Merchants Cove

Eine Bucht, in der umtriebige Händler und Händlerinnen ihre Waren feilbieten. Ein fantasievoller Ort, an dem sich Krieger, Barden, Zauberer und Adlige in ihren Gildenhäusern versammeln, um ausgelassen die Ankunft in „Merchants Cove“ zu feiern. Wer von euch kann am schnellsten auf die Wünsche der Kaufinteressenten eingehen, die Waren produzieren und sie gewinnbringend veräußern? Wärst du lieber einmal eine Alchemistin, ein Schmied, ein Zeitreisender oder eine Kapitänin? Auf dem Marktplatz wird das Spiel entschieden!

von Daniel Pabst

Kennt noch jemand die folgende Situation: Man hat sich zu einem Brettspielabend verabredet. Aber kaum sitzt man gesellig beisammen, fängt das große Rätselraten und zeitraubende Diskutieren an, welches Spiel heute dran sein soll. Die eine würfelt gerne, der andere hat eine Vorliebe für Spiele, in denen man kombiniert, manch eine legt großen Wert auf das Aussehen und die Haptik des Spiels, und wieder andere setzten gehörig auf das Glück. Sollte dir diese oder so eine ähnliche Situation bekannt vorkommen, dann ist das Brettspiel „Merchants Cove“ von Pegasus Spiele vielleicht genau das Richtige für dich. Warum? Die Antwort gibt es in dieser Rezension:

„Merchants Cove“ ist ein Brettspiel von Carl Van Ostrand, Jonathan „Johnny Pac“ Cantin und Drake Villareal. Die deutsche Ausgabe ist im Jahre 2022 bei Pegasus Spiele erschienen. Die Illustration des Spiels stammt von Mihajlo „The Mico“ Dimitrievski und Bojan Drango. Das bunte Cover des Spielkartons mit all seinen kleinen und großen Charakteren, den goldenen Statuen, Drachen, sonderbaren Kreaturen, Häusern, Marktständen und dem türkisfarbenen Wasser lässt eintauchen in das titelgebende Thema von „Merchants Cove“ (auf Deutsch: „Bucht der Händler“). Öffnet man den wuchtigen Karton, erwarten einen allerhand Spielmaterialien. Zum einen gibt es als allgemeines Spielmaterial: 1 Hauptspielplan, 1 Abenteurerbeutel, 52 Abenteurerfiguren aus Holz (rote Krieger, grüne Barden, blaue Zauberer, gelbe Adlige und graue Schurken), 6 Boote, 12 rote Edelsteine (aus Kunststoff), 5 Banner, 5 Aufsteller, 5 Goldmarker, 5 Zeitmarker, 36 Städterkarten (Bürger, Söldner und Matrosen), 3 Schurkenkarten, 4 Händlerkarten, 60 Korruptionskarten, 2 Mausmarker, 1 Marktphasenmarker, und 2 Abenteurermarker. Zum anderen gibt es für jeden der vier Händlerinnen und Händler, die ihr spielen könnt – die Alchemistin, den Schmied, den Zeitreisenden oder die Kapitänin – eigenes Spielmaterial.



Die Alchemistin hat als Spielmaterial: 1 Alchemistin-Spielfigur, 1 Alchemistin-Ladenspielplan, 1 Alchemistin-Mitarbeiterleiste, 1 Alchemistin-Verkaufsregal, 1 Dekanter, 1 Zutatenbeutel, 26 Zutatenkugeln, 4 Götterblutextrakte, 20 Alchemistin-Waren und 20 Aufsteller. Der Schmied hat: 1 Schmied-Spielfigur, 1 Schmied-Ladenspielplan, 1 Schmied-Mitarbeiterleiste, 1 Schmied-Verkaufsregal, 12 Würfel, 20 Schmied-Waren und 20 Aufsteller. Der Zeitreisende hat: 1 Zeitreisender-Spielfigur, 1 Assistent-Spielfigur, 1 Zeitreisender-Ladenspielplan, 1 Zeitreisender-Mitarbeiterleiste, 1 Zeitreisender-Verkaufsregal, 4 Stundenplättchen, 10 Portalfragmente, 20 Zeitreisender-Waren und 20 Aufsteller. Und die Kapitänin hat: 1 Kapitänin-Spielfigur, 1 Kapitänin-Ladenspielplan, 1 Kapitänin-Mitarbeiterleiste, 1 Kapitänin-Verkaufsregal, 1 Kompass, 4 Schiffsminiaturen, 7 Verfluchte Münzen, 24 Kapitänin-Waren. Zusätzlich enthalten – für das Solospiele – ist der Hausierer mit seinem Spielmaterial: 1 Hausiererplan und 20 Hausiererkarten.



„Merchants Cove“ ist ein gewissermaßen asymmetrisches Brettspiel. Das bedeutet, dass euch statt einer Anleitung gleich mal sechs (!) Anleitungen erwarten. Aber keine Angst: Es müssen nicht alle zu Beginn gelesen werden. Eine Anleitung ist nämlich für den Solo-Modus gedacht, eine weitere Anleitung ist die allgemeine 12-seitige Anleitung mit großen Illustrationen (die sich für alle zu lesen lohnt), und dann bedarf es nur des Lesens einer eigenen Anleitung von 3 Seiten – je nachdem, welchen Händler man spielen möchte. In diesem Brettspiel haben alle einen eigenen Spielplan, eigene Ressourcen und einen individuellen Spielmechanismus. Kurz zusammengefasst, werdet ihr als Schmied Würfel werfen, drehen und platzieren. Als Alchemistin versucht ihr, möglichst lange Ketten von passenden Farbkugeln zu erhalten. Als Zeitreisender werdet ihr – unterstützt durch einen kleinen Assistenten – Relikte zwischen den Zeitsprüngen sammeln. Und als Kapitänin verfügt ihr über eine Schiffsflotte, die ihr von der Drachenbucht entsendet, um Meerestiere zu angeln und euch mit Piratenschätzen von fernen Inseln einzudecken. So weit, so einfach.

Bevor es dann richtig losgeht, bedarf es kleinerer Spielvorbereitungen. So müssen etwa die 3D-Schiffe aus Pappe gefaltet und zusammengesteckt werden. Gleiches gilt für die Marktstände der vier Händler, sowie den Dekanter der Alchemistin. Das gelingt am Besten, wenn die herausgestanzte Pappe an den Linien vorgefaltet wird, da ansonsten unschöne Risse im angeklebten Papier entstehen. Selbst beim sorgfältigen Zusammenbasteln kann schon einmal der Einsatz von Kleber nötig werden, was ärgerlich ist. Das übrige Spielmaterial aber ist von guter Qualität. Das macht sich besonders bei den Abenteurerfiguren aus Holz bemerkbar, die bedruckt wurden. Auch die Murmeln, die Würfel und die Händlerspielfiguren sind hochwertig. Der Spielplan, der mit dem Cover bedruckt wurde, nimmt ordentlich Fläche ein, und der Platz, den man zum Spielen benötigt, wird durch die vier individuellen Spielunterlagen der Händler vergrößert. Auch die beiden Stoffsäckchen hinterlassen einen guten Eindruck. So wird durch das Material immer wieder das Thema der Händlerbucht transportiert und auch die Illustrationen – hervorzuheben ist die Illustration des Spielplans – unterstützen diese Atmosphäre sehr. Nebenbei sind die Vertiefungen in den Spielplänen der vier Händler, in die die passenden Materialien hineingelegt werden (sogenannte: „Dual-Layer-Boards“ oder „Double-Layer-Boards“), gelungen für das Spielerlebnis.



Für alle, die mitspielen wollen, lautet das Spielziel: Es müssen Waren produziert werden, um sie auf dem Markt an die Abenteurer zu verkaufen. Insgesamt gibt es drei Marktphasen, und die Abenteurer, die bei euch einkaufen, gehören unterschiedlichen Gilden an, welche euch am Ende des Spiels zusätzliche Bonuspunkte geben können. Neben den Gildenhäusern der Krieger, Barden, Zauberer und Adligen gibt es die Schurken. Diese können mit einer Spezialfähigkeit ausgestattet sein, wie etwa andere Abenteurer zwischen den Booten zu versetzen, bevor ein Boot in der Bucht anlegt. Je mehr Abenteurer einer Art an einem Steg stehen, desto höher die Nachfrage. Und wie jeder weiß: Ist die Nachfrage größer als das Angebot, steigt der Preis. In „Merchants Cove“ gilt es somit stets, die richtigen Waren (Farbe und Größe) auf Vorrat zu haben, um von der variierenden Nachfrage zu profitieren. Zusätzlich können die Händler auch beeinflussen, wo welche Abenteurer ankommen. Die Interaktionsmöglichkeiten mit den anderen Händlern ist dabei sehr gering. Man kann lediglich den Mitspielenden zuvorkommen, wenn es heißt, „Mitarbeiter“ aus der Auslage „anzuheuern“, um mit ihnen das eigene Handwerk florieren zu lassen. Ist ein Markttag vorüber und sind die Gelder eingesammelt worden (dargestellt durch einen eigenen Marker auf der „Kramerleiste“ auf dem Spielplan), wird aufgeräumt und die Händler ziehen sich zurück, um beim nächsten Markttag hoffentlich erneut exzellent vorbereitet zu sein.



Die Besonderheit bei „Merchants Cove“ entsteht durch die Unterschiedlichkeit. Die Macher haben sich dabei von unterschiedlichen Spielmechanismen inspirieren lassen, wodurch jede und jeder etwas Bekanntes spielen oder etwas Neues ausprobieren kann! Da wäre als Inspiration und vom Spielgefühl ähnelnd für die Alchemistin: „Potion Explosion“, für den Schmied: „Roll Player“, für den Zeitreisenden: „Mancala“ und für die Kapitänin mit dem Kompass als Glücksrad: „Spiel des Lebens“. Die Schiffe, die die Abenteurer zur Bucht bringen, kommen der ein oder dem anderen zudem bekannt vor, von Spielen wie „Aufbruch zum Roten Planeten“” oder „Imhotep“, wo man versucht, dass nur die Kombinationen „ankommen“, die den persönlichen Vorteil bieten. Und auch bei einem der Händler lag erkennbar eine Inspiration – diesmal aus der Filmgeschichte – vor: Die Spielfiguren des Zeitreisenden und seines jungen Assistenten gleichen Marty McFly und „Doc“ Brown aus Robert Zemeckis „Zurück in die Zukunft“-Trilogie. Bei all diesen Differenzen im Spielmechanismus, fragt sich daher, ob es gelungen ist, dass alle Händler dieses Spiels ähnliche Spielstärke und Spielfreude aufweisen können? Und wie sieht es mit dem Solo-Modus aus? Der Solo-Modus ist leicht gelernt, da man hier statt gegen menschliche Händler und Händlerinnen gegen einen vom Spiel, durch einen Kartenstapel, gesteuerten Hausierer spielt. Auf diesen Karten stehen die von ihm getätigten Aktionen samt Kosten. Der Hausierer kann übrigens auch im Spiel zu zweit eingesetzt werden, damit es in dieser Konstellation unberechenbarer wird.

„Merchants Cove“ ist ein Spiel, das mit jedem der vier Händler Spielfreude bereitet. Kaum hat man eine Partie von knapp zwei Stunden beendet, möchte man einen anderen Händler spielen. Teilweise entsteht trotz der kaum vorhandenen Interaktion mit den Mitspielenden schon während des Spiels das Gefühl, dass man mit dem anderen Spielmechanismus mehr Erfolg gehabt hätte – nur um später festzustellen, dass sich die Händlerin oder der Händler doch nicht so leicht spielen lässt, wie es zuvor vom Zuschauen wirkte. Vom Schwierigkeitsgrad aber ist die Kombination von der Altersangabe „10 Jahre oder älter“ und „Kennerspiel“ zu ungenau. Denn für Kinder ist gerade der Aufbau und das Basteln nicht zu empfehlen, wenn man nachher keine zerrissenen Materialien vor sich stehen haben möchte. Und für echte „Kenner“ ist „Merchants Cove“ dann zu schnell verstanden und bietet zu wenige Interaktionsmöglichkeiten oder neuartige Kombinationen. Dabei verfügen die Händler und Händlerinnen von „Merchants Cove“ jedoch über eine ausgeglichene Spielstärke – wenn man den Spielmechanismus des eigenen Händlers einmal begriffen hat.



Abschließend noch kurz etwas zum Kaufpreis, der sich zum großen Teil durch das sehr bunte und auf dem Tisch wahnsinnig schön anzusehende Spielmaterial begründen lässt. Sehr erfreulich ist das Design der Verpackung, da jeder Händler einen eigenen „Organizer“ erhalten hat und alles (wirklich alles!) wieder seinen Platz im Karton findet, ohne dass etwas rutscht oder knickt. So wünscht man sich das von allen hochwertigen Brettspielen.

Fazit: „Merchants Cove“ ist ein gehobenes Familienspiel und zugleich ein Spielspaß für alle, die sich nicht als „Brettspiel-Kenner“ bezeichnen – und nicht die höchsten Erwartungen mitbringen. Die bunte Welt, in die einen dieses Brettspiel verschlägt, wird durch die Fülle an Spielmaterial und der Asymmetrie der Händlerinnen und Händler in Szene gesetzt. Dabei braucht eure Handwerkskunst stets auch ein glückliches Händchen, da durch Murmeln, Würfel, ein Drehrad und das zufällige Platzieren von Karten und Abenteurern der Erfolg nie garantiert sein wird. Passt das nicht ausgezeichnet zu einer „Bucht der Händler“, bei der Wind und Wetter beeinflussen, welche Schiffe anlegen können und welche Waren gerade produziert werden? „Merchants Cove“ ist daher eine Brettspiel-Perle, die Pegasus Spiele „ans Land gezogen hat“, und jetzt zum Kauf anbietet.  

Merchants Cove
Brettspiel für 1 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Carl Van Ostrand, Jonny Pac, Drake Villareal
Pegasus Spiele 2022
EAN: 4250231731495
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 69,99

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