Der Innere Feind 1: Der Feind im Schatten

Das Imperium als größtes Reich der Alten Welt scheint nahezu unbewzingbar. Gegründet vor etwa 2500 Jahren vom legendären Sigmar Heldenhammer kann es sich jeder Bedrohung widersetzen. Doch unter der ruhigen Oberfläche schwelt es, denn der Imperator scheint schwerkrank zu sein, Tiermenschen erheben sich immer wieder und der Makel des Chaos greift um sich. Seltsame Kulte bilden sich, und es geht das Gerücht, dass sich ein neuer Auserwählter der verderbten Mächte erhoben hat, um gegen das Imperium zu ziehen. Es braucht Helden, die sich dem entgegenstemmen … in DER legendären Kampagne des Rollenspiels!

von Ansgar Imme

Wer nicht gerade ein Neuling in der Welt des Rollenspiels ist, hat vermutlich bereits von dieser Kampagne gehört: „Der Innere Feind“ beziehungsweise „The enemy within“ hat selbst unter bekannten Kampagnen verschiedener Systeme immer noch einen besonderen Stellenwert. Vermutlich liegt es daran, dass die Kampagne zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Mitte der 1980er Jahre im Gegensatz zu dem Großteil der Abenteuer nicht stumpfes Kämpfen ohne viel Wahlfreiheit in Verliesen und Kellern bot, sondern ein recht offenes Spiel mit Interaktion, Intrigen und Geheimnissen über zusammenhängende Abenteuer hinweg ermöglichte. Natürlich ist immer auch ein wenig Verklärung nach so vielen Jahren dabei, und die Kampagne hatte auch ihre Macken.

In Deutschland gab es die ersten drei Teile in einer Übersetzung vom Verlag Schwarzes Einhorn (welcher heute nicht mehr existiert), doch die beiden Folgeteile schafften es nie in die deutsche Übersetzung. Wer als deutschsprachiger Spieler oder eben Originalleser den vierten und fünften Teil las und spielte, erinnert sich aber auch an vor allem ein viertes überhaupt nicht zur Kampagne passendes Abenteuer und generell einige Haken zum Abschluss. Dies führte so weit, dass mit „Mad Alfred“ ein Fan eine umfangreiche Ersatzkampagne als alternativen Abschluss veröffentlichte, welcher unter Spieler recht gut ankam.

Mit der vierten Auflage von „Warhammer Fantasy“ durch Cubicle 7 beziehungsweise in Deutschland Ulisses Spiele wurde auch eine Neuveröffentlichung der Kampagne ins Auge gefasst, welche nach und nach jetzt auch in deutscher Sprache erscheinen soll. Dabei wurden der vierte und fünfte Teil neu konzipiert – mit einer Handlung, wie es die Autoren ursprünglich geplant hatten. Aber auch die ersten drei Bände wurden bearbeitet, die Inhalte in eine andere Struktur gebracht und stellen nun aus Sicht des Verlages einen Director’s Cut dar. Mitverantwortlicher ist dabei der ehemalige Autor Graeme Davis, ein Urgestein von „Warhammer Fantasy“, der bereits in den 1980ern für das Rollenspiel schrieb und eben zu der Zeit mitverantwortlich für die Kampagne war. Neben dem Director’s Cut erscheint dazu auch jeweils ein Begleitband (Kompendium) zu jedem Abenteuer, welcher zusätzliche Inhalte und Hintergrundinformationen bietet.

Doch jetzt genug der langen Vorrede …

Zum Inhalt – vom Feind im Schatten, Kastor Lieberung und dem Schafsfest in Bögenhafen

Die Charaktere starten als unbekannte und vermutlich einfache Bürger des Imperiums mit möglicherweise ganz einfachen Berufen wie Rattenfänger, Wirt oder Kutscher, die nach und nach in düstere Hintergründe und Geschichten verwickelt werden. Ihre Reise beginnt in einem Gasthaus wenige Tagesreisen von der Hauptstadt des Imperiums, Altdorf, entfernt. Dort lernen sie sich kennen und treten mit weiteren Mitreisenden eine Kutschfahrt gen Altdorf an, vermutlich um sich einer Expedition des Kronprinzen der Provinz Ostland anzuschließen, zu der sie einen Aushang gesehen haben.

Während der Fahrt treffen sie auf eine demolierte Kutsche, die von Mutanten überfallen wurde. Dabei findet sich auch ein toter Reisender, der ein Geheimnis birgt, welches mit einem der Charaktere zu tun hat. Gleichzeitig hat dieser ein Pergament bei sich, welches den Charakteren einen großen Reichtum ermöglichen kann, wenn sie sich in die Stadt Bögenhafen begeben und dort an gewisser Stelle vorsprechen.

Der Weg führt die Charaktere jedoch zunächst nach Altdorf, die Hauptstadt des Imperiums. Hier können sie einige Informationen sammeln und geraten in eine Auseinandersetzung, die eine Abreise förderlich macht, zudem ihnen jemand nach dem Leben zu trachten scheint. Dessen Motive können sie beim Halt in der kleinen Handelsstadt Weißbruck unter Umständen ergründen und sich vor allem die Gefahr vom Leib schaffen. Doch alle Hinweise deuten nun auf Bögenhafen.

Dort angekommen, entpuppt sich der Traum vom Reichtum jedoch als Sackgasse. Als die Charaktere ihre Enttäuschung auf dem hiesigen Schafsfest durch vergnügliche Stunden vergessen lassen wollen, werden sie durch einen einfachen Auftrag in mysteriöse Ereignisse verwickelt. Diese ziehen sich einerseits bis in höchste Kreise der Stadt und können andererseits ein unglaubliches Verderben über die gesamte Stadt und ihre Einwohner bringen … wenn nicht geeignete Frauen und Männer dagegen einschreiten. Ihr Weg führt sie durch die dreckige Kanalisation über geheime Tempel, ein Versteck der Diebesgilde, das Gebäude eines reichen Handelsherren bis ins Adelsviertel und die Tempel der Stadt.

Zum zweiten Inhalt – der Stadtführer, Regelerweiterungen, Spielhilfen

Neben dem eigentlichen Abenteuer beziehungsweise den verschiedenen Szenarien ist auch noch eine ausführliche Beschreibung der Stadt Bögenhafen enthalten. Während die Hauptstadt Altdorf und die Kleinstadt Weißbruck nur kurze Übersichtsbeschreibungen erhalten, wird Bögenhafen ausführlich vorgestellt. Neben Informationen zu den Herrschenden und Mächtigen wie Stadtrat, Gilden oder Handelshäusern werden auch verschiedene Gebäude oder Orte der Stadt (Häuser der Handelsherren, Gildenhäuser, Tempel, Plätze, Kneipen) beschrieben und sehr viele mit einzelnen Szenariovorschlägen versehen. Ebenso ist eine kurze Beschreibung der Umgebung der Stadt sowie beispielhaft dreier Kulte und Banden enthalten.

Ergänzt wird dies durch Regelerweiterungen für NSC, Türen und Schlösser sowie Krankheiten und Infektionen als auch neue Kreatureneigenschaften und Mutationen. Abgerundet wird der Band durch den Imperialen Kalender sowie ausführliche Spielunterlagen (Briefe, Aushänge, Karten).

Nur eine Neuauflage oder eine wirkliche Neubearbeitung?

Vorab haben sich viele die Frage gestellt, wie stark die Neubearbeitung ausfallen wird. Cubicle 7 ist vor allem durch „Der Eine Ring / The One Ring“ für hohe Qualität und liebevolle Umsetzungen bekannt, wobei sie dort den Inhalt aber noch komplett selbst gestalteten. Hier musste man eine bestehende Vorlage überarbeiten und neben Neuspielern auch den Kennern der ursprünglichen Kampagne einen Mehrreiz bieten.

Vorab kann man bereits sagen, dass dies gut gelungen ist. Die Überarbeitung bringt insgesamt eine viel bessere Struktur in den Band: Erklärung wichtiger Hintergründe der Handlung gleich zu Beginn, Stadtbeschreibung am Ende nach dem Abenteuer, klare Abgrenzung von Orten/Szenen durch einzelne Kapitel und einiges mehr. Dazu gibt es ergänzende, neue Hintergründe sowie Handouts und Karten auf einem heutigen Qualitätsstand. Als Besonderheit der Überarbeitung werden sogenannte optionale „Grognard-Hinweise“ gegeben, mit denen Schlüsselszenen durch zusätzliche Ideen und Ereignisse ein verändertes Geschehen für Altspieler ergeben können. Weggelassen hat man dagegen fast 30 Seiten Beschreibung zum Imperium, seinen Provinzen, Göttern usw., da dies mittlerweile umfangreich im Grundregelwerk enthalten ist. Diese bessere Struktur und Konzentration auf das Abenteuer macht sowohl das Lesen besser und die Vorbereitung leichter.

Ein roter Faden der Handlung, den es vorher auch bereits durchaus gab, ist jetzt wesentlich besser für den Spielleiter zu erkennen. Trotzdem bleibt vor allem in Bögenhafen die Herausforderung für den Spielleiter, einerseits unzählige Personen darzustellen, sich Orte zu merken oder die Spielleiter dort unbewusst hinzuführen und Beziehungen zwischen Personen sowie den zeitlichen Ablauf im Kopf zu behalten. Hier wäre eine Personenliste mit Orts- und Zeitverzeichnis, eine Ortsliste oder auch ein Zeitdiagramm hilfreich gewesen und hätte der Neubearbeitung gut getan beziehungsweise diese noch verbessert. Trotzdem sind der Ablauf sowie mögliche Optionen wesentlich besser erkennbar als in der alten Version, die der Rezensent gerade neben sich liegen hat. Gleichzeitig ermöglicht das Abenteuer an vielen Stellen ein offenes und freies Spiel, wenn auch bei Weitem nicht einer Sandbox ähnlich. Es gibt gewisse Ereignisse, die stattfinden müssen, um die Handlung fortzuführen, was bei nahezu allen Rollenspielkampagnen aber vorkommt. Wenn man sich mit dieser Einschränkung anfreunden kann, erhält man als Spieler genug Möglichkeiten, um abseits der Haupthandlung zu agieren. Und ganz nebenbei: Spannend ist die gesamte Handlung auch und bietet bei Misserfolg sogar ein überraschendes und hochdramatisches Ende mit Folgen für das gesamte Imperium.

Wie bereits bei allen Publikationen der 4. Edition muss man natürlich besonders das Layout und die Illustrationen loben, die die Stimmung des Abenteuer hervorragend wiedergeben. Mit vielen Illustrationen zu Nichtspielercharakteren hat man auch Bildmaterial für die Spieler und mit den Beschreibungen sehr gute Hintergründe zum Einsatz im Spiel.

Die Herauslösung der Statdtbeschreibung Bögenhafens ist ebenso gut gelungen. Einerseits verbessert dies, wie geschrieben, Struktur und Übersichtlichkeit. Und andererseits wurde die Beschreibung wesentlich erweitert und mit vielen Abenteuerideen versehen, sodass diese auch bei erneuten Besuchen der Stadt oder für andere Gruppen verwendet werden kann.

Fazit: Die 4. Edition von „Warhammer Fantasy“ macht auch bei der Verbesserung seiner bekannten Kampagne nicht Halt. Man merkt dem gesamten Band als Altspieler die Bearbeitung und neue Strukturierung deutlich an und erhält zudem neue Optionen und Ereignisse, die es selbst beim erneuten Spielen spannend machen. Neue Spieler erhalten viele Möglichkeiten, eine spannende und mysteriöse Handlung (die sich erst in den Folgebänden richtig entfaltet) zu erleben. Auf heutiger Basis nach über Jahren Entwicklung des Rollenspiels ist es vielleicht nicht mehr die beste Kampagne, aber immer noch eine, die es sich auf jeden Fall zu spielen lohnt. Die Neubearbeitung hat sich gelohnt und wartet darauf, gespielt zu werden!

Der Innere Feind 1: Der Feind im Schatten
Abenteuerband
Graeme Davis, Andy Law, Dominic McDowall
Ulisses Spiele 2022
ISBN: 978-3-96331-711-8
164 S., PDF, deutsch
Preis: EUR 39,95

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