von Lars Jeske
Mit „Die Chronik der Weitseher“ hatte Robin Hobb in den 1990er Jahren eine weltweit erfolgreiche Trilogie verfasst, die auch jenseits der Fantasy-Gemeinde Anklang fang und dem Genre eine neue Qualitätsstufe hinzufügte. Eine, die in Sachen Charakterentwicklung, Einsichten und Storytelling bis heute kaum erreicht wird. Das erste große Abenteuer von Fitz Chivalric, dem Bastard des Königs, war erzählt, dessen Aufwachsen in der Bocksburg geschildert und sein Einfluss auf die Geschehnisse in den Sechs Provinzen längst in die Geschichtsbücher eingegangen. So zumindest die Annahme. Nach ein paar Jahren Pause legte die Autorin 2001 bis 2003 dann (überraschenderweise) eine weitere Trilogie nach. Diese ist jetzt, ebenfalls komplett überarbeitet und erneut von Eva Bauche-Eppers übersetzt, bei Penhaligon erschienen. Der Auftakt zu dieser heroischen Fantasy heißt heuer „Diener der alten Macht“ (dabei handelt es sich inhaltlich um das damals unter dem Titel „Der lohfarbene Mann“ veröffentlichte Werk).
Dem Leben und der Intrigen bei Hofe seit jeher überdrüssig, fristet Fitz Chivalric-Weitseher sein Leben im selbst gewählten Exil. Er lebt seit nunmehr 15 Jahren beinahe schon als Eremit und hat sich den Namen Tom Dachsenbless gegeben. Selbstverständlich ist sein getreuer Wolf Nachtauge weiterhin bei ihm und Chade, der ihn sporadisch besucht, hatte das Findelkind Harm in Toms Obhut gegeben, um ihm eine andere Art von Fokus zu geben. Bei einem der seltenen Besuche von Chade erfährt Fitz nunmehr, dass der Sohn von Königin Kettricken verschwunden ist. Dies könnte zum erneuten Ausbruch eines Krieges mit den Roten Korsaren führen, da der Prinz in einer strategischen Hochzeit mit einer Prinzessin vermählt werden soll, die bereits über das Meer auf dem Weg ist. Aber erst der Narr kann Fitz wirklich überreden, sich wieder seinem alten Eid verpflichtet zu fühlen und sich an der Suche nach dem Prinzen zu beteiligen. Dafür führen beide eine Scharade auf, da der Narr mittlerweile als Fürst Leuenfarb am Hofe ein bekannter Kauz ist und Fitz als Tom sein persönlicher Diener werden kann …
Robin Hobb gelingt es mit diesem Roman sowohl die treue Leserschaft erneut an sich zu binden, als auch eine gute Gelegenheit zu offenbaren, neue Leser zu gewinnen. Dieser Spagat ist möglich, da sie zwar für den Fortlauf der Geschichte wesentliche Ereignisse der Vergangenheit erneut thematisiert, diese aber geschickt in den Anfang des Romans steckt, in welchem das Schaulaufen der Charaktere der ersten Trilogie stattfindet. Durch den Kniff, dass so eine lange Zeit vergangen ist, sind nicht mehr alle Ereignisse relevant oder sie werden in der Bevölkerung anders wahrgenommen. Somit ist es ein bisschen wie „wenn Großvater vom Krieg erzählt“. Es hat einmal irgendwas stattgefunden, aber das ist in der aktuellen Erinnerung und für das tägliche Leben und Überleben nur untergeordnet wichtig. Somit reichen kurze und knapp Erläuterungen, die den Neuleser neugierig machen können, die Erinnerungen daran bei den Leseveteranen erneut aktivieren.
Die Hauptgeschichte ist dann überraschenderweise mit „Diener der alten Macht“ sogar abgeschlossen, da die Suche nach dem Prinzen nach diesen knapp 900 Seiten beendet ist. Allerdings ist Fitz nunmehr wieder an einem Scheideweg, den er so lange erfolgreich ignorieren konnte. Er kann zurück in sein Einsiedlerleben oder auf die eine oder andere Art und Weise sein Leben am Hofe wieder aufnehmen. Alternativ ist sein persönliches Glück noch nicht vollständig unerreichbar, oder er geht den befremdendsten Weg: Der Narr ist noch immer der Meinung, dass das Schicksal der Welt von Fitz abhängt und allein er Geschehnisse in Gang bringen kann, die die Welt nicht aus den Fugen reißen werden; der Prophet und sein Katalysator wären wieder vereint …
Für den Leser erschließt sich unterdessen eine beinahe vertraute Welt, die sich in den Jahren etwas verändert hat. Die Träger der Alten Macht sind nunmehr Geächtete, was diese jedoch nur umso gefährlicher macht, da ein Teil dieser sich zu wehren anfängt. Was wiederum eine andere Gruppe dazu inspiriert, diesen Konflikt für ihre ganz eigenen Interessen und einen gesellschaftlichen Umsturz zu benutzen. Ebenso erlebt der Leser, wie der ehemalige Held (unerkannt und ohne Ruhm), sich erneut überwinden muss, der Krone zu dienen und dementsprechend hin- und hergerissen ist. Wie weit soll seine Aufopferung für das Allgemeinwohl und sein Pflichtgefühl seinem persönlichen Lebensglück konträr gegenüberstehend den Vorzug erhalten?
Fazit: „Diener der alten Macht“ ist ein überaus lesenswerter Roman und ein passender Einstieg in das Werk von Robin Hobb. Hier kann man eine Vielzahl ihre charakteristischen Stilmittel sehen und entscheiden, ob einem diese Autorin zusagt. Für die Fans der Autorin oder der Reihe ist es eine gelungene, losgelöste Fortsetzung mit liebgewonnenen alten Bekannten und überraschenden Wendungen. Erneut ist die Interaktion zwischen dem Narren und Fitz ein Highlight. Gewohnt unprätentiös und ruhig wird eine Geschichte beschrieben, die sich gut in die bisherigen Geschehnisse eingliedert.
Das Erbe der Weitseher 1: Diener der alten Macht
Fantasy-Roman
Robin Hobb
Penhaligon Verlag 2018
ISBN: 978-3-7645-3203-1
886 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 16,00
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