von Simon Ofenloch
Anfang der 1930er Jahre: Colin und Alwyne Hargreaves befinden sich mit Tochter Pamela und Tante Marilyn auf Reisen im Salzburger Lungau in Österreich, als ihr Automobil in einem Schneesturm steckenbleibt. Ein Mann mit einem Pferdeschlitten bietet ihnen an, sie zum nahegelegenen Schloss Moosham zu bringen, wo sie über Nacht unterkommen können. Die Engländer ahnen zunächst nicht, welches finstere Geheimnis das befestigte Bauwerk umgibt, in dem sich der als „Schörgen-Toni“ bekannt gewordene, grausame Gerichtsdiener Anton Heilmayr, auch: Heilmayer oder Heilmeier, der mit Hexenprozessen betraut war, einst mit dem Teufel verbündete und einiges Unheimliche mehr lange nachwirkende Spuren hinterlassen hat.
Die Vorlage zu diesem Hörspiel soll eine Erzählung von Per McGraup sein. Richtiger ist, dass der Geschichte österreichische Regionallegenden und eine frühere Hörspielfassung im Rahmen der berühmten „H. G. Francis“-Gruselserie von Europa, der Klassiker „Der Pakt mit dem Teufel“ von 1982, zugrunde liegen. Und dass sich hinter dem aus einem Anagramm gebildeten Pseudonym Per McGraup niemand anderes verbirgt als der 1974 (!) geborene Marc Gruppe, Gründer und Geschäftsführer von Titania Medien. Als erklärter Fan des früheren Hörspiels hat Marc Gruppe zusammen mit Kompagnon Stephan Bosenius ein interessantes Reverenzwerk realisiert, das gleichzeitig die Reihe der neuen Abenteuer um das Paar Colin und Alwyne Hargreaves fortsetzt.
Diese Figuren gehen zurück auf den irischen Autor Allen Upward und seine Erzählung „The Haunted Woman“, die der 83. Gruselkabinett-Vertonung „Heimgesucht“ zur Vorlage diente. Mit dem übersinnlichen Ermittler-Duo aus Colin Hargreaves und Alwyne Hargreaves, geborene Sargent, einer spät-viktorianischen Paarung à la Fox Mulder & Dana Scully („Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“), hat Marc Gruppe als Per McGraup bereits zwei andere eigene Geschichten erdacht, die in den Hörspielen „Gruselkabinett 89: Heimgekehrt“ und „Gruselkabinett 109: Heimweh“ zum Einsatz kamen. Mit diesen wurde das ursprüngliche Personal erweitert, um Tochter Pamela und Tante Marilyn.
Diese sind nun auch in der 147. Folge der „Gruselkabinett“-Reihe, „Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni“, wieder mit von der Partie. Wobei Pamela die Rolle zufällt, die Handlung wesentlich voranzutreiben, und Tante Marilyn vielmehr dazu dient, die unheimlichen Geschehnisse durch innerfamiliäre Reibereien und Wortgefechte immer wieder etwas aufzulockern. Das mag manch einer als unpassend oder gar nervig empfinden, es dient aber auch einer effektvollen Dynamisierung der Handlung. Die ursprüngliche Volkssage um den „Schörgen-Toni“ und andere „Mooshamer Legenden“, wie sie auch auf der Homepage von Schloss Moosham im Salzburger Lungau dokumentiert sind, sind originell in die Abenteuer der Hargreaves eingebunden und raffiniert im Hörspiel wiedergegeben. Hier wollte Marc Gruppe offensichtlich vieles unter einen Hut bringen. Diese großangelegte Quadratur des Kreises hätte es vielleicht nicht gebraucht. Ist sie aber das erklärte Ziel, so macht man es am besten wie hier vorliegend. „Mission accomplished“.
Über fünfzehn Sprecher sind zu hören, darunter auch Marc Gruppe selbst. Und viele andere Bekannte wie Stephanie Kellner und Benedikt Weber, Clara Fischer und Ursula Sieg, Jean Paul Baeck, Daniela Bette, Michael-Che Koch, Jacques Breuer, Matthias Lühn, Bert Stevens, Thomas Balou Martin, Lutz Reichert, Sigrid Burkholder, Bodo Primus, sowie Dagmar von Kurmin und Horst Naumann. Stephanie Kellner und Benedikt Weber funktionieren ein ums andere Mal ganz hervorragend als Hargreaves-Duo, indem sie sich gekonnt gegenseitig die Bälle zuspielen.
An der Umsetzung mit Musik und Geräuschen gibt es nichts zu bemängeln, wie so oft bei den Arbeiten von Titania Medien. Und auch die grafische Gestaltung des Covers durch den versierten Ertugrul Edirne ist wieder von hoher Güte, sowohl in der Motivwahl wie auch in der Zeichenqualität. Offenbar sollen kühle Blautöne eine Einheit herstellen zwischen den Abenteuern der Hargreaves, wie auch große Köpfe im Bildhintergrund. Die hoch aufragende Burg rechts im Bild orientiert sich erkennbar an einer Aufnahme der echten Burg Moosham, die auch schon Kulisse für so manchen Spielfilm war, für Märchenverfilmungen ebenso wie für die Goethe-Verfilmung „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ (1979) von Wolfgang Liebeneiner oder den Trashfilm „Hexen bis aufs Blut gequält“ (1970) und den Erotikfilm „Komm nur, mein liebstes Vögelein...“ (1968) von Rolf Thiele.
Fazit: Ein bisschen was von beinahe allem: alte Volkslegenden, verwunschenes Schloss, Hexen, Teufel, Wölfe, Grusel/Horror und Humor/Comedy, dazu ein Wiedersehen mit den mittlerweile zu Serienfiguren gewordenen Hargreaves aus vorigen „Gruselkabinett“-Stücken. Diese Rechnung geht schon auf, in einem kurzweiligen Hörspiel-Potpourri, atmosphärisch überzeugend, mit passenden Sprechern und genialer Musik- und Geräuschkulisse.
Gruselkabinett 147: Die Höllenfahrt des Schörgen-Toni
Hörspiel nach der gleichnamigen Erzählung von Per McGraup
Marc Gruppe
Titania Medien 2019
ISBN: 978-3-7857-5947-9
1 CD, ca. 67 min., deutsch
Preis: EUR 8,95
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Links:
Sagen rund um das Schloss Moosham
Foto Schloss Moosham
Filmkulisse Schloss Moosham