von Bastian Ludwig
Ähnlich wie das alte China seinen Zeitgenossen in Europa in vielen Bereichen um eine Nasenlänge voraus war, wirkt auch Zhoujiang fortschrittlicher als die Reiche Dragoreas. Der ausgeprägte Beamtenapparat des Kaiserreichs erinnert an die Verwaltung moderner Staaten, viele alchemistische Errungenschaften kommen aus Zhoujiang, allen voran das Schwarzpulver, das zu zivilen aber auch militärischen Zwecken eingesetzt wird, und sogar erste Ansätze für eine Luftfahrt sind zu finden. Im spannenden Kontrast dazu steht der Umstand, dass Zhoujiang in Sachen Gleichberechtigung dem größten Teil des restlichen Lorakis hinterherhinkt, handelt es sich doch um ein ausgeprägtes Matriarchat. So unterscheidet sich Zhoujiang nicht nur oberflächlich von den bisher bekannten Regionen von „Splittermond“ und kann eigene Akzente setzen.
Zhoujiang ist ein Reich, zerrissen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Traditionen und althergebrachte Strukturen geben ebenso Orientierung und Halt wie sie für Verkrustung und Stillstand stehen, Modernisierungsbestrebungen versprechen Fortschritt, Wohlstand und Gleichberechtigung, beschwören aber auch die Furcht vor Veränderung, vielleicht gar vor Chaos herauf. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund entfalten sich der das Reich definierende politische Konflikt, der Streit von Drache und Phönix, ein Bürgerkrieg – in „Splittermond – Die Welt“ hieß es noch explizit, man könne nicht von einem Bürgerkrieg sprechen, jetzt wird er aber doch so genannt – zwischen Prinzessin Yi, der Erbin des Kaiserthrons, und dem Rebellengeneral Wu, der mit seinem Militär die Macht erringen möchte. Beide Parteien kontrollieren Teile des Reichs. Ein dritter Mitspieler sind die Triaden, Händlergesellschaften und Banden der organisierten Kriminalität in Personalunion, denen es im den Wirren des Bürgerkrieges gelungen ist, selbst die Kontrolle über einige Provinzen zu erlangen. Der Konflikt wird von den Autoren angenehm komplex gestaltet, keine der drei Parteien ist nur gut oder böse. Wu etwa gilt zwar als harter Herrscher und Machtmensch, will aber im Zuge seiner Revolution weitreichende Reformen durchführen, um seiner Ansicht nach verkrustete Elemente des Staates zu erneuern und mehr Gleichheit und Gerechtigkeit herzustellen.
Die Wirren des Bürgerkrieges und die Machenschaften der Triaden eignen sich besonders für urbanere Abenteuer über Intrigen, Spionage und Machtgeplänkel und dank der Vielschichtigkeit des Szenarios kann man die Spieler in knifflige Handlungen verstricken, in denen sie nicht wissen, wer Freund oder Feind ist, und in denen ihre eigene Moral und ihre eigenen Grundsätze ein ums andere Mal auf die Probe gestellt werden können. Die unbekannten Weiten der Wildnis Zhoujiangs wiederum eignen sich für ausgiebige Reiseabenteuer.
Der Band bietet den Aufbau und die Inhalte, die sich inzwischen bei Regionalbeschreibungen von „Splittermond“ bewährt haben. Den größten Teil des Buches machen Texte aus lorakischer Perspektive aus, die einen umfassenden Blick über Geographie, Kultur, Geschichte, Gesellschaft und Politik von Zhoujiang gewähren. Das letzte Drittel des Bandes verlässt dann die lorakische Sicht und gibt Spielern und Spielleitern Out-Game-Wissen und Regelerweiterungen wie neue Ausbildungen, Charakterattribute und Zauber. Illustriert ist das Ganze wie immer vierfarbig mit zahlreichen exklusiven Zeichnungen, die einen guten Eindruck vom Land des Phönix bieten.
Fazit: „Zhoujiang – Der Phönix im Schatten des Drachen“ ist ein sehr gelungener Regionalband, der den Spielern von „Splittermond“ ein farbenfroh gestaltetes Reich mit einem spannenden Grundkonflikt präsentiert, das sich genug von den bisher bekannten Gebieten von Lorakis abhebt, damit sich ein Besuch dort lohnt.
Zhoujiang – Der Phönix im Schatten des Drachen
Quellenbuch
Uli Lindner, Stefan Faber, André Pönitz u. a.
Uhrwerk Verlag 2017
ISBN: 978-3-958670-62-4
144 S., Hardcover, vierfarbig, deutsch
Preis: EUR 29,95
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