von Frank Stein
London, in den 1880ern. Paul Forsythe, der Erzähler dieser Geschichte, sitzt vor den Scherben seines Lebens. Zwei Fehler sind der Grund dafür. Den ersten beging er vor Jahren. Damals arbeitete er für den Archäologen Professor Niles. Dieser erforscht zu jener Zeit die Cheops-Pyramide in Ägypten. Dabei ist er so versessen auf Erkenntnisse, dass er alles um sich herum vergisst – bis Forsythe schließlich, ohnehin körperlich nicht auf der Höhe, bei einem Trip in die große Pyramide fast zusammenbricht. Die Männer schicken ihren Führer los, um einen zweiten zu holen, damit Forsythe ins Freie gebracht werden kann, während Niles weiterarbeitet. Forsythe schläft ein, und als er erwacht, ist Niles weg. Er sucht und findet ihn, doch dann verirren sich beide „Im Labyrinth der großen Pyramide“. Und aus der Not begehen sie einen Frevel, der ihnen einen klassischen „Mumienfluch“ einhandelt.
Den zweiten Fehler macht Forsythe, als er ein Andenken an diese Expedition mit in die Heimat nach London nimmt, statt es sofort zu vernichten. So findet seine junge zukünftige Braut das Kästchen mit seltsamen Samenkapseln. Und neugierig, wie sie ist, will sie schauen, was daraus erwächst. Nichts Gutes, wie man sich wohl denken kann, wenn man die Umstände berücksichtigt …
Das Hörspiel basiert auf einer Gruselgeschichte der US-amerikanischen Schriftstellerin Louisa May Alcott (1832-1888), die vor allem durch ihre Jugendbuch-Tetralogie „Little Women“ berühmt wurde, aber auch eine Reihe Schauermären verfasste, teilweise unter dem Pseudonym A. M. Barnard. „Lost in a Pyramid, or the Mummy's Curse“ stammt dabei aus dem Jahr 1869 und gilt als ein früher Vertreter des „Mumienfluch“-Themas. Soweit ich das vergleichen konnte, hält sich das Hörspiel einmal mehr sehr dicht an die Vorlage, wobei die Gruselstimmung durch die Effekte, die Musik und die Sprecher*innen (vor allem hier Pascal Breuer, Fabienne Hesse und Horst Naumann) so gut transportiert wird, dass ich sie als intensiver als in der Kurzgeschichte empfunden habe. Von der Produktionsseite her hat Titania Medien in meinen Augen (oder vielmehr Ohren) alles richtig gemacht. Insbesondere die Atmosphäre in der Pyramide entsteht geradezu bildlich im eigenen Kopf.
In der Regel finde ich, dass Erzähler eine Distanz zum schauerlichen Geschehen aufbauen – und hier gibt es sogar teilweise eine doppelte Erinnerung. Forsythe erinnert sich daran, wie er seiner zukünftigen Braut die Geschichte erzählt, wie er einst in der Pyramide verlorenging. Glücklicherweise wird seine Erzählstimme nur dezent eingesetzt, sodass man nach zwei bis drei Sätzen dann direkt ins vergangene Geschehen eintaucht und dort auch im Wesentlichen bleibt. Insofern ist der Erzähler hier kein Hindernis für die Stimmung, ein echter Pluspunkt.
Was mich etwas gestört hat, ist die zweigeteilte Struktur der Geschichte. Die Geschehnisse innerhalb der Pyramide sind so spannend inszeniert, dass man gern noch länger vor Ort verweilt wäre, zumal mehr als ein Mysterium innerhalb des Bauwerks angedeutet wird. Stattdessen springt die Handlung dann zurück nach London in die Zeit rund um die Hochzeit zwischen Forsythe und seiner Angebeteten Evelyn. Hier geht der Schauer etwas verloren und wandelt sich zu unaufhaltsamer Tragik. Das ist nicht schlecht gemacht, fällt aber dennoch im Vergleich zur Spannung bei der Ägypten-Expedition ab. Zumindest fühlte es sich für mich so an, aber ich bin auch ein bekennender Fan von solchen Schauer-Abenteuergeschichten. Dem Hörspiel kann man das jedoch nicht vorwerfen, diese Teilung hat die Vorlage vorgegeben.
Das Cover zeigt stimmungsvoll eine Pulp-Hohepriesterin in ägyptischem Setting, gemalt einmal mehr von Ertugrul Edirne. Inhaltlich passt das durchaus, wenngleich es etwas mehr Abenteuer verspricht, als das Hörspiel am Ende bietet.
Fazit: „Gruselkabinett 148: Im Labyrinth der großen Pyramide“ gehört auf jeden Fall zu den stärkeren Folgen der lang laufenden Hörspiel-Reihe. Vor allem die Atmosphäre in Ägypten-Teil sorgt für Spannung und erzeugt ordentlich Kopfkino. Der zweite Teil mit seiner unausweichlichen Tragik hat seine eigene Stärke, ist aber etwas vorhersehbar und auch – der Vorlage geschuldet – etwas plötzlich zu Ende. Hier hätte ich mir noch mehr aktives Handeln des Protagonisten gewünscht (eine Kritik, die sich natürlich primär an die ursprüngliche Autorin richtet, nicht an Titania Medien, deren Adaption die Vorlage in meinen Augen übertrifft).
Gruselkabinett 148: Im Labyrinth der großen Pyramide
Hörspiel nach einer Erzählung von Louisa May Alcott
Marc Gruppe
Titania Medien 2019
ISBN: 978-3-7857-5948-6
1 CD, ca. 54 Minuten, deutsch
Preis: 8,99 EUR
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