von André Frenzer
Das Leben ist hart in Nostria – in Andergast natürlich auch, doch das ist eine andere Geschichte. Selbst wer nicht in die ewigen Grenzstreitigkeiten verstrickt wird oder in der magisch-gefährlichen Wildnis der Königreiche hausen muss, hat mitunter ein hartes Los. So auch Jasper Tryhork. Dieser arbeitete als Schreiber am Hofe der Sappenstiels, bis seine Tochter ein Kind von dem jungen Ritter Gero Sappenstiel erwartete. Nicht nur verstieß der Edelmann die junge Frau, nein, sie starb später auch noch bei der Geburt des Kindes. Jasper verlangte Gerechtigkeit bei Hofe, nur um nun auch noch seine Anstellung zu verlieren und aus der Burg gejagt zu werden. Seine verzweifelten Gebete an den Herren Praios erhörte ausgerechnet der Dämon Blakharaz, der Jasper zu einem Seelenpakt überredete und den Ritter Gero tötete. Jasper, von Furcht und Reue übermannt, nahm sein Enkelkind und die Beine in die Hand und folgte einer Vision – dieses Mal tatsächlich vom Herren Praios gesendet – in den nostrischen Wald.
Hier stoßen nun die Helden auf den verzweifelten Wanderer und sein Mündel. Es wird an ihnen liegen, ob Jasper das Ziel seiner Vision – einen verlorenen Schrein des Praios inmitten der nostrischen Wildnis – wird erreichen können. Dabei steht ihnen nicht nur die Wildnis selbst im Weg, sondern auch nostrische Kopfjäger, andergastsche Marodeure und schlussendlich ein Scherge des Blakharaz höchstselbst, um Jaspers Teil des Paktes – seine Seele – einzufordern. Es gibt also reichlich zu tun.
Trotz der komplexen Gemengelage ist „Pfad der Gerechten“ ein recht geradliniges Abenteuer. Zwar bietet Autor Jonathan Lingen einen offenen Bau mit frei platzierbaren „Szenen“ an, allerdings folgen diese doch recht deutlich einem vorgegebenen Spannungsaufbau. Ergänzt werden diese durch optionale und jederzeit einstreubare Wildnisherausforderungen, die jedoch leider über Altbackenes nicht hinauskommen. Das ist per se nichts Schlechtes, allerdings werden gerade die freieren Optionen für die Helden nur sehr stiefmütterlich behandelt. Was geschieht beispielsweise, wenn sie dem Dämonenpaktierer nicht helfen wollen, seine Seele zu retten, oder vielleicht sogar auf das von den Sappenstiels ausgesetzte Kopfgeld aus sind? „Pfad der Gerechten“ richtet sich definitiv an Spielende, die helfen wollen. Bei gerade einmal sechzehn Seiten ist es aber vielleicht auch natürlich, sich auf die wünschenswertesten Optionen zu konzentrieren.
In meinen Augen fast noch negativer als die schlauchförmige Handlung fällt allerdings ins Gewicht, dass mir nicht so ganz klar ist, an welche Spielenden sich das Abenteuer richtet. Die geradlinige Handlung, die vielen im Text verteilten Vorlesetexte und nicht zuletzt die doch recht simplen Wildnisherausforderungen sprechen eher für Einsteiger und unerfahrene Gruppen. Andererseits ist mit dem dämonischen Schergen ein Gegenspieler eingebaut, der von unerfahrenen Helden kaum zu besiegen ist. Zwar bietet der im Finale auftauchende Schrein des Praios einen nicht unerheblichen Vorteil, doch ob dieser von Neueinsteiger erkannt und zu nutzen sein wird? Erfahrene Gruppen wiederum könnten durch die eher niedrigschwelligen weiteren Begegnungen eher unterfordert sein. Hier ist sicherlich noch ein wenig Nacharbeit und Fingerspitzengefühl durch die Spielleitung notwendig, um der eigenen Gruppe den passenden Herausforderungsgrad anzubieten.
Gut gefallen hat mir die generelle Handlung des Szenarios. Jasper Tryhork als „grauer“ Charakter – das eigentliche Opfer in dieser Geschichte und zugleich als Dämonenpaktierer Feindbild der meisten Heldengruppen – stellt die Gruppe vor eine ernsthafte moralische Entscheidung. Und auch das Auffinden eines uralten Praiosschreines inmitten der nostrischen Wildnis ist ein schönes Motiv, welches gerade göttergefällige Helden ansprechen wird.
Optisch erwarten den Leser keine großen Überraschungen. Allerdings ist noch weniger Platz für Illustrationen genutzt worden, als ohnehin in den „Heldenwerken“ übrig. Dafür sind diverse Kästen mit Spielwerten für Holzfäller, Marodeure, Wilderer und Waffenknechte aufgeführt – ob hier nicht generische Spielwerte und dafür mehr Platz für Handlungsoptionen sinnvoller gewesen wären, darüber entscheidet dann wohl die Kampffreudigkeit der Spielgruppe.
Fazit: „Pfad der Gerechten“ bietet ein schönes Motiv und moralische Grauzonen in einem ansonsten recht kurzen, geradlinigen Abenteuer, welches noch ein wenig Nacharbeit für die Spielleitung nötig machen wird.
Pfad der Gerechten (Heldenwerk)
Abenteuerband
Jonathan Lingen
Ulisses Spiele 2025
ISBN: n. a.
16 S., Softcover, deutsch
Preis: 5,95 EUR
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