Raue Nächte & harte Tage

Es begann alles an einem vermeintlich ruhigen Abend im Gasthaus „Zu den drei Federn“. Doch es sollte eine sehr raue Nacht werden. Wer hätte gedacht, dass wir die bekannte Komtesse Maria-Ulrike von Liebwitz zu Ambosstein, eine Nichte der Gräfin von Nuln, dort treffen? Doch sie war nicht die einzige, die dort ihre Geschäfte zu erledigen hatte. Eine Intrige jagte die nächste. An Schlaf war kaum zu denken. Ein explosives Ende nahmen die Dienste für die Komtesse dann bei einer Gerichtsverhandlung in Kemperbad – doch das ist eine andere Geschichte...

von Ansgar Imme

Anfang 2020 war es endlich soweit – die vierte Auflage von „Warhammer Fantasy“ erschien endlich auch in deutscher Sprache. Nach der unbeliebten dritten Edition hatte Cubicle 7 (bekannt durch „Der Eine Ring“/“The One Ring“) die Lizenz übernommen und bereits in 2019 das neue Grundregelwerk in englischer Sprache herausgebracht. Seit dem Erscheinen fehlten allerdings Spielhilfen und vor allem Abenteuer. Als Überbrückung wurden kostenlose Kurzabenteuer als PDFs veröffentlicht. Mit „Raue Nächte & Harte Tage“ ist nun endlich der erste „echte“ Abenteuerband erschienen. Mit Autor Graeme Davis wurde dabei ein Urgestein von „Warhammer Fantasy“ engagiert, der bereits in den 1980ern für das Rollenspiel schrieb und unter anderem für die bekannte Kampagne „Der Innere Feind“ mitverantwortlich war.

Der Kampagnenband enthält insgesamt fünf Abenteuer, die sowohl eigenständig als auch als zusammenhängende Kampagne gespielt werden können. Dazu ist noch ein kleiner Anhang zu einer neuen Rasse und Kneipenspielen enthalten. Das Startabenteuer des Bandes wurde bereits 1987 veröffentlicht und aufgrund der Beliebtheit mehrfach in den Folge-Editionen neu aufgelegt. Auch zwei der anderen Abenteuer erlebten bereits in der dritten Auflage des Rollenspiels ihr Erscheinen. Alle haben dabei gemein, dass mehrere Handlungsstränge über einen festgelegten Zeitraum gleichzeitig ablaufen und die Spieler in diese verwickelt werden und darauf reagieren müssen. Die Handlung selbst findet in jedem Abenteuer immer an einem festen Ort statt, der im Abenteuer auch beschrieben wird.

Die Kampagne beginnt in einem Gasthaus am Fluss, wobei der Reik als größter Fluss des Reiches vorgeschlagen wird. Grundsätzlich sind aber auch andere Orte möglich, die allerdings möglichst sehr belebt sein sollten, sodass verschiedene Reisende diese aufsuchen. Die Charaktere lernen verschiedene andere Reisende kennen, die jeweils verschiedene Beweggründe haben, im Gasthaus zu sein. Dabei werden sie vor allem in die Geschehnisse um die Komtesse von Liebwitz, einer Nichte der Gräfin von Nuln verwickelt. Doch in der Nacht verfolgen auch andere mehr oder weniger leutselige Anwesende ihre Ziele, denen sich die Charaktere mehr oder weniger aktiv widmen können.

Das zweite Abenteuer führt die Helden nach Kemperbad zur Gerichtsverhandlung bereits erwähnter Komtesse. Ein gerichtlicher Zweikampf soll als Urteil über eine Klage eines anderen Adligen gegen die Komtesse entscheiden. Doch neben dem Zweikampf, in den auch die Helden verwickelt werden können, passiert vor und im Gerichtsgebäude so einiges. Ein Verbrecher soll von seinen Kumpanen befreit werden, zwei Chaoskulte wollen ihre Ziele verwirklichen und eine Kopfgeldjägerin sorgt für Unruhe.

Nach den aufregenden Ereignissen vor Gericht scheint Entspannung bei einer Nacht in der Oper von Nuln im dritten Szenario die passende Gelegenheit. Hier lernen die Charaktere als Begleiter der Komtesse zunächst die Gräfin von Nuln kennen, werden dann aber schnell in Anschläge auf deren Leben, Rachegelüste unter den Zuschauern, Bandenkrieg und die Umtriebe eines weiteren Chaoskultes hereingezogen. Die ruhige Nacht wird eher aufregend und lebensbedrohend.

Kann eine Hochzeit mehr Erholung bieten als ein Opernbesuch? Im vierten Abenteuer begeben sich die Charaktere als Begleitung der Komtesse auf das Schloss Grauenberg des Hauses Saponatheim, um der Hochzeit der Tochter des Hauses mit dem Bruder der Komtesse beizuwohnen. Doch Ruhe soll auch hier nicht vergönnt sein. Der Gegenspieler der Komtesse will diese diskreditieren und die Hochzeit sabotieren, das Hochzeitspaar hat ganz andere Pläne, ein altes Schmuckstück als Geschenk sorgt für Unruhe, und selbst Verbrecherfürsten haben ihre Finger im Spiel. Es braucht die Charaktere, um das Fest zum passenden Ende zu führen.

Wenn die Charaktere jetzt noch nicht genug haben, werden sie von der Komtesse auf einen Ball in Übersreik mitgenommen, bei dem ein unbekannter Vertreter des Imperators mögliche Nachfolger auf den verwaisten Fürstenthron testen soll. Der Ball wird zu einem politischen Schlachtfeld, wenn die Adligen versuchen, sich gegenseitig schlecht zu machen, doch auch hier bahnt sich das Chaos in Form eines Skavenpropheten einen Weg. Wer wird am Ende den Fürstenthron besteigen?

Auf den ersten Blick ist die Anthologie wie alle bisherigen „Warhammer 4“-Publikationen sehr gelungen. Der Abenteuerband bietet fünf für sich jeweils spannende und abwechslungsreiche Kurzabenteuer, die vor allem als Einwürfe zwischen anderen Abenteuern gut geeignet sind (zudem vom Autor auch Vorschläge zur Anpassung als Einzelabenteuer gemacht werden). Die Karten und Beschreibungen der Orte sind ausreichend umfangreich sowie detailliert genug und können als generische Orte auch außerhalb der Abenteuer gut wiederverwendet werden. Auch die Beschreibungen und Porträts der Nichtspielerfiguren, ob als Verbündete oder Antagonisten, weisen genau die richtige Beschreibungstiefe auf beziehungsweise vermitteln einen schnellen Eindruck, wie diese aussehen. Und natürlich sind passende Spielwerte auch angegeben. Dazu kommt ein übersichtliches und gelungenes Layout sowie hervorragende Illustrationen, die ideal die Stimmung einfangen und Szenen aus den Abenteuern wiedergeben. Man könnte komplett zufrieden sein ...

Aus dem obigen Satz hört man aber deutlich ein „Aber“ des Rezensenten heraus. Die verschiedenen gleichzeitig stattfindenden Handlungen funktionieren einerseits im Spiel nicht so gut wie beim Lesen gedacht (zumindest in Spielabenden des Rezensenten). Die Spieler interessieren sich nicht für alle Handlungen oder sind an anderen Orten und bekommen manches nicht mit. Das ist nicht unbedingt schlimm, verspricht aber nicht immer den Spielspaß, den man erwartet hat. Bei einem Spielabend des Rezensenten gingen die Charaktere einfach zu Bett und ließen einen Teil der Handlung an sich vorbei laufen. Denn zeitliche Vorgaben beziehungsweise der zeitlich begrenzte Rahmen jedes Abenteuer oft auf eine Abend oder eine Nacht begrenzt auch die Möglichkeit der Spieler, manches später zu klären. Oder man ist gezwungen, die Gruppen zu teilen, die dann jeweils einzelne Situationen erleben. Zu überlegen wäre hier generell, die Handlungsfäden etwas zu straffen und nicht alle davon zu nutzen, sodass die Spieler dann lieber komprimiert nur Teile des Abenteuers stärker „bespielen“ können.

In einer kompletten Kampagne aller Abenteuer sind zudem eine gewisse Eintönigkeit und ein Wiederholungseffekt zu erwarten, da der Ablauf (ein fester Ort, mehrere Handlungsstränge, immer eine Handlung um die Komtesse und fast immer eine um Chaosanbeter) sich ähnelt. Das ruft bei den Spielern nicht mehr ganz so viel Überraschung hervor und kann zudem für ein gleiches Vorgehen sorgen, wenn man die Art der Herausforderung schon ein bis zwei Male erlebt hat. Erst recht hier bietet es sich an, von den Handlungssträngen nicht alle zu nutzen und Abwechslung von Abenteuer zu Abenteuer zu schaffen.

Fazit: Insgesamt setzt sich das durch bisherige Publikationen von „Warhammer 4“ vorgegebene, hohe Niveau bei Texten, Layout, Illustrationen und Handlung fort. Allerdings muss man als Spielleiter aufpassen, dass man seine Spieler auch mitnimmt und nicht bei der Hälfte der Handlungen verliert. Sowohl für einzelne Abenteuer und erst recht für die Kampagne bietet sich daher eine Reduzierung der Anzahl der Aufhänger an. Insgesamt ist die Anthologie aber sehr empfehlenswert, da die Abenteuer an sich kurz und spannend sind, viel Interaktion ermöglichen und genau den richtigen Einblick in die „Alte Welt“ ermöglichen. Wer also noch etwas für Weihnachten braucht, kann hier durchaus zuschlagen.

Raue Nächte & Harte Tage
Abenteuer-Anthologie
Graeme Davis
Ulisses Spiele 2020
ISBN: 978-3963314445
96 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 34,95

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