Die Seidene Stadt

Wenn die Gottkaiserin von Kintai ruft, eilen die Händlerfamilien des Nordens gen Senrai, um ihr zu huldigen. In einer langen Karawane ziehen sie gen Hauptstadt des Schwertalben-Reiches und errichten an mehreren Haltepunkten unterdessen die sogenannte Seidene Stadt. Ein riesiger Jahrmarkt findet zu jedem Aufenthalt statt, auf dem Geschäfte abgeschlossen werden. Doch dieses Mal scheint jemand im Hintergrund finstere Pläne zu schmieden und sowohl die Seidene Stadt als auch die Gottkaiserin zu bedrohen. Und es braucht Abenteurer, die hinter diese Machenschaften kommen.

von Ansgar Imme

Das deutsche Rollenspiel „Splittermond“, welches langsam zu einem Konkurrenten des Platzhirsches „Das Schwarze Auge“ (DSA) heranwächst, hat auch einen guten Veröffentlichungsrhythmus erreicht. Nicht nur Quellenbände, sondern auch einige Abenteuer aus ganz verschiedenen Regionen der Spielwelt Lorakis wurden bereits publiziert. Mit Kintai kommt hier eine Region aus dem weiten Osten ins Spiel, welche Anlehnungen an asiatische Kulturen nimmt.

Der österreichische Autor Stefan Unteregger ist vor allem bei „DSA“-Spielern kein Unbekannter, war er doch vor wenigen Jahren kurzzeitig Mitglied der „DSA“-Redaktion und verantwortlich für zwei der besten Publikationen der jüngeren „DSA“-Geschichte (die Abenteuerbände „Quanionsqueste“ und „Seelenernte“).

Die Seidene Stadt formiert sich alle drei Jahre, wenn die Gottkaiserin Myuriko von Kintai den Tribut der Händlerfamilien des Nordens einfordert. Dann finden sich die Händler in einer großen Karawane von etwa zweitausend Teilnehmern zusammen, die von Atasato durch Kintai gen Senrai, der Hauptstadt des Reiches, führt. An jedem größeren Haltepunkt entsteht für drei Tage aus den Wangen eine Art Stadt und Jahrmarkt, denn die Händler nutzen die Möglichkeit, um ihre Waren zu zeigen und vorab bereits Geschäfte mit den Untertanen der jeweiligen Region zu tätigen. Dazu ist es für alle Händler, Diener und Begleiter der Karawane sowie der umliegenden Bevölkerung die Möglichkeit, ein großes Fest zu feiern.

Selten verläuft die Prozession der Seidenen Stadt vollkommen reibungslos und ohne jeglichen Aufruhr, da sich dies allein aufgrund der hohen Anzahl der Teilnehmer kaum vermeiden lässt. Doch dieses Mal scheint es ganz besonders zu sein, denn die Gottkaiserin selbst scheint bedroht. Verbergen sich ihre Gegner in der Karawane, und was haben sie vor? Sind die Mächtigen der Region auf dem Weg in die Hauptstadt in das Komplott verwickelt? Auch die Abenteurer sind sich selbst nicht sicher, ob sie sich einem Kampf gegen eine Tyrannin anschließen oder die widerwärtigen Widerständler ergreifen sollen. Dazu scheint es auch noch merkwürdige Ereignisse rund um die Seidene Stadt zu geben, die es aufzuklären gilt. Denn ansonsten droht die Gefahr, dass diese ihr Ziel nicht erreicht.

Bei diesem Abenteuer ist es ausgesprochen schwierig, eine kurze Inhaltsangabe zu verfassen, ohne den Hintergrund zu offenbaren. Dafür erwartet die Spieler eine sehr freie Handlung, die ihnen Optionen in alle Richtungen ermöglicht. Schon die Verwicklung in das Abenteuer bietet sehr viele Möglichkeiten, je nachdem ob die Spieler bereits Berührungspunkte mit einer der Mächtegruppen hatten oder auch Sympathien beziehungsweise Antipathien gegenüber der Gottkaiserin und der Seidenen Stadt selbst hegen. So gibt es ganz unterschiedliche Auftraggeber, etwa ein Handelshaus, eine fremdländische Macht wie Selenia oder die Stadtherrin der Seidenen Stadt. Je nachdem welche Partei die Abenteurer (und Spieler) ergreifen, entwickeln sich auch die Ziele und Handlung des Abenteuers ganz anders. So gibt es zwei eher übergeordnete Handlungsstränge, die aber von unterschiedlichen Seiten beziehungsweise mit verschiedenen Motiven bespielt werden können, wie auch einige untergeordnete Handlungen, von denen man nicht mit allen in Verbindung kommen muss.

Der Verlauf der Karawane ist von den Orten natürlich an sich vorgegeben, aber die Handlung darum entspinnt sich je nach Gruppe wirklich so vollkommen unterschiedlich, dass das Abenteuer vor allem Spielern gefallen wird, die „Sandbox“-ähnliche Abenteuer mögen (da sie hier eine sehr große Freiheit erhalten). Dies erfordert allerdings auch einen sehr flexiblen und gut vorbereiten Spielleiter, da er wenig vorausahnen kann, was als nächstes passiert beziehungsweise wie die Spieler handeln. Der Autor liefert dabei eine sehr gute Vorarbeit mit Motiven, Beschreibung der Personen, grobem Verlauf ohne Eingreifen der Abenteurer sowie Karten und Werten. Dies wird ergänzt durch ein vom Verlag sehr gut gehaltenes Layout, Illustrationen hoher Qualität und ein sehr stimmungsvolles Cover des Bandes. Wenn man etwas kritisieren möchte, dann vielleicht die noch zu geringe, vertiefende Stimmung zum fremdartigen Hintergrund sowie die eher bodenständigen Haupthandlungen (die aber durchaus für genug Spannung sorgen).

Fazit: Man möchte fast sagen: Mit Stefan Unteregger kann man als Käufer nichts falsch machen. Wie schon bei den oben genannten „DSA“-Publikationen liefert er auch hier – für den Konkurrenten „Splittermond“ – ein tolles, spannendes und vor allem flexibles und gut ausgearbeitetes Abenteuer ab, welches den Spielern unglaublich viele Freiheiten bietet. Solange die Spieler sich nicht am fremdartigen Setting (welches aber nicht im Vordergrund steht) und den zu freien Handlungsoptionen stören, sollte man auf jeden Fall zuschlagen und schöne Spielabende in der Seidenen Stadt verbringen.


Die Seidene Stadt
Abenteuerband
Stefan Unteregger
Uhrwerk Verlag 2016
ISBN: 3958670350
68 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 12,95

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