfen zu beeinflussen. Natürlich lohnt sich auch hier ein Blick auf die Spielhilfe, wenn Unklarheiten bestehen. Insgesamt ist die Symbolsprache von „Kemet – Blut und Sand“ aber sehr klar und ist schnell verstanden.



Nach dem Aufdecken im Kampf eingesetzter Karten werden die Symbole abgeglichen und die finale Kampfstärke bestimmt. Als Sieger bekomme ich einen Ruhmpunkt, der mir bis zum Ende bleibt, der Verlierer muss sich zurückziehen, bekommt aber als Trostpreis einen Skarabäus-Marker, den er später in der Nachtphase eintauschen kann.

Haben alle Spieler ihre fünf Aktionen ausgespielt, endet die aktuelle Tagphase. In der Nachtphase wird jetzt ein bisschen Mikromanagement betrieben, um die Gebetspunkte aufzufrischen. Dann werden die Aktionsmarker für das persönliche Spieltableau wieder für die nächste Runde bereit gemacht. Die Spielerreihenfolge des nächsten Tages orientiert sich an der aktuellen Siegpunktsituation. Es wird solange gespielt, bis jemand 9 Ruhmpunkte erarbeitet hat. Dann wird das Spielende ausgelöst. Wer ganz zu Schluss die meisten Siegpunkte hat, gewinnt.
„Kemet – Blut und Sand“ ist ein Strategie-Expertenspiel für Area-Control-Liebhaber, die bei einer direkten Konfrontation gerne ein Lächeln in Gesicht tragen.

Das Grundspiel in Vollbesetzung zu fünft kann am Anfang gerne bis zu drei Stunden dauern. Weil das Spiel aber eine steile Lernkurve hat, nimmt die Spielzeit in den folgenden Partien eher ab. Zwei Stunden sollte man aber schon einplanen. Durch die Erweiterung „Kemet: Buch der Toten“ kann sogar noch eine sechste Person in das Wüstengemetzel eingreifen. Außerdem kommen noch mehr Machtplättchen ins Spiel.



Auf die Verfügbarkeit dieser Machtplättchen muss man immer ein Auge haben. Am besten liegen die Trays so, dass alle einsehen können, was noch da ist und was sich die anderen schon unter den Nagel gerissen haben. Sonst baut man sich möglicherweise eine Taktik auf, die dann ins Leere läuft. Das ist insbesondere bei Partien in Vollbesetzung mit Anfängern eine Herausforderung, weil man doch sehr viel Zeit mit dem Lesen der Spielhilfe verbringt und somit Gefahr läuft, Dynamiken auf dem Spielbrett oder bei den Machtplättchen zu verpassen.
In seiner Summe liefert „Kemet – Blut und Sand“ unglaublich viel hochwertiges Material. Das alles steckt in einer wirklich großen Box mit Inlay. Das ist echt gelungen, denn alles findet seinen Platz. Aber das ist auch wichtig, denn es ist schon sehr viel kleinteiliges Material am Start. Ein besonderer Blick fällt beim Öffnen der Spielschachtel immer auf die sandgelben Miniaturen, wie etwa die Priestermumie, die Greifen-Sphinx oder die Wüstenschlange. Diese super thematischen Abscheulichkeiten kommen aber erst durch das Erreichen von Pyramiden-Ausbaustufen ins Spiel.

Das Regelheft ist klar gegliedert und sehr übersichtlich. Die Regeln sind leicht nachvollziehbar, obwohl die Anleitung für meinen Geschmack ein bisschen textlich überfrachtet ist. Gut, dass anschauliche Beispiele den Fließtext immer wieder unterbrechen. Die fünf Spielhilfen mit den Beschreibungen der Kraftplättchen erschlagen Neueinsteiger anfänglich, aber man freundet sich schnell damit an.

Fazit: Die Neuauflage von „Kemet“ ist ein optischer Leckerbissen für Strategiefans. Wer sich in diesem Expertenspiel ein paar Partien Zeit gönnt, das Spiel kennenlernen zu wollen und nicht gleich auf Sieg geht, wird mit einer sehr steilen Lernkurve belohnt. Auch wenn der Ablauf der Kämpfe durch die Anzahl der Truppen und das Ausspielen der Kampfkarten recht berechenbar scheint, so kann doch der eine oder andere Bluff oder die geschickte Verwendung der Göttlichen Intervention für so manche Überraschung sorgen. Wer noch mehr Wiederspielwert will, greift auch gleich bei der Erweiterung „Kemet: Buch der Toten“ zu. Dann werden die Schlachten noch epischer.

Kemet – Blut und Sand

Brettspiel für 2 bis 5 Spieler
Arnaud Boudoiron, Pierre Santamaria
Frosted Games/Pegasus Spiele 2021
EAN: 4250231727894
Sprache: Deutsch
Preis: ca. EUR 85,00

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