Vagant 1: Vagant

„Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss.“ So mutet die Mission des Vaganten an. Einfach nur das Leben des Babys mit diesem ungewöhnlichen Schwert verteidigen und schnellstmöglich in das Herzstück des Seraphordens gelangen. Über die Stadt Sechs Kreise und die Mauer bis nach Wunderland. Dann wird alles gut. – Genug geredet, los geht’s.

von Lars Jeske

Ein Mann. Ein Mann und ein Schwert. Ein Mann, ein Schwert und ein Baby. Ein Mann, ein Schwert, ein Baby und eine Ziege. – Nein, das ist nicht der Beginn von „Ich packe meinen Koffer“, sondern die Eckpfeiler im Debütroman von Peter Newman. Der Brite eröffnet mit „Vagant“ seine gleichnamige Trilogie. An der Seite des eher ruhigen Vaganten wird der Leser in eine endzeitstimmungsgetrübte Welt mitgenommen, und nomen est omen zieht der Vagant in dieser durch das Land und bringt es dadurch dem Leser nah.

Und was für ein Land! Man lernt dieses namenlose Land anfänglich ausschließlich als eine generell fantasytypische Hintergrundwelt kennen, die an das verklärte europäische Mittelalter erinnert. Ländliches Leben, Städte ohne Technologie, hoher Glaube an eine übergeordnete Machtstruktur und die seelenreinen Seraphritter als Streiter der Sieben. Hervorragende Schwertkämpfer, die tugendhaft die Welt gegen jedes Übel verteidigen. Der Großteil der Bevölkerung lebte glücklich vor sich hin, und ab und zu gab es etwas Mystisches oder nicht ganz erklärbar Zauberhaftes.

Allerdings ging vor Jahren buchstäblich ein Riss durch das Land und es gab einen Bruch. Durch einen sich öffnenden Höllenschlund aus einer anderen Dimension wurde die Welt von großem Unheil heimgesucht. Allerlei monsterartiges und monströses Gezücht plagt von nun an das Land. Vielleicht am ehesten vergleichbar mit dem Setting von „Warhammer“ bezüglich der Gruppierungen. Der Nimbus der unbesiegbaren und jeden Bewohner schützenden Seraphritter (welche am besten mit Paladinen verglichen werden können) wurde zerstört, und die dämonischen Wesen breiten sich allenthalben über das Land aus.

Es ist somit nunmehr eine heruntergekommene Gesellschaft, die da einst in blühendem Glanz lebte. Sie dient als Interaktionsmöglichkeit des Vaganten, die die nur dünne Fassade der vorgegebenen Menschlichkeit dem Leser mehr als überdeutlich in mitunter etwas übertriebenen Wortbauschungen und lancierten Wortbildern unter die Nase reibt. Später werden Fragmente einer technologisierten Welt eingeflochten, die ähnlich der späten „Shannara“-Bücher dennoch ein wesentlicher Bestandteil des vor allem städtischen Lebens sind. U-Boote und Nanotechnologie ist ebenso bekannt wie Kommunikationselektronik und Panzer, Drogen und Kindesmissbrauch.

Was jedoch genau die Mission des namenlosen Vaganten ist, bleibt dem Leser anfänglich verborgen. Die Bewohner, welche mit dem Vaganten auf dessen einsamen Weg in Kontakt kommen, bleiben ebenso mit ihren Fragen zurück, wie der willige Rezipient dieses Romans. Dem distanziert und rational-nüchtern auftretenden auktorialen Erzähler fällt somit die Rollen anheim, den Leser auf andere Art und Weise zu binden. Das gelingt vor allem dadurch, dass die Neugier des Lesers durch den intensiven Mangel an Informationen geweckt wird. Warum hat der Mann ein Baby bei sich? Wo will er hin? Wieso verteidigt es dieses auf Leben und Tod? Was ist das für eine Welt? Und vor allem: Warum spricht der Vagant nicht?

Die meisten diese Fragen werden im Verlauf der Geschichte, die sich überraschend schnell liest und doch intensiv ist, mehr oder weniger beantwortet. Selbstverständlich indirekt, aber dies ist ebenso ein Trick des Autors, um die Spannung hochzuhalten. Aber zu Glück gibt uns Lesern Peter Newman durch die eingeschobenen Rückblenden, die um den Zeitraum der Apokalypse von vor acht Jahren angesiedelt sind, weitere bruchstückhafte Hinweise um die Zusammenhänge selber zu erahnen. Somit kann man sich innerhalb der ersten hundert Seiten doch schon die Hintergründe der Welt zusammenreimen, um sich im Anschluss auf den Vaganten und dessen Mission zu konzentrieren. Denn um diese handelt es sich zweifelsohne. Erinnerungen an die Filme „The Book of Eli“ oder „The Road“ werden wach, mit Anleihen an eine Trostlosigkeit die in „Die Jugger“ oder „Waterworld“ als Hintergrund skizziert wird.

Zudem gibt es überzeugende Charaktere, deren Motive man nachvollziehen kann, und als Bonus eine Ziege. Was will man mehr?! Der Vagant ist der Desperado mit dem Herz am richtigen Fleck. Ein Mensch, zu dem man aufsehen kann und selber Halt in einer kaputten Zeit finden kann, so man es schafft, mit ihm auf die richtige Art zu interagieren. Ihm gegenüber gibt es nicht nur eine gesichtslose Masse an Gegnern und Widersachern, sondern auch Personifikationen der Bösen, die wie so oft auch ihre eigenen Dämonen haben, denen sie sich immer wieder stellen müssen. Der Usurpator als mächtiger Hauptgegner bekommt ebenso seinen Raum, wie die Sittenlose als Kontrahent oder die Handlager, die Ritter von Jade und Asche. Auch wenn dem Leser vieles davon bekannt vorkommt und sich sogleich der Imperator von „Star Wars“, die Nazgûl aus dem „Herr der Ringe“ und andere Figuren des Mainstreams vor dem geistigen Auge zeigen, sind die Versatzstücke doch gefällig miteinander zu einer neuen und kurzweiligen Geschichte verwoben. Die Essenz des Bösen wird hier zudem schön benutzt, um den Bösen einen unheimlichen Vorteil zu sichern, was der Spannung zu Gute kommt.

Helga Parmiter hat diesen Roman ins Deutsche übertragen und dabei sehr gute Arbeit geleistet. Die Wortwahl und der Satzbau sind dem Stil angemessen, und auch das Lektorat sorgte dafür, dass es so gut wie keine Wort- oder Tippfehler gibt, die dadurch die Geschichte unterbrechen würden oder sogar noch schlimmer den Leser ablenken würden. Das Cover ist ebenfalls auf den Punkt und sogar das Gleiche, wie damals bei der US-Veröffentlichung. Wiederum ein wunderbarer Zugewinn im immer weiter ansteigenden Roman-Portfolio vom Cross-Cult-Verlag, die erneut ein glückliches Händchen bei der Auswahl hatten.

Der Roman ist bezüglich der vornämlichen Rahmenhandlung im Prinzip nach diesen 440 Seiten abgeschlossen. Jedoch ist die Mission des Vaganten noch nicht beendet, und da die beiden Folgebände mittlerweile ebenfalls auf Deutsch bei Cross Cult erschienen sind, gibt es keinen Grund, nicht gleich weiterzulesen. Dies sind dann moderate 500-Seiter, die jedoch bei vermutlich gleichbleibendem Schreibstil ebenso flott lesen lassen sollten. Man kann also sofort erlesen, wie die Reise des einsamen Wanderers in „Arglist“ fortgeschrieben wird und in „Sieben“ seinen Abschluss findet.

Fazit: „Vagant“ ist storytechnisch ein rundum gelungenes Debüt. Fesselnd, ohne auf spektakuläre Effekthascherei aus zu sein, spielt es mit bekannten Versatzstücken, die allesamt dem Mainsteam entlehnt sind, jedoch in ihrem Zusammenspiel überzeugen. Mit dem namenlosen und unergründlichen Protagonisten ist eine klassische Hauptfigur entworfen worden, die vor allem das affine Klientel des einsamen Rächers bedient. Vor allem, wenn man eins und eins zusammenzählen kann und darauf hofft, keine falschen Spuren gelegt zu bekommen, sind das Finale und die Erkenntnisse gegen Ende des Romans nicht allzu überraschend. Ein solider Roman, der sich nur in ausgewählten Momenten total in bedeutungsüberladenen Worthülsen ergeht.

Vagant 1: Vagant
Science-Fiction / Fantasy-Roman
Peter Newman
Cross Cult 2017
ISBN: 978-3-95981-495-9
440 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 16,00

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