von Ansgar Imme
Ulisses Spiele hält das Tempo und legt mit dem vierten Teil der „Warhammer Fantasy“-Kampagne „Der Innere Feind“ nach. Und endlich kann man als deutsch lesender Spieler auch den vierten und fünften Teil der Kampagne erleben, da diese bei der letzten, zwanzig Jahre zurückliegenden Veröffentlichung nicht erschienen sind. Allerdings bekommt man (auch im Original) nicht den ursprünglichen vierten Teil „Something Rotten in Kislev“, sondern ein komplett neu geschriebenes Abenteuer. Der ursprüngliche vierte Teil hatte nichts mit der Kampagne zu tun und diente nur dazu, die Abenteurer einige Zeit aus dem Imperium fernzuhalten. Die Kritiken waren damals schlecht, zudem das Abenteuer selbst auch nicht herausragend war.
Mit dem neuen vierten Teil schließen die Autoren um Altautor Graeme Davis sowie die hier über zehn anderen Autoren dagegen direkt an die Handlung von „Die Graue Eminenz“ an und führen die Geschichte in Middenheim fort. Mit 164 Seiten bekommt man als Spielleiter und Leser wieder einen dicken Brocken, der neben den einzelnen Szenarien selbst auch etliche Hintergrundinformationen vor allem zu den Skaven liefert. Mit zwanzig Kapiteln, wovon etwa 15 echte Szenarien sind, werden die Spieler von einer Bredouille in die nächste geworfen.
Nach einem Vorwort bekommt man umfangreiche Infos zu den Skaven (dem Chaos verfallene Rattenmenschen), aber auch zu anderen schurkischen Fraktionen wie der Violetten Hand oder dem Gelben Fangzahn, einer menschlichen Gruppe, die Skaven verehren und diese unterstützen. Ebenso werden allgemeine Informationen zu Gefahren und Gegnern bei Ermittlungen in der Unterstadt unter Middenheim vorgestellt.
Das Abenteuer selbst
Schon im vorherigen Teil der Kampagne hatten die Abenteurer von Wachkommandant Streiffer den Auftrag bekommen, sich bei ihm einige Tage später zu melden. Sie können vorab bereits selbst eigene Untersuchungen aufgrund ihrer bisherigen Erlebnisse starten und beispielsweise in der Unterstadt Middenheims tief im Fels verschiedenen Hinweisen nachgehen, die auf Verbindungen von Menschen zu den Skaven hindeuten.
Bei Streiffer erhalten sie dann den Auftrag, verbliebene Kultisten der Violetten Hand aufzuspüren oder Spuren nachzugehen, die generell eine Bedrohung für die Stadt sein könnten und möglicherweise auch mit dem Kult zusammenhängen. Während der ersten Untersuchungen bekommen sie dazu mit, dass Katzen in Middenheim deutlich weniger geworden sind, was es aufzuklären gilt.
Die Ermittlungen rund um die Violette Hand, die auch zu einer Konfrontation mit einem der Niederen Könige Middenheims führt, einem der Unterweltherrscher, lässt mehr und mehr Verdacht aufkommen, dass die legendären Skaven existieren (was die Abenteurer längst wissen), was Streiffer zunächst jedoch als Märchen abtut.
Bei den weiteren Nachforschungen, auch außerhalb Middenheims in zwei Dörfern, ergeben sich jedoch nicht nur weitere Fingerzeige auf die Verwicklung der Skaven, sondern auch auf ein mögliches Geheimnis in der alten Bronzefeste in den Middenbergen. Mitsamt aller Hinweise werden sie vor den Grafen Boris von Wüterich als Herrscher Middenheims geladen und versuchen dort, diesen und seine Berater von der Existenz der Rattenmenschen und der Gefahr durch diese zu überzeugen.
Der Weg zur Bronzefeste weist einige Gefahren und Ereignisse auf, die die Abenteurer in den einzelnen Dörfern entlang ihrer Route erwarten, wobei auch der Gelbe Fangzahn nicht untätig bleibt. Die Reise endet an der sogenannten Belagerungssiedlung, die den Bereich um die Bronzefeste großräumig abriegelt und unter Leitung der dem Grafen missgünstig gegenüberstehenden Kärzburdgers steht. Da in der Feste angeblich mächtige Chaoskrieger residieren, versucht man, jedweden Kontakt zu vermeiden. Neben Intrigen in der Siedlung wartet auf die Abenteurer schließlich die Erkundung der Umgegend der Feste, denn die Skaven scheinen dort einen größeren Plan zu verfolgen.
Eindruck zum neuen Abenteuer
Im Gegensatz zu allen anderen Abenteuern der Kampagne bekommt man es hier nicht mit einer Neubearbeitung, sondern mit einem gänzlich neuen Abenteuer zu tun, sodass man keine Vergleichsmöglichkeit hat. Das erlaubte den Autoren aber auch, ihre ganz eigenen Ideen umzusetzen. Vom Stil her, sowohl von Inhalten als auch Illustrationen, Aufbau und Ideen ähnelt die Neuerscheinung durchaus den Nachbearbeitungen der Kampagne. Jedoch wird der Fantasy-Anteil und das spezielle „Warhammer“-Flair hier noch etwas stärker betont, dazu unten weiter mehr.
Die grundsätzliche Qualität des Bandes ist dabei wieder auf einem hohen Niveau. Ob Cover, Illustrationen oder die Karte von Middenheim – alles ist durchgehend sehr gut. Die Texte lassen sich angenehm lesen, sind gut in Absätzen strukturiert und in Kapiteln so aufgeteilt, dass man sich das gut in kleinen Päckchen einteilen kann, ob als Leser oder als Spielleiter. Dazu gibt es für alle wichtigen Gegner oder Situationen regeltechnische Hinweise und Werte. Einzig die übergeordnete Bandstrukturierung hätte man durchaus anders gestalten können. Hier gibt es erst Hintergründe und Werte zu Skaven und anderen Kulten, die sich über mehr als 15 Seiten erstrecken, ehe es mit der Handlung los geht. Besser wäre eine Verlagerung in den Anhang gewesen, sodass man dies bei Bedarf nachschlagen kann.
Inhaltlich werden viele interessante Ideen und Abenteueraufhänger vorgestellt, die die Spieler bei Ermittlungen und Nachforschungen in der Stadt auf ganz unterschiedliche Herausforderungen stoßen lassen. Erstmals in der Kampagne kommt auch ein wenig Steampunk-Gefühl auf (etwa eine mechanische Ratte zum Abhören). Da geht es um das Verfolgen eines entkommenen Kultisten, die Verhinderung der Bloßstellung einer Skaven erforschenden Wissenschaftlerin, die Befreiung eines bekannten Beamten oder auch den Kampf mit einem Assassinen. Durch unterschiedliche Orte und Gegner ist sehr viel Abwechslung gegeben.
Die Abenteuerführung in der Stadt erlaubt dabei durchaus einige Flexibilität und Freiheit des Spielleiters und der Spieler im Vorgehen. Insgesamt ist aber ein roter Faden viel klarer erkennbar als im Vorgängerband „Die Graue Eminzenz“, die sehr stark als Sandbox angelegt war. Die einzelnen Szenarien erlauben durchaus ein freies Vorgehen der Spieler, aber man merkt schon beim Lesen die stringentere Handlungsführung. Dies muss den Spielern aber nicht unbedingt auffallen, da sich die Autoren bemüht haben, immer wieder sehr freie Handlungen zu schaffen. Auch auf der späteren Reise zur Bronzefeste ist der Ablauf klar erkennbar, bietet aber immer wieder Optionen für die Spieler an. Umso mehr sich die Handlung dem Ende nähert, desto düsterer wird sie und auch abgefahrener, wenn man das so sagen will. Wenn die Spieler den Plan der Skaven nicht verhindern, kann wie in Band 1 in Bögenhafen durchaus ein Ende mit sehr viel Schrecken und erheblichen Folgen für das Imperium drohen.
Auch wenn die Skaven in den bisherigen Bänden nur wenig auftauchten (aber wenn, dann mit teilweise starker Auswirkung, siehe Band 2 in Wittgenstein), hier werden sie schnell in den Mittelpunkt gerückt. Als Spielleiter hätte man sich da vielleicht ein wenig Ausblick gewünscht, um diese besonderen Gegner schon früher als Gefahr mehr erwähnen zu können. Vor allem das vorherige Abenteuer hätte noch die eine oder andere Anspielung mehr vertragen. Speziell der Abschnitt zur Unterstadt wäre dort durchaus passend gewesen.
Als Kampagnenteil fügt sich der vierte Band durchaus ganz gut ein, da vor allem Verbindungen zum vorherigen Band allein schon durch den gleichen Handlungsort Middenheim gegeben sind. Die einzelnen Aufgaben und Ereignisse sind für sich alle spannend und sehr ideenreich, sodass man sie übrigens auch als einzelne Szenarios für ein Zwischenabenteuer schnell mal verwenden könnte. Selbst als einzelnes Abenteuer ohne Kampagnenbezug ist das Abenteuer sehr gut vorstellbar. Etwas abwertend zu ihren Erfahrungen und Belobigungen aus dem Vorgängerteil wirkt die Verwendung der Abenteurer als gewissermaßen Handlanger des Wachkommandanten. Hier hätte man diese vielleicht noch etwas mehr als Gleichberechtigte oder Experten darstellen und verwenden können, die man hinzuzieht.
Fazit: Der vierte Teil wirkt deutlich vollgepackter mit einzelnen Handlungsteilen als die drei bisherigen Bände. Mit Ausnahme von Kleinigkeiten und vor allem der Bandstruktur mit dem Anhang am Anfang ist wieder ein toller Band gelungen, der den meisten Gruppen viel Spaß machen wird. Die Fülle und Abwechslung an Ideen ermöglicht dazu eine gute Bandbreite an unterschiedlichen Herausforderungen. Da der Band neu ist, ist selbst für Altspieler der Kampagne eine ganz neue Erfahrung vorhanden. Eine klare Kaufempfehlung, spätestens für den Weihnachtsbaum.
Der Innere Feind 4: Die Gehörnte Ratte
Abenteuerband
Graeme Davis, Dave Allen, Andy Law u. a.
Ulisses Spiele 2024
ISBN: 978-3-96331-909-9
164 S., Hardcover, deutsch
Preis: 44,95 EUR
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