Black Widow (2020) 1: Neues Glück

Natasha Romanoff, genannt Black Widow, gehört sicher zu den stärksten Frauenfiguren des Marvel-Universums – nicht erst seit ihrer prominenten Rolle in den MCU-Filmen. Aktuell kämpft sie sich gerade durch ihren ersten eigenen Kinofilm – für die Comic-Macher Grund genug, ihr auch einen Neustart im Nicht-Bewegt-Bild-Form zu gönnen. „Neues Glück“ heißt dieser Auftaktband, doch wir wissen ja alle, dass Glück für Superhelden meist eine Illusion ist …

von Kurt Wagner

Die Geschichte beginnt mit einem James-Bond-artigen Prolog. Black Widow prügelt sich durch eine Horde Gangster, um einen Datenträger aus einem Tresor zu stehlen, den sie dann Captain America übergibt. Warum? Wird nicht erklärt. Als sie nach Hause kommt, wird sie jedenfalls schon erwartet – und fliegt aus dem Fenster. Schnitt. Drei Monate später lebt sie in San Francisco, eine junge, erfolgreiche Architektin mit liebendem Partner, schickem Haus, alles perfekt. Ein Traum! Da kann doch etwas nicht mit rechten Dingen zugehen. Denkt sich der Leser, und auch ihre alten Heldenfreunde Hawkeye und Winter Soldier, die der Vermissten durch einen zufälligen TV-Auftritt auf die Spur kommen, sehen das so. Was dahinter steckt und wie bitter das Erwachen wird, davon erzählt dieser Fünfteiler, der in den USA unter dem Titel „The Ties That Bind“ die neue Reihe „Black Widow (2020)“ startete und von November 2020 bis April 2021 herauskam. Extrem flott (schon Ende Mai) hat Panini die Comics dann als deutschen Sammelband herausgebracht.

Die Prämisse der Geschichte, die von Autorin Kelly Thompson geschrieben wurde, ist nicht schrecklich innovativ. Superhelden, die plötzlich im Paradies leben und sich an ihre Vergangenheit wenig bis gar nicht erinnern, trifft man immer mal wieder. Das weiß die Macherin auch, weswegen sich das Mysterium nicht ewig hinzieht, sondern die Handlung recht bald an zusätzlicher Fahrt aufnimmt, das Auftreten mehr oder weniger namhafter Schurken inklusive. Am Ende wird es richtig dramatisch, bis hin zu tragisch. Die Amerikaner lieben ihre Helden halt besonders, wenn sie seelischen Ballast mit sich herumtragen. (Okay, im Grunde war die Entwicklung zwangsläufig – Ähnliches hat man auch immer mal wieder gelesen oder gesehen –, trotzdem hätte man sich für Natasha gewünscht, dass die Geschichte irgendwie anders ausgeht.)

Obwohl einige Heldenfreunde in Nebenrollen zu sehen sind, ist der Star des Romans ganz klar Black Widow und das nicht nur aufgrund ihrer akrobatischen Kampfeinlagen, sondern schlichtweg optisch. Zeichnerin Elena Casagrande präsentiert Natasha so sympathisch, so gefühlvoll und so sexy, dass man ihr nicht nur bei der Verbrecherjagd, sondern sogar beim Kochen zuschauen würde (sie kocht aber nicht für sich und ihren Liebsten, sondern kauft nur was beim Chinesen – und im gleichen Atemzug ein sauteures Rennmotorrad – tja, wer hat, der hat …). Auch die anderen Figuren sind gut getroffen, wobei die Frauen in der Regel (nicht nur optisch, auch vom Coolness-Faktor) besser wegkommen als die Männer, die gern mal dumm gucken oder sich – im Falle von Hawkeye und Winter Soldier – wie Jungs zanken. Dieser Trend – die Frauen sind cool und effektiv, die Männer etwas unbeholfenes Beiwerk – war bei Marvel in letzter Zeit häufiger zu beobachten war, wobei es hier deutlich weniger stört als bei manchem „Star Wars“-Comic der jüngeren Vergangenheit. (Letzten Endes ist es ja auch nur ausgleichende Gerechtigkeit, nachdem die Genre-Literatur jahrzehntelang von lässigen Typen und schreienden Blondchen geprägt war.)

An Bonus-Material wurde dem Comic eine leider recht kleinformatige Cover-Galerie spendiert. Außerdem bringt Christian Endres in einem Vor- und einem Nachwort dem unbedarften Leser Helden und Schurken dieses Comics näher, sodass man kein Vorwissen braucht, um die Geschichte genießen zu können. Es hilft natürlich, wenn man Namen wie Black Widow, Captain America, Hawkeye usw. schon mal gehört hat, aber das dürfte Dank des Marvel Cinematic Universe ja bei fast jedem Superhelden-Afficionado der Fall sein.

Fazit: Ein lesenswerter Einstieg, der das Rad inhaltlich vielleicht nicht neu erfindet, aber ein paar clevere Ideen mit viel dynamisch inszenierter Action mixt. Unterstützt von ein paar Helden und Schurken aus der B-Riege (die allerdings auch durch ihre Kino- und TV-Abenteuer der letzten Zeit spürbar aufgewertet wurden) wird hier eine selbstbewusste, sensible und äußerst gut aussehende Natasha Romanoff präsentiert, der man gern ins Abenteuer folgt. Am Ende steht ein neuer Anfang für Black Widow. Man darf gespannt sein, wohin die Reise diesmal führt.

Black Widow (2020) 1: Neues Glück
Comic
Kelly Thompson, Elena Casagrande
Panini Comics 2021
ISBN: 978-3-7416-2207-6
124 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 15,00

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